Bachkonzert 1999

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)


Präludium und Fuge C-dur BWV 545

„Von Gott will ich nicht lassen“ BWV 658

Canzona d-moll BWV 588

„Allein Gott in der Höh sei Ehr“ BWV 662

Fantasie (Pièce d’orgue) G-dur BWV 572

„Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ BWV 652

Präludium und Fuge h-moll BWV 544

____________________________________________________________

An der Förster & Nicolaus – Orgel:

RAINER NOLL

Zum Programm:

 

Johann Sebastian Bachwurde am 21. März 1685 in Eisenach geboren. 1703-07 Organist in Arnstadt. 1707-08 Organist an St. Blasius in Mühlhausen. 1708-17 Hoforganist, Cembalist und Violinist (seit 1714 auch Hofkonzertmeister) in Weimar. 1717-23 Hofkapellmeister in Köthen. Ab 1723 Kantor der Thomaskirche und „Kirchenmusikdirektor“ der Stadt Leipzig, wo er am 28. Juli 1750 starb.

 

Die freien Werke des heutigen Abends stammen aus unterschiedlichen Schaffensperioden.

Das Konzert wird eröffnet mit dem feierlichen Präludium und Fuge C-dur, das Bach wohl in Weimar geschrieben hat.

In der Canzona schlägt sich Bachs Beschäftigung mit italienischen Komponisten nieder, wie er sie in der frühen Weimarer Zeit betrieben hat. Das Werk besteht aus zwei vokal inspirierten Fugen über das gleiche, rhythmisch abgewandelte Thema. Die erste steht im 4/4- Takt, die zweite im 3/2-Takt.

Die Fantasie G-dur (in den meisten Quellen als Pièce d’orgue bezeichnet) geht auf französische Vorbilder zurück. Mit Sicherheit ist sie vor 1715 entstanden, mir großer Wahrscheinlichkeit sehr viel früher. Das Werk ist dreiteilig: nach einer lebhaften, „Très vitement“ überschriebenen einstimmigen Einleitung folgt ein grandioser fünfstimmiger Satz („Gravement“) und ein dramatischer Schlußteil über einem chromatisch absinkenden Baß („Lentement“).

Das Präludium und Fuge h-moll entstand in Leipzig zwischen 1727 und 1731. Daß Bach eine sehr schöne Reinschrift anfertigte, zeugt von seiner Wertschätzung dieses Werkes. Das äußerst affektgeladene Präludium ist im Stil eines Concerto mit abwechselnden Tutti- und Solopassagen geschrieben. Die Fuge mit ihrem auffallend schlichten Thema ist dreiteilig angelegt. Nach dem fast verträumten Mittelteil erfolgt eine gewaltige Schlußsteigerung. Charles-Marie Widor liebte diese Fuge besonders wegen ihres überirdischen Wesens.

 

Die drei großen Choralbearbeitungen des heutigen Programms finden sich in den „Leipziger Chorälen“, einer Sammlung von Choralvorspielen aus verschiedenen Schaffensperioden, die Bach am Lebensende zusammengestellt hat und an denen er bis zu seinem Tode selbstkritisch Verbesserungen anbrachte. Diese Sammlung war wohl, wie andere, die er im Alter druckfertig gemacht hatte, für die Veröffentlichung bestimmt. Die darin aufgenommenen Werke, deren Revision er seinen Lebensabend widmete, müssen ihm viel bedeutet haben. Diese großangelegten Choralwerke erschließen sich nicht gleich beim ersten Hören; erst nach und nach begreift man ihre erhabene Schönheit.

 

Das ganze Choralvorspiel wird vom Bachschen Freudenrhythmus beherrscht, der in einem ausschließlich aufwärtsstrebenden Motiv erscheint. Damit ist die Erwartung des seiner Straßen ziehenden Erdenpilgers himmelwärts gerichtet: auf die zukünftigen Freuden in der Ewigkeit. Die in großer Gelassenheit im Tenor vorgetragene Melodie symbolisiert diesen Pilger. Doch sein Weg ist alles andere als gefahrlos und leicht: dies wird in starker Spannung zum Freudenmotiv deutlich in der harschen, mit allerlei Dissonanzen gespickten Harmonik. Bach verwendet in diesem Werk den gesamten Tonraum seiner barocken Orgel (C-c“‘), also vom einen Ende der Tastatur bis ans andere. Damit will er sagen: gleichwo der Pilger „sei im Land“, und wenn er den ganzen Welt-Raum bis ans Ende durchmäße, immer ist er noch geborgen in Gottes Hand. In Strophe 7 werden diese Gedanken besonders deutlich: Obwohl ich hier schon dulde / viel Widerwärtigkeit, / wie ich auch wohl verschulde, / kommt doch die Ewigkeit, / ist aller Freuden voll, / die ohne alles Ende, / dieweil ich Christus kenne, / mir widerfahren soll.
Über diesen Choral hat Bach die meisten Choralvorspiele geschrieben. Bei aller Verschiedenheit haben diese Bearbeitungen eines gemeinsam: den schwebenden, innigen Charakter. So erinnert Bach daran, daß es sich bei „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ eigentlich um den Hymnus angelicus handelt, also um das „Gloria in excelsis deo“, das die über dem Stall von Bethlehem schwebenden Engel in der Weihnachtsnacht gesungen haben.

In der Version, die wir heute hören, vertont Bach nicht ein pompöses „Gloria“, sondern eher ein demütiges „Kyrie“ gemäß dem Schluß der 3. Strophe: „…erbarm dich unser aller“. Gerade in der Weihnachtsnacht steigt nicht nur der Lobgesang der Engel zu Gott in die Höhe, sondern Gott neigt sich vom Himmel herab in der Menschwerdung Jesu, der schließlich sein Liebeswerk am Kreuz zu unserer Erlösung vollendet. Wie subtil Bach diesen Gedanken gleich zu Beginn musikalisch darstellt, möge folgendes Notenbeispiel zeigen:

 

Der aufsteigende Anfang der ersten Choralzeile wird bildlich durchkreuzt von einer Abwärtsbewegung, die das ganze Werk durchzieht. „Ein ganz incommensurables Musikstück“ nennt der Bach-Biograph Philipp Spitta diese Choralbearbeitung.

 

Bach hat zwei große Bearbeitungen über diesen herrlichen Choral geschrieben. In der einen läßt er das Brausen des Heiligen Geistes im pfingstlichen Jubel hören. Die andere, die wir heute hören, ist introvertiert und verkündet das Mysterium des stillen, sanften Wirkens des Geistes. Jede Choralzeile wird in allen Stimmen vorimitiert, bis sie zuletzt in der Oberstimme wie eine Erleuchtung erstrahlt. Unmittelbar nach dem Halleluja bricht freudiger Jubel aus.

Bachkonzert 2000

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Kantate BWV 75 „Die Elenden sollen essen“

für Sopran, Countertenor, Tenor, Bass, Trompete, Oboen, Oboe d’amore,

Streicher und Basso continuo

 

„Vor deinen Thron tret ich hiermit“ BWV 668

für Sopran, Oboe d’amore, Streicher und Basso continuo

bearbeitet von Rainer Noll

Kantate BWV 76 „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“

für Sopran, Countertenor, Tenor, Bass, Trompete, Oboen, Oboe d’amore,

Sreicher und Basso continuo

Die Ausführenden:

 

Susanne Frühhaber (USA/Düsseldorf), Sopran

Joachim Diessner (Köln), Countertenor

Christoph Leonhardt (Dresden), Tenor

Markus Lemke (Heidelberg), Bass

Idsteiner Vokalisten

Heidelberger Kantatenorchester

Martin Nitz (Hamburg), Orgelcontinuo

 

Leitung: Rainer Noll

 

Zum Programm:

Im Jahre 1723 wurde Johann Sebastian Bach, seit sechs Jahren „hochfürstlicher“ Hofkapellmeister zu Köthen, zum Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt Leipzig gewählt. Er blieb sozusagen übrig, nachdem berühmtere Musiker wie Telemann und Graupner abgesagt hatten, und so kam es denn auch zu der bekannten Äußerung des Dr. Platz, festgehalten im Protokoll der Sitzung des Leipziger Stadtrates: „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man mittlere nehmen.“ Allein Bürgermeister Lange hatte den größeren Durchblick: „Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann … vergessen“. Dennoch: Niemand wurde sich im damaligen Leipzig (und ebenso andernorts) bewusst,  dass ihr Kantor, den man immer wieder von amtswegen „subalternieren“ zu müssen glaubte, unter oft verdrießlichen Umständen in stetigem, stillen Fleiß Werke von Weltrang schuf, für deren Überlieferung er selbst wenig tat. Stattdessen musste er sich noch von kleinkarrierten Ratsherren, von denen nichts als ihre wichtigtuerische Bedeutungslosigkeit der Nachwelt zu berichten bleibt, vorwerfen lassen: „Nicht allein tue der Kantor nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären … es müsse doch einmal brechen.“ Man drohte ihm das Gehalt zu  „verkümmern“, da er „incorrigibel“ (unverbesserlich) sei. Und 1730 hieß es im Rat bei der Wahl eines neuen Rektors für die Thomasschule, man möge hier besser fahren als mit der Wahl des Kantors. Bei der schon zu Bachs Lebzeiten geschmacklos betriebenen Wahl seines Nachfogers resümierte man im Stadtrat: „… man brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister!“ (auf heutige Verhältnisse übertragen: einen „Gemeindemusiker“ – aber bitte ohne künstlerische Ambitionen!). Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis Bachs Größe in breiteren Kreisen erkannt  zu werden begann.

 

Zu Bachs Aufgaben gehörte es u.a., für jeden sonntäglichen Hauptgottesdienst eine Kantate zu liefern und aufzuführen. Dieser Gottesdienst begann um 7 Uhr in der Frühe und dauerte 3-4 Stunden (je nach Jahreszeit in der stets unbeheizten Kirche!). Er stellte ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis dar und wurde regelmäßig von über 2000 (!!) Menschen besucht (und dies, obwohl um 11:30 Uhr die hauptsächlich von Handwerksburschen und Gesinde besuchte „Mittagspredigt“ und um 13:30 Uhr die „Vesper“ folgten – beide ebenfalls stark frequentiert wie die täglich stattfindenden Werktagsgottesdienste!).

So wurde sicher mit großer Spannung die erste Kantatenaufführung Bachs nach seiner Wahl erwartet. Dieser trat sein Amt als Director musices, als der er für die Musik in den vier Hauptkirchen Leipzigs zuständig war, am 1. Sonntag nach Trinitatis (30. Mai 1723) in der Nicolaikirche an mit der  Kantate Nr. 75 „Die Elenden sollen essen“:

Dieses Werk hat Bach noch in Köthen komponiert. Erst am 22. Mai, dem Samstag vor Trinitatis des Jahres 1723, war er mit seiner Familie (mit Frau Anna Magdalena, fünf Kindern und einer Schwägerin) und vier Wagen voll Hausrat in Leipzig angekommen, um die Kantorenwohnung in der Thomasschule zu beziehen.

Die Kantate ist zweiteilig. Der erste Teil wurde unmittelbar nach der Evangelienlesung aufgeführt, während der zweite Teil nach der Predigt, die vorgeschriebenermaßen eine Stunde zu dauern hatte, in der Abendmahlsliturgie direkt nach den Einsetzungsworten erklang (dies gilt auch für die zweite Kantate des heutigen Konzertes). Evangelium zum Sonntag nach Trinitatis ist das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus (Luk. 16, 19 – 31), aus dem sich die Thematik des Kantatentextes ergibt. Quasi als Ergebnis der Auslegung werden beide Kantatenteile von dem mit freudigen Orchesterfigurationen ausgeschmückten Choral „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ beschlossen. Die den zweiten Teil einleitende Sinfonia ist ebenfalls eine Bearbeitung dieses Chorales für Orchester – ein einzigartiger Fall in Bachs Schaffen. „Hier handelt es sich nicht um ein altmodisches Vorimitations-Präludium, in dem jede Melodiezeile durch eine Serie von imitativen Einsätzen vorbereitet wird. Vielmehr liegt hier ein modernes konzertantes Choralvorspiel vor, in dem  die phrasenweise Imitation durch ein einziges vereinheitlichendes Ritornell abgelöst worden ist.“ (George B. Stauffer in „Die Welt der Bach-Kantaten“, Bd. 3, Stuttgart und Kassel 1999, S. 162)

Die „Acta Lipsiensium academica“, die Chronik der Universität, berichtet unter den Ereignissen vom Mai 1723 über die Aufführung: „Den 30. dito als am 1. Sonnt. nach Trinit. führte der neue Cantor u. Collegii Musici Direct. Hr. Joh. Sebastian Bach, so von dem Fürstl. Hofe zu Cöthen hieher kommen, mit guten applausu seine erste Music auf.“ – „ »Mit guten applausu« (in übertragener Bedeutung; geklatscht wurde selbstverständlich nicht) klingt nicht gerade überschwenglich.“ (Alfred Dürr, „Die Kantaten von Joh. Seb. Bach“, Kassel – Basel – London 1981, S. 326) Aber man war mit ihm zufrieden – fürs erste jedenfalls. „Daß Bach seine Antrittskantate BWV 75 »mit gutem applausu« aufgeführt habe (…) oder daß eine seiner Ratswechselkantaten als eine »so künstlich [kunstvoll] als angenehme Music« empfunden wurde, bleiben die einzigen öffentlichen Reaktionen auf ein musikalisches Repertoire, das seinesgleichen nicht kannte.“ (Christoph Wolff in „Die Welt der Bach-Kantaten“, Bd. 3, Stuttgart und Kassel 1999, S. 35)

 

Eine Woche später, am 6. Juni 1723, führte Bach die bereits in Leipzig geschriebene zweite Kantate des heutigen Abends in der Thomaskirche auf,

„Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ BWV 76:

Diese Kantate steht der ersten nicht nur entstehungszeitlich nahe, sondern auch formal und besetzungsmäßig. Beide Kantaten sind zweiteilig angelegt, beide bestehen aus zweimal sieben Sätzen (7 = heilige Zahl, 7 + 7 = 14 = Quersumme des Namens BACH – ob Bach dies mit Absicht so wählte?), in beiden wird Teil II von einer instrumentalen Sinfonia eingeleitet und die beiden Teile werden jeweils mit einem musikalisch identischen Chor beschlossen. Auch die Eingangschöre zeigen gleichen Aufbau: nach einem Einleitungsteil (im Falle von BWV 75 im französischen Ouvertürenrhythmus) folgt eine Fuge. Als Text für beide Eingangschöre wählte Bach Psalmverse (in BWV 75 Psalm 22, 27).

Als Evangelienlesung ging BWV 76 das Gleichnis vom großen Gastmahl (Luk. 14, 16 – 24) voraus. Der Eingangschor über Psalm 19, 2 und 4 ist ein Lobpreis des gesamten Kosmos auf die Herrlichkeit Gottes. „Wer einmal in seinem Leben die wunderbaren Themen, in denen Bach die zwei Psalmverse des ersten Chors darstellt, gehört hat, kann sie nimmer vergessen. Überhaupt gehört dieser Chor zu denjenigen des Meisters, die am elementarsten wirken. Er berauscht geradezu.“ schreibt Albert Schweitzer („Joh. Seb. Bach“, Wiesbaden 1960, S. 504). Die kammermusikalisch gehaltene Sinfonia, die Teil II einleitet, hat Bach später mit kleinen Änderungen als 1. Satz seiner Orgeltriosonate e-moll BWV 528 wiederverwendet. Zu dem fallenden Bassmotiv des Schlusschorals (mit dem Schlusschoral von Teil I identisch) meint Schweitzer: „Man sieht eine große Menschenmenge niederkniend das Haupt beugen.“ (a.a.O., S. 505)

 

Wenn Bach in einer Eingabe vom 15. August 1736 an den Rat der Stadt Leipzig seine Werke als „ohngleichen schwerer und intricater [verwickelter]“ bezeichnet, so liefern bereits seine beiden ersten Leipziger Kantaten den besten Beweis dafür. Es war ungeheuerlich, was er seinem Ensemble gleich zu Beginn abverlangte, und es ist bis heute eine Herausforderung geblieben.

 

Zwischen diese beiden Kantaten stelle ich als Ruhepunkt die Choralbearbeitung „Vor deinen Thron tret ich hiermit“ BWV 668, die ich vom Heidelberger Kantatenorchester und den Idsteiner Vokalisten (cantus firmus) ausführen lasse. Nach alter Manier wird jede Choralzeile imitatorisch vorbereitet, bis der Sopran zuletzt mit der Melodie einsetzt. Dieses Werk hatte Bach schon früher unter dem Titel „Wenn wir in höchsten Nöten sein“ komponiert:

Wenn wir in höchsten Nöten sein

und wissen nicht, wo aus noch ein,

und finden weder Hilf noch Rat,

ob wir gleich sorgen früh und spat,

 

so ist dies unser Trost allein,

dass wir zusammen insgemein

dich anrufen, o treuer Gott,

um Rettung aus der Angst und Not.

Nun nahm er es sich nach einem am 20. Juli 1750 erlittenen Schlaganfall, also in den letzten acht Tagen seines Lebens, zur Revision vor. Er ließ es sich von einem Freunde auf dem Pedalcembalo vorspielen und diktierte diesem die Korrekturen, da er nach zwei misslungenen Augenoperationen vollends erblindet war. Den Choraltitel änderte er in „Vor deinen Thron tret ich hiermit“ (dieser Choral wurde zur gleichen Melodie gesungen):

 Vor deinen Thron tret ich hiermit,

o Gott, mit inniglicher Bitt:

ach, kehr dein liebreich Angesicht

von mir, dem armen Sünder nicht.

Er fühlte das baldige Ende nahen und hatte die „höchsten Nöte“ wohl innerlich bereits überwunden. Bis zum letzten Atemzug strebte er so nach musikalischer Vollkommenheit, um damit in Würde vor Gottes Thron treten zu können – Soli Deo Gloria (Gott allein zu Ehren – wie er unter alle seine Partituren schrieb). Wie lebendiges Wasser aus reinster Quelle, so floss Bachs höchster künstlerischer Anspruch aus tiefster Religiosität.

Somit umspannt dieses Programm zum 250. Todestag Bachs Leipziger Zeit vom Amtsantritt bis zu seinem Tode am  Dienstag, dem 28. Juli des Jahres 1750, abends kurz nach Viertel nach acht.

Bachkonzert 2001

Programm

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Sinfonia E – Dur BWV 49 Nr. 1

für Orgel und Orchester

Kantate BWV 124 „Meinen Jesum laß ich nicht“

für Sopran, Countertenor, Tenor,

Oboe d’amore, Streicher und Basso continuo

Doppelkonzert d – moll BWV 1060

für Violine, Oboe, Streicher und Basso continuo

Allegro – Adagio – Allegro

Kantate BWV 177 „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“

für Sopran, Countertenor, Tenor,

Oboen, Oboe da caccia, Streicher und Basso continuo

Die Ausführenden:

Kerstin Steube (Heidelberg), Sopran

Joachim Diessner (Köln), Countertenor

Christoph Leonhardt (Dresden), Tenor

 Idsteiner Vokalisten

Heidelberger Kantatenorchester

Martin Nitz (Hamburg), Orgel

Leitung: Rainer Noll

Zum Programm:

Im Jahre 1723 wurde Johann Sebastian Bach, seit sechs Jahren „hochfürstlicher“ Hofkapellmeister zu Köthen, zum Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt Leipzig gewählt. Er blieb sozusagen übrig, nachdem berühmtere Musiker wie Telemann und Graupner abgesagt hatten, und so kam es denn auch zu der bekannten Äußerung des Dr. Platz, festgehalten im Protokoll der Sitzung des Leipziger Stadtrates: „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man mittlere nehmen.“ Allein Bürgermeister Lange hatte den größeren Durchblick: „Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann … vergessen“. Dennoch: Niemand wurde sich im damaligen Leipzig (und ebenso andernorts) bewusst, dass ihr Kantor, den man immer wieder von amtswegen „subalternieren“ zu müssen glaubte, unter oft verdrießlichen Umständen in stetigem, stillen Fleiß Werke von Weltrang schuf, für deren Überlieferung er selbst wenig tat. Stattdessen musste er sich noch von kleinkarrierten Ratsherren, von denen nichts als ihre wichtigtuerische Bedeutungslosigkeit der Nachwelt zu berichten bleibt, vorwerfen lassen: „Nicht allein tue der Kantor nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären … es müsse doch einmal brechen.“ Man drohte ihm das Gehalt zu „verkümmern“, da er „incorrigibel“ (unverbesserlich) sei. Und 1730 hieß es im Rat bei der Wahl eines neuen Rektors für die Thomasschule, man möge hier besser fahren als mit der Wahl des Kantors. Bei der schon zu Bachs Lebzeiten geschmacklos betriebenen Wahl seines Nachfogers resümierte man im Stadtrat: „… man brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister!“ (auf heutige Verhältnisse übertragen: einen „Gemeindemusiker“ – aber bitte ohne künstlerische Ambitionen!). Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis Bachs Größe in breiteren Kreisen erkannt zu werden begann.

Zu Bachs Aufgaben gehörte es u.a., für jeden sonntäglichen Hauptgottesdienst eine Kantate zu liefern und aufzuführen. Dieser Gottesdienst begann um 7 Uhr in der Frühe und dauerte 3-4 Stunden (je nach Jahreszeit in der stets unbeheizten Kirche!).

Er stellte ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis dar und wurde regelmäßig von über 2000 (!!) Menschen besucht (und dies, obwohl um 11:30 Uhr die hauptsächlich von Handwerksburschen und Gesinde besuchte „Mittagspredigt“ und um 13:30 Uhr die „Vesper“ folgten – beide ebenfalls stark frequentiert wie die täglich stattfindenden Werktagsgottesdienste!).

Als festliche Eröffnung des heutigen Konzertes habe ich der ersten Kantate einen Instrumentalsatz vorangestellt, der wie diese in strahlendem E-Dur steht und außer der Solo-Orgel die gleiche Besetzung hat: Die Sinfonia E – Dur ist die Übertragung des 3. Satzes des wohl schon in Köthen komponierten Cembalokonzertes in E – Dur für Orgel und Orchester. Ursprünglich hatte sie Bach als Einleitung der 1726 aufgeführten Kantate BWV 49 „Ich geh‘ und suche mit Verlangen“ geschrieben. Ich folge also damit der Leipziger Praxis Bachs, der gelegentlich eine Kantate mit einem passend umgearbeiteten Konzertsatz eröffnete.

Vom 11. Juni 1724 bis 25. März 1725 arbeitete Bach an seinem zweiten Leipziger Kantatenjahrgang mit der fast wöchentlichen Lieferung einer Kantate, der er jeweils ein Gesangbuchlied zugrunde legte. Mit dieser selbst gewählten Aufgabe ließ Bach sich auf das ehrgeizigste und umfassendste Großprojekt seines Lebens ein. Bach stand in der wohl produktivsten Phase seines gesamten Kantatenschaffens. Der Bach-Forscher Friedhelm Krummacher beginnt sein Buch „Bachs Zyklus der Choralkantaten“ (Göttingen 1995, S. 7) mit den zusammenfassenden Worten: „Der Vorsatz Johann Sebastian Bachs, einen ganzen Jahrgang seiner Kantaten der Bearbeitung protestantischer Kirchenlieder zu widmen, bildet das wohl umfassendste Projekt im Werk des Komponisten. Denn singulär blieb nicht nur im Œuvre Bachs, sondern in der Musikgeschichte überhaupt ein solcher Zyklus, der eine vergleichbare Aufgabe zu lösen unternimmt. Ganze Jahrgänge von Kantaten schrieben gewiß auch Bachs Zeitgenossen, und zwar in größerer Zahl als er selbst. Niemand aber verpflichtete sich derart dem Plan, das tradierte Choralgut mit aktuellen Verfahren zu verarbeiten und dabei kompositorische Aktualität mit höchster Qualität zu paaren.“

 

Im Rahmen dieses Zyklus‘ wurde am 7. Januar 1725 (1. Sonntag nach Epiphanias) die Kantate BWV 124 „Meinen Jesum laß ich nicht“ uraufgeführt:

1. Chor Meinen Jesum laß ich nicht,

weil er sich für mich gegeben,

so erfordert meine Pflicht,

klettenweis an ihm zu kleben.

Er ist meines Lebens Licht,

meinen Jesum laß ich nicht.

   
2. Rezitativ

(Tenor)

So lange sich ein Tropfen Blut

in Herz und Adern reget,

soll Jesus nur allein

mein Leben und mein alles sein.

Mein Jesus, der an mir so große Dinge tut:

ich kann ja nichts als meinen Leib und Leben

ihm zum Geschenke geben.

   
3. Arie

(Tenor)

Und wenn der harte Todesschlag

die Sinnen schwächt, die Glieder rühret,

wenn der dem Fleisch verhaßte Tag

nur Furcht und Schrecken mit sich führet,

doch tröstet sich die Zuversicht,

ich lasse meinen Jesum nicht.

   
4. Rezitativ

(Alt)

Doch ach, welch schweres Ungemach

empfindet noch allhier die Seele ?

Wird nicht die hart gekränkte Brust

zu einer Wüstenei und Marterhöhle

bei Jesu schmerzlichstem Verlust?

Allein mein Geist sieht gläubig auf

und an den Ort, wo Glaub und Hoffnung prangen,

allwo ich nach vollbrachtem Lauf

dich, Jesu, ewig soll umfangen.

 
5. Arie

(Sopran, Alt)

Entziehe dich eilends, mein Herze, der Welt,

du findest im Himmel dein wahres Vergnügen.

Wenn künftig dein Auge den Heiland erblickt,

so wird erst dein sehnendes Herze erquickt,

so wird es in Jesu zufrieden gestellt.

   
6. Chor Jesum laß ich nicht von mir,

geh ihm ewig an der Seiten;

Christus läßt mich für und für

zu den Lebensbächlein leiten.

Selig, der mit mir so spricht:

Meinen Jesum laß ich nicht.

Der Eingangschor ist als großer konzertanter Choralchor mit menuettartigem Ritornell ausgeführt, wobei die zu Bachs Zeit gebräuchliche Melodie des Liedes abschnittweise im Sopran erklingt. Bei der uns heute fremd erscheinenden barocken Aussage „klettenweis an ihm zu kleben“ lässt Bach Alt, Tenor und Bass das Wort „kleben“ auf einem gemeinsamem Ton auffallend lang aushalten: das „Kleben“ wird unmittelbar sinnenfällig.

Wie schon der Eingangschor, so bringt der schlichte Schlusschoral noch einmal die Choralmelodie, die somit den Rahmen der Kantate bildet. Auch verwendet Bach hier ebenfalls wie im Eingangschor den unveränderten Text der zugehörigen Strophe des Liedes von Christian Keymann (1658), während in den Binnensätzen ein unbekannter Dichter eine madrigalische Umformung der Strophen 2 – 5 vornahm.

„Der Text dieser (…) Kantate knüpft (…) an die Evangelienlesung [Luk. 2, 41-52: Der zwölfjährige Jesus im Tempel] an: Wie einst die Eltern Jesu, so wünscht auch der gläubige Christ Jesus nicht zu verlieren und ihm in allen Fährnissen nachzufolgen. (…) Im weiteren Verlauf aber entfernen sich biblischer Bericht und Liedtext erheblich voneinander: Jener erzählt vom Wiederfinden Jesu im Tempel; dieser dagegen wendet die Gedanken auf das künftige Erdenleben (Strophe 2), auf Tod (Strophe 3), die Wiedervereinigung mit Jesus nach dem Tode (Strophe 4) sowie die Nichtigkeit der Welt (Strophe 5).“ (Alfred Dürr: Die Kantaten Johann Sebastian Bachs, Kassel 1971, S. 176)

In den Binnensätzen 2 – 5 spielt die Choralmelodie keine Rolle. Besonders aber in der Tenorarie Nr. 3 setzt Bach den Text eindrücklich in Musik: Der „Todesschlag“ ist motivisch in der Oboe d’amore zu hören, während ein kurzes ostinates Repetitionsmotiv der Streicher „Furcht und Schrecken“ hören lässt. In dem Duett Nr. 5 tanzt quasi das gläubige Herz im Freudentaumel in den Himmel hinein und entzieht sich hörbar eilends der Welt.

Nur für das kurze Rezitativ Nr. 4 verlangt Bach eine Bassstimme. Da der Bass aber im ganzen heutigen Konzert keine weitere Aufgabe hätte, folge ich auch hier der Bachschen Praxis der Anpassung an die Umstände und lasse dieses Rezitativ eine Oktave höher vom Countertenor singen, was zugleich ohne jede künstlerische Einbuße möglich ist.

 

Zwischen die beiden Kantaten stelle ich wieder ein Instrumentalkonzert:

Bei dem Doppelkonzert d – moll für Violine, Oboe und Streicher handelt es sich um die Rekonstruktion eines verschollenen Konzertes, das Bach als Vorlage für sein um 1736 entstandenes Konzert c – moll für zwei Cembali und Orchester BWV 1060 gedient hat.

 

Warum Bach seinen Zyklus der Choralkantaten der Jahre 1724/25 nicht vollendet hat, ist bis heute unklar. Fest steht aber, dass er in den folgenden Jahren immer wieder bemüht war, ihn zu komplettieren – schon hier zeigt sich seine sammelnde und bewahrende Haltung, die in seiner Leipziger Spätzeit vorherrschend wurde. So entstand 1732 ein solches Meisterwerk wie die Kantate BWV 177 „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“, die Bach am 6. Juli dieses Jahres (4. Sonntag nach Trinitatis) uraufführte:

1.
Chor

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ,

ich bitt, erhör mein Klagen,

verleih mir Gnad zu dieser Frist,

laß mich doch nicht verzagen,

den rechten Glauben, Herr, ich mein,

den wollest du mir geben,

dir zu leben,

mein’m Nächsten nütz zu sein,

dein Wort zu halten eben.

   
2.
Arie
(Alt)

Ich bitt noch mehr, o Herre Gott,

du kannst es mir wohl geben,

daß ich werd nimmermehr zu Spott,

die Hoffnung gib darneben,

voraus, wenn ich muß hier davon,

daß ich dir mög vertrauen

und nicht bauen

auf alles mein Tun,

sonst wird mich’s ewig reuen.

 

3. Arie

(Sopran)

Verleih, daß ich aus Herzens Grund

mein‘ Feinden mög vergeben,

verzeih mir auch zu dieser Stund,

gib mir ein neues Leben,

dein Wort mein Speis laß allweg sein,

damit mein Seel zu nähren,

mich zu wehren,

wenn Unglück geht daher,

das mich bald möcht abkehren.

   
4. Arie

(Tenor)

Laß mich kein Lust noch Furcht von dir

in dieser Welt abwenden.

Beständigsein ans End gib mir,

du hast’s allein in Händen,

und wem du’s gibst, der hat’s umsonst,

es kann niemand ererben

noch erwerben

durch Werke deine Gnad,

die uns errett‘ vom Sterben.

 
5. Chor Ich lieg im Streit und widerstreb,

hilf, o Herr Christ, den Schwachen !

An deiner Gnad allein ich kleb,

du kannst mich stärker machen.

Kömmt nun Anfechtung, Herr, so wehr,

daß sie mich nicht umstoße.

Du kannst maßen,

daß mir’s nicht bring Gefahr,

ich weiß, du wirst’s nicht lassen.

„Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“ war eines der Hauptlieder des 4. Trinitatissonntages, das besonders in seiner 3. Strophe der Grundhaltung des zugehörigen Sonntagsevangeliums nahe steht (Luk. 6, 36-42: Bergpredigt, Zurückhaltung im Richten). Bach verzichtet in dieser Kantate ganz auf Rezitative und verwendet die fünf Strophen des Liedes von Johann Agricola (um 1530) ohne jede Textänderung.

 

Wie bei der ersten Kantate erscheint die Choralmelodie im Sopran des prächtig instrumentierten, herben, aber harmonisch äußerst reichen und umfangreichen Eingangschores und im Schlusschoral. In den Binnensätzen 2 – 4 sind nur spärliche Anklänge an die Melodie zu vernehmen. Sie sind alle als Arien ausgeführt, die eine Steigerung vom Continuosatz der Altarie Nr. 2 über den Triosatz der Sopranarie Nr. 3 mit Oboe da caccia und Basso continuo bis zum Quartettsatz der Tenorarie Nr. 4 mit Solovioline, Solocello und Basso continuo erfahren.

 

Statt des Solocellos sieht Bach nur für diese eine Arie eigentlich ein Fagott vor, aber aus den bereits erwähnten praktischen Gründen lasse ich diese Partie vom Violoncello ausführen

 

Im vergangenen Jahr wurde im Bach-Konzert Bachs Leipziger Amtsantritt und sein Ende in Leipzig musikalisch thematisiert. Heute erhalten wir exemplarisch einen gewichtigen Einblick in sein Leipziger Vokal- und Instrumentalschaffen, besonders aber in sein größtes Projekt: den Zyklus der Choralkantaten.

Rainer Noll

 

 

Zu den Ausführenden:

KERSTIN STEUBE, Sopran

Kerstin Steube studierte an der Musikhochschule in Mannheim Gesangspädagogik und absolvierte anschließend ein künstlerisches Aufbaustudium in Karlsruhe bei Christiane Hampe. Sie nahm an zahlreichen Meisterkursen u. a. bei Julia Hammari, Ulrich Eisenlohr, Gerd Türk und Judith Beckmann teil. Zu ihrem Repertoire zählen die oratorischen Werke und Opern der Barockzeit bis zur Klassik, aber auch insbesondere die Lieder von Franz Schubert, Hugo Wolf und Richard Strauss. Ihre rege Konzerttätigkeit führt sie durch ganz Deutschland u. a. in Zusammenarbeit mit namhaften Orchestern und Ensembles wie dem Radiosinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, der Landesphilharmonie Rheinland-Pfalz, dem Asco-Ensemble Amsterdam und dem Ensemble Modern Frankfurt.

 

JOACHIM DIESSNER, Countertenor

wurde geboren in Süchteln / Niederrhein und begann seine musikalische Ausbildung mit Klavier- und Orgelunterricht. Nach dem Abitur zunächst Studium der Theologie, Gesangsunterricht bei Alastair Thompson, später Studium am königlichen Konservatorium in Den Haag, anschließend bei Prof. Philip Langshaw
in Köln. Teilnahme an mehreren Meisterkursen u.a. bei Jessica Cash, zudem regelmässiger Unterricht bei Drew Minter sowie Michael Chance. Als Mitglied mehrere Ensembles entstanden Rundfunk- und CD-Aufnahmen unter Hermann Max, Sigiswald Kuijken, Jordi Savall und Frieder Bernius. Joachim Diessner gastierte an den Opernhäusern in Münster, Frankfurt, Darmstadt, Konstanz, sowie am Kampnagel-Theater in Hamburg und dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth. Zu seinen Partien gehörten u.a. die Titelrolle in Pietro Torris Oper ‚Amadis‘, Hercules in Händels ‚The choice of Hercules‘, ‚Bacchus‘ in Arianna von Monteverdi/Goehr sowie die Titelrolle in Offenbachs ‚La Grande-Duchesse de Gerolstein‘. Zudem ist er regelmässiger Gast bei verschiedenen renommierten Festivals im In- und Ausland, u. a. 6 Jahre in Folge bei der Styriarte Graz, den Berliner Festwochen, den Heidelberger Bachtagen, dem Händel-Festival in Halle sowie dem Festival für Alte Musik in Varaszdin. Jüngste Produktionen führten ihn ans Brandenburger Opernhaus, wo er im Jahre 2000 auch als künstlerischer Leiter die Planung und Organisation der Tage für Alte Musik übernahm. Zahlreiche Radio- und CD-Aufnahmen dokumentieren darüber hinaus seine Arbeit.

CHRISTOPH LEONHARDT, Tenor

geboren in Bad Nauheim; schon während seiner Schulzeit nebenamtlicher Chorleiter und Organist sowie Mitwirkung in ver- schiedenen Vokalensembles. Nach dem Abitur zunächst Studium der evang. Theologie und der Musikwissenschaft in Frankfurt / Main,

Erlangen und Mainz. Seit 1996 Gesangsstudium an der Dresdener

Musikhochschule bei Frau Prof. Helga Köhler-Wellner. Beschäftigung vor allem mit der Musik des 16. – 18. Jahrhunderts mit Schwerpunkt Kantaten, Oratorien und Passionen des Barock sowie Messen der Klassik. Mitwirkung u. a. beim Eröffnungskonzert eines Projektes des Sächsischen Musikrates, in dem im Bach-Jahr 2000 alle Bach-Kantaten des ersten Leipziger Jahrganges aufgeführt wurden.

 

Solisten des Heidelberger Kantatenorchesters:
VASYLZA KOPETS, Oboe

geboren 1976 in Lemberg/Ukraine, besuchte eine Spezialschule mit Konservatorium in Lemberg. Danach unterrichtete ihn, an der belorussischen Akademie für Musik, Prof. Boris Nitschkow im Hauptfach Oboe. Seit 1999 vervollständigt er sich im Aufbaustudium bei Prof. W. Liebermann an der Musikhochschule Mannheim. Er war als Mitglied mehrerer internationaler Festivals und Meisterkurse (z. B. Kazimierz Dawidek, Christian Wetzel) und erhielt verschiedene 1. Preise bei internationalen Wettbewerben. Nach einer vierjährigen Tätigkeit im staatlichen Orchester der Republik Weissrussland und einer Aushilfetätigkeit im Philharmonischen Orchester Heidelberg ist er seit 2000 Assistent an der Europäischen Oboenschule in Rheinland-Pfalz.

 

RAHEL VOIGT, Oboe – Oboe d‘amore – Oboe da caccia

geboren 1975, studierte nach dem Abitur Musik mit dem Hauptfach Oboe bei Prof. W. Liebermann an der Musikhochschule Mannheim. In der Spielzeit 1999/2000 absolvierte sie ein Praktikum im Staatsorchester Rheinische Philharmonie in Koblenz und ab der Spielzeit 2001/2002 ist sie als Oboistin im Nationaltheater Mannheim verpflichtet.

 

VALERIA PUSCHKINA, Violine

wurde 1980 in Lwow in der Ukraine geboren. Seit frühester Kindheit lernte sie bei ihrer Mutter Violine. Im Alter von sieben Jahren wurde sie an die Musikschule für begabte Kinder im Fach Violine aufgenommen. 1995 nahm sie an den Jugendfestspielen für Orchester und Kammermusik in Bayreuth teil. Seit ihrem 17. Lebensjahr studiert sie an der Musikhochschule Mannheim mit dem Hauptfach Violine bei Prof. Roman Nodel.

 

MANFRED BECKER, Violine

geboren 1936, erhielt mit 8 Jahren ersten Violin-Unterricht. Auf Wunsch des Vaters, selbst begeisterter Amateurmusiker, sollte dies der Beginn einer Ausbildung zum Berufsmusiker sein. Im Alter von 14 Jahren Vorschüler an der Musikhochschule Mannheim, mit 19 Jahren Abitur und kurz darauf erfolgreiches Probespiel am Nationaltheater Mannheim. Danach Studium der Physik an der Universität Heidelberg, nach dessen Abschluss Lehrtätigkeit zunächst am Gymnasium, dann als Fachleiter für Physik am Studienseminar Heidelberg. Daneben pflegte er das Geigenspiel als intensiv betriebenes Hobby.

ANKE STEINMETZ, Violine

geboren 1971 in Saarbrücken, erhielt ihre erste geigerische Ausbildung von ihrer Mutter. Sie studierte nach dem Abitur Musik mit dem Hauptfach Violine in Klagenfurt bei Brian Finlayson und Helfried Fister. Sie nahm an zahlreichen internationalen Meisterkursen teil, u.a. Igor Ozim, Denes Zsigmondy, sowie bei der Kammermusikklasse von Bill Hennessy am Royal Melbourne Conservatory in Melbourne. Sie war Mitglied des Schleswig-Holstein-Festival-Orchesters, und der Jungen Deutschen Philharmonie. Sie konzertierte mit verschiedenen Kammermusikensembles, sowie mit der Pianistin Maria Rapp. Sie studierte zusätzlich Medizin in Heidelberg und Freiburg und promoviert derzeit während ihres AiP in Freiburg.

 

ZORA GROSSER, Viola

geb. 1976 in Mannheim, studiert seit 1997 nach ihrem Abitur Musik mit dem Hauptfach Viola zunächst bei Prof. Hideko Kobayashi an der Musikhochschule Mannheim und seit 2001 bei Prof. Johannes Lüthy an der Musikhochschule Karlsruhe. Sie hat in mehreren Jahren Bundespreise bei Jugend musiziert erhalten, hat sich in mehreren Kammermusikkursen und Meisterkursen weitergebildet (z.B. Prof. Reiner Ginzel und Rainer Moog), war Mitglied in mehreren Orchestern junger Musiker und hat seit 2001 eine Praktikantenstelle in Philharmonischen Orchester Südwestfalen.

 

WERNER BALL, Violoncello

hat in Heidelberg Musik studiert (Hauptfach Violoncello) und war danach Mitglied in Orchester des Nationaltheaters Mannheim. Nach einem zweiten Studium wurde er promovierter Diplom-Chemiker. Er hat stets sowohl industrielle als auch künstlerische Tätigkeit kombiniert. Seit 40 Jahren organisiert er das „Heidelberger Kantatenorchester“

 

MICHAEL SCHNEIDER, Kontrabass

geboren 1950 in Lüneburg, ist seit 1979 Solokontrabassist des Philharmonischen Orchesters Heidelberg. Geprägt wurde sein Musikverständnis ebenso durch die klassische Kontrabassausbildung, wie durch Old Time, Modern Jazz, Irish-Folk-Unterricht bei den DUBLINERS, und neuerdings auch durch den Einfluss des in Paris lebenden Francois Rabbath, des „Menuhin am Kontrabass“. Neben zahlreichen Platten-, Rundfunk-, und Fernsehaufnahmen hat er zahlreiche zeitgenössische Werke für Kontrabass zur Uraufführung gebracht.

 

MARTIN NITZ, Orgel

geboren in Oldenburg; Besuch des Humanistischen Gymnasiums; nach dem Abitur Pädagogik-Studium an der damaligen PH (jetzt Universität) in Oldenburg (Hauptfach Musik) mit Abschluss Staatsexamen; Anschluss-Studium der Schulmusik an der Hamburger Musikhochschule (Hauptfächer: Klavier und Komposition; daneben Blockflöten- und Cembalostudium sowie Aufführungspraxis Alter Musik). 1972 Lehrauftrag für Blockflöte an der Hochschule für Musik. 1973 Cembalodiplom; 1974 Abschluss des Schulmusikstudiums. Seit 1975 Professor und hauptamtlicher Dozent für Blockflöte. Ab 1980 rege Herausgebertätigkeit für Blockflötenmusik des Früh- und Hochbarock bei verschiedenen deutschen, schweizer und österreichischen Verlagen.

 

Die IDSTEINER VOKALISTEN

wurden 1992 von der Sopranistin Karla Härtl gegründet, die in Idstein eine Gesangsschule leitet. Karla Härtl war von 1980 – 1990 Stimmbildnerin der Kantorei St. Martin und wirkte über 15 Jahre als Solistin bei Kirchenmusiken an St. Martin in Kelsterbach und anderenorts mit. Rainer Noll, seit 1995 projektweise Dirigent dieses Ensembles, führte den leistungsfähigen Kammerchor bereits zu vielbeachteten Höhepunkten.

 

RAINER NOLL – Leitung

wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.

Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“; 1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt; Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach / Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor E. Jacobi und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.

Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. In Kelsterbach hat er sich durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 1977 stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen Namen gemacht. Wie in der Vergangenheit, ist es ihm auch in diesem Jahr wieder gelungen, ein hochkarätiges Programm zusammenzustellen und einzustudieren sowie herausragende Künstlerinnen und Künstler zu gewinnen.

Progr.BK2001

Bachkonzert 2002

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Kantate BWV 43 „Gott fähret auf mit Jauchzen“

für Sopran, Countertenor, Tenor, Bass,

Trompeten, Pauken, Oboen, Fagott, Streicher, Basso continuo und Chor

Ouvertüre D-Dur BWV 1068

für Trompeten, Pauken, Oboen, Streicher und Basso continuo

1. Ouvertüre 2. Air 3. Gavotte I und II 4. Bourrée 5. Gigue

Kantate BWV 149 „Man singet mit Freuden vom Sieg“

für Sopran, Countertenor, Tenor, Bass,

Trompeten, Pauken, Oboen, Fagott, Streicher, Basso continuo und Chor

Die Ausführenden:

Kerstin Steube (Heidelberg), Sopran – Joachim Diessner (Köln), Countertenor

Christoph Leonhardt (Detmold), Tenor – Markus Lemke (Heidelberg), Bass

Idsteiner Vokalisten

Solisten des Heidelberger Kantatenorchesters:

Lukas Beno, Alexander Petry, Clarissa Dold – Trompeten

Heidi Merz – Pauken

Benjamin Mahla, Simone Knapp, Olaf Gramlich – Oboen

Barbara Lucke – Fagott

Annika Möhle, Anke Steinmetz – Violinen

Zora Grosser – Viola

Sebastian Kammerer – Violoncello

Mark Beers – Kontrabass

Martin Nitz – Orgelcontinuo

Leitung: Rainer Noll

 

 

Zum Programm:

Passend zu den diesjährigrn Jubiläen „50 Jahre Stadt Kelsterbach“, „25 Jahre Bach-Konzerte in St. Martin“ und „30 Jahre Rainer Noll Kantor an St. Martin“ ist das heutige Programm ein ausgesprochenes Festtagsprogramm, allein schon von der bisher aufwendigsten Besetzung mit vier Gesangssolisten, drei Trompeten, drei Oboen, Pauken, Fagott, Streichern und Chor her. Die beiden Festtags-Kantaten „Gott fähret auf mit Jauchzen“ BWV 43 und „Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten“ BWV 149 umrahmen die festliche Ouvertüre D-Dur BWV 1068. Beide Kantaten komponierte Bach zu besonderen Anlässen: die erste zum Himmelfahrtstag, die andere zum Michaelistag. So verschieden die beiden Festtage als äußerlicher Ausgangspunkt sein mögen, so sehr laufen beide Kantaten bei Bach auf dieselbe Thematik hinaus: den Sieg Jesu Christi über den Satan und die Höllenmächte und die Freude auf die zukünftige Herrlichkeit vor Gottes Angesicht. Als Motto könnten über dem ganzen Konzert die letzten Zeilen des Schlusschorals der Eingangskantate stehen „Mein Gott, wenn fahr ich doch dahin, woselbst ich ewig fröhlich bin, wenn werd ich vor dir stehen, dein Angesicht zu sehen?“. Das ganze Programm, von festlichem Jubel und klanglicher Prachtentfaltung erfüllt, erweist sich von hier her als doch nicht nur vordergründig „fröhlich“, sondern erhält seine Tiefendimension, indem es zum Vorspiel und Abglanz der zukünftigen Herrlichkeit in Gottes Reich wird. Die Freude, die wir hier und jetzt zum Ausdruck bringen, wird zur Vorfreude, erfüllt von Sehnsucht nach vollkommener Freude, die es in dieser Welt nicht geben kann.

Im Jahre 1723 wurde Johann Sebastian Bach, seit sechs Jahren „hochfürstlicher“ Hofkapellmeister zu Köthen, zum Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt Leipzig gewählt. Er blieb sozusagen übrig, nachdem berühmtere Musiker wie Telemann und Graupner abgesagt hatten, und so kam es denn auch zu der bekannten Äußerung des Dr. Platz, festgehalten im Protokoll der Sitzung des Leipziger Stadtrates: „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man mittlere nehmen.“ Allein Bürgermeister Lange hatte den größeren Durchblick: „Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann … vergessen“. Dennoch: Niemand wurde sich im damaligen Leipzig (und ebenso andernorts) bewusst, dass ihr Kantor, den man immer wieder von amtswegen „subalternieren“ zu müssen glaubte, unter oft verdrießlichen Umständen in stetigem, stillen Fleiß Werke von Weltrang schuf, für deren Überlieferung er selbst wenig tat. Stattdessen musste er sich noch von kleinkarrierten Ratsherren, von denen nichts als ihre wichtigtuerische Bedeutungslosigkeit der Nachwelt zu berichten bleibt, vorwerfen lassen: „Nicht allein tue der Kantor nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären … es müsse doch einmal brechen.“ Man drohte ihm das Gehalt zu „verkümmern“, da er „incorrigibel“ (unverbesserlich) sei. Und 1730 hieß es im Rat bei der Wahl eines neuen Rektors für die Thomasschule, man möge hier besser fahren als mit der Wahl des Kantors. Bei der schon zu Bachs Lebzeiten geschmacklos betriebenen Wahl seines Nachfogers resümierte man im Stadtrat: „… man brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister!“ (auf heutige Verhältnisse übertragen: einen „Gemeindemusiker“ – aber bitte ohne künstlerische Ambitionen!). Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis Bachs Größe in breiteren Kreisen erkannt zu werden begann.

Zu Bachs Aufgaben gehörte es u.a., für jeden sonntäglichen Hauptgottesdienst eine Kantate zu liefern und aufzuführen. Dieser Gottesdienst begann um 7 Uhr in der Frühe und dauerte 3-4 Stunden (je nach Jahreszeit in der stets unbeheizten Kirche!). Er stellte ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis dar und wurde regelmäßig von über 2000 (!!) Menschen besucht (und dies, obwohl um 11:30 Uhr die hauptsächlich von Handwerksburschen und Gesinde besuchte „Mittagspredigt“ und um 13:30 Uhr die „Vesper“ folgten – beide ebenfalls stark frequentiert wie die täglich stattfindenden Werktagsgottesdienste!).

 

Kantate BWV 43 „Gott fähret auf mit Jauchzen“
Teil 1

1. Chor

Gott fähret auf mit Jauchzen und der Herr mit heller Posaunen.

Lobsinget, lobsinget Gott, lobsinget, lobsinget unserm Könige.

 

2. Rezitativ (Tenor)

Es will der Höchste sich ein Siegsgepräng bereiten,

da die Gefängnisse er selbst gefangen führt.

Wer jauchzt ihm zu, wer ist’s, der die Posaunen rührt,

wer gehet ihm zur Seiten?

Ist es nicht Gottes Heer,

das seines Namens Ehr,

Heil, Preis, Reich, Kraft und Macht mit lauter Stimme singet

und ihm nun ewiglich ein Halleluja bringet?

 

3. Arie (Tenor)

Ja, tausendmal tausend begleiten den Wagen,

dem König der Könge lobsingend zu sagen,

dass Erde und Himmel sich unter ihm schmiegt

und was er bezwungen, nun gänzlich erliegt.

 

4. Rezitativ (Sopran)

Und der Herr, nachdem er mit ihnen geredet hatte,

ward er aufgehoben gen Himmel und sitzet zur rechten Hand Gottes.

 

5. Arie (Sopran)

Mein Jesus hat nunmehr

das Heilandwerk vollendet

und nimmt die Wiederkehr

zu dem, der ihn gesendet,

er schließt der Erden Lauf,

ihr Himmel, öffnet euch und nehmt ihn wieder auf.

 

Teil II

6. Rezitativ (Bass)

Es kommt der Helden Held,

des Satans Fürst und Schrecken,

der selbst den Tod gefällt,

getilgt der Sünden Flecken,

zerstreut der Feinde Hauf,

ihr Kräfte, eilt herbei und holt den Sieger auf

 

7. Arie (Bass)

Er ist’s, der ganz allein

die Kelter hat getreten

voll Schmerzen, Qual und Pein,

Verlorne zu erretten

durch einen teuren Kauf,

ihr Thronen, mühet euch und setzt ihm Kränze auf.

 

8. Rezitativ (Alt)

Der Vater hat ihm ja

ein ewig Reich bestimmet,

nun ist die Stunde nah,

da er die Krone nimmet

vor tausend Ungemach,

ich stehe hier am Weg und schau ihm freudig nach.

 

9. Arie (Alt)

Ich sehe schon im Geist,

wie er zu Gottes Rechten

auf seine Feinde schmeißt,

zu helfen seinen Knechten

aus Jammer, Not und Schmach,

ich stehe hier am Weg und schau ihm sehnlich nach.

 

10. Rezitativ (Sopran)

Er will mir neben sich die Wohnung zubereiten,

damit ich ewiglich ihm stehe an der Seiten

befreit von Weh und Ach,

ich stehe hier am Weg und ruf ihm dankbar nach.

 

11. Chor

Du Lebensfürst, Herr Jesu Christ, der du bist aufgenommen

gen Himmel, da dein Vater ist und die Gemein der Frommen,

wie soll ich deinen großen Sieg,

den du durch einen schweren Krieg

erworben hast, recht preisen

und dir g’nug Ehr erweisen?

 

Zieh uns dir nach, so laufen wir, gib uns des Glaubens Flügel,

hilf, daß wir fliehen weit von hier auf Israelis Hügel,

mein Gott, wenn fahr ich doch dahin,

woselbst ich ewig fröhlich bin,

wenn werd ich vor dir stehen,

dein Angesicht zu sehen?

 

„Als Teil seines dritten Leipziger Kantatenjahrgangs führte Johann Sebastian Bach am 30. Mai 1726 die Himmelfahrtskantate Gott fähret auf mit Jauchzen BWV 43 auf. Ihr Text ist in der im gleichen Jahr in Rudolstadt ohne Angabe eines Textdichters erschienenen Sammlung Sonn- und Fest?Tags?Andachten über die ordentlichen Evangelia enthalten. Diese Texte lagen bereits im Kirchenjahr 1704/05 am Meininger Hof vor, ihr Autor war möglicherweise Herzog Ernst Ludwig von Sachsen?Meiningen.

Die ungewöhnliche Textstruktur der Kantate wird von einem mehrstrophigen Gedicht in einer Weise dominiert, die formale Ausgewogenheit vermissen läßt:

1. alttestamentliches Bibelwort (Chor)

2.?3. freie Dichtung (Rezitativ ? Arie)

4. neutestamentliches Bibelwort (Rezitativ)

5.?10. sechsstrophiges Gedicht (Arie ? Rezitativ ? Arie – Rezitativ ? Arie ? Rezitativ)

11. Kirchenliedstrophe nach Johann Rist (Choral)

 

In unserer Kantate wird unter Anspielung auf mehrere alttestamentliche Passagen ? selbst innerhalb des eröffnenden Spruchs aus Psalm 47, 6?7 ? in verschiedenen Varianten die Himmelfahrt Christi gepriesen. Daneben spielen der Sieg über den Satan und die Feinde Gottes sowie die Vision der himmlischen Wohnung eine Rolle. Die Gliederung der Bachschen Kantate in zwei Teile (mit der die Anlage des Textes übrigens ignoriert wird) kann als Indiz für eine Aufführung vor und nach der Predigt gelten.

Mit drei Trompeten und Pauken weist sich das Werk musikalisch als Festtagskantate aus.

Im Unterschied zur textlichen Dominanz des sechsstrophigen Gedichts in der Mitte und im zweiten Teil der Kantate liegt der musikalische Schwerpunkt des Werkes eindeutig im Eingangschor. Einer instrumentalen Einleitung, die eher einen langsamen Konzertsatz erwarten läßt, folgt ein großangelegter vokal?instrumentaler Fugensatz mit drei Fugendurchführungen und wechselnd in die Fugierung einbezogenen Instrumentalstimmen (einschließlich erster Trompete). Gleichwohl ist dieses imposante Stück auch von Tendenzen geprägt, die dem Prinzip der Fuge entgegenwirken ? so, wenn die zweite Durchführung in einem Dominant?Orgelpunkt aufgeht und die dritte Durchführung über einem Tonika?Orgelpunkt in eine homophone Coda mündet.

Mit Bachs Orchestersuiten verbindet diese Kantate ein kurioses Charakteristikum: Dem überaus gewichtigen Eingangssatz haben die folgenden Sätze nichts Adäquates entgegenzusetzen. Sie genügen sich darin, verschiedene Satztypen in verschiedenen ‚Tonfällen‘ aneinanderzureihen. Gerade in den vier, auf alle Stimmgattungen verteilten Arien der Kantate freilich findet man auch manch regelwidrige Kühnheit und überraschend dichte musikalische Deutung des Textes.“

(Michael Märker im Vorwort der Carus-Ausgabe, 1999)

 

 

„Die vier Ouvertüren (Orchestersuiten) Johann Sebastian Bachs sind, bei sehr geringem autographen Anteil, lediglich in Abschriften aus der Leipziger Zeit Bachs oder in noch später zu datierenden Quellen überliefert. Hauptquelle für die

Ouvertüre D?Dur, BWV 1068,

ist ein Stimmensatz, der wohl 1730/31 entstanden ist. Bach selbst hat in den Stimmen Violino I und Continuo jeweils die beiden Schluss?Sätze eingetragen, die übrigen Sätze Johann Ludwig Krebs, der 1726 als etwa 13jähriger in die Thomasschule aufgenommen worden war. Die Stimme Violino II hat Carl Philipp Emanuel Bach geschrieben, die sieben restlichen Stimmen stammen von einem bisher unbekannten Kopisten. Die drei von Bach, seinem Sohn und Krebs geschriebenen Stimmen ? die übrigen können auch jüngeren Datums sein – waren vermutlich für das Collegium Musicum bestimmt, dessen Leitung Bach im Frühjahr 1729 als Nachfolger des Neukirchenorganisten Schott übernommen hatte. Möglicherweise gab diese neue Tätigkeit den Anstoß, die vorliegende Ouvertüre zu komponieren. Wie die früher entstandene Zweitfassung der Ouvertüre BWV 1069 sieht auch dieses Werk die attraktive Besetzung mit Trompeten und Pauken für den festlichen bzw. Freiluftgebrauch vor.

Unsere Orchestersuite hat Mendelssohn im Jahr 1830 Goethe auf dem Klavier vorgespielt.“

(Hans Grüß im Vorwort der Bärenreiter-Ausgabe, 1984)

Mendelssohn war damals gerade elf Jahre alt. Goethe bemerkte dazu, „es gehe darin so pompös und vornehm zu, dass man ordentlich die Reihe geputzter Leute, die von einer großen Treppe heruntersteigen, vor sich sehe“.

 

 

Kantate BWV 149 „Man singet mit Freuden vom Sieg“

 

1. Chor

Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hüt­ten der Gerechten, die Rechte des behält den Sieg,

die Rechte des Herrn ist erhöhet, die Rechte des Herrn behält den Sieg.

 

2. Arie (Bass)

Kraft und Stärke sei gesungen

Gott, dem Lamme, das bezwungen

und den Satanas verjagt,

der uns Tag und Nacht verklagt,

Ehr und Sieg ist auf die Frommen

durch des Lammes Blut gekommen.

 

3. Rezitativ (Alt)

Ich fürchte mich vor tausend Feinden nicht;

denn Gottes Engel lagern sich um meine Seiten her,

wenn alles fällt, wenn alles bricht,

so bin ich doch in Ruh,

wie wär es möglich zu verzagen,

Gott schickt mir ferner Roß und Wagen

und ganze Herden Engel zu.

 

4. Arie (Sopran)

Gottes Engel weichen nie,

sie sind bei mir aller Enden.

Wenn ich schlafe, wachen sie,

wenn ich gehe,

wenn ich stehe,

tragen sie mich auf den Händen.

 

5. Rezitativ (Tenor)

Ich danke dir,

mein lieber Gott, dafür,

dabei verleihe mir,

dass ich mein sündlich Tun bereue,

dass sich mein Engel drüber freue,

damit er mich an meinem Sterbetage

in deinen Schoß zum Himmel trage.

 

6. Arie (Alt, Tenor)

Seid wachsam, ihr heiligen Wächter,

die Nacht ist schier dahin.

Ich sehne mich und ruhe nicht,

bis ich vor dem Angesicht

meines lieben Vaters bin.

 

7. Chor

Ach Herr, laß dein lieb Engelein

am letzten End die Seele mein

in Abrahams Schoß tragen,

den Leib in sein’m Schlafkämmerlein

gar sanft ohn einge Qual und Pein

ruhn bis am jüngsten Tage.

Alsdenn vom Tod erwecke mich,

dass meine Augen sehen dich

in aller Freud, o Gottes Sohn,

mein Heiland und Genadenthron,

Herr Jesu Christ, erhöre mich, erhöre mich,

ich will dich preisen ewiglich.

 

Die Kantate „Man singet mit Freuden vom Sieg“ gehört zu Bachs viertem Leipziger Kantatenjahrgang, dessen Texte von Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, stammen. Er schrieb dieses Werk zum Michaelistag (29. September) 1728 und wiederholte es am gleichen Festtag des folgenden Jahres. Thema der zugehörigen Epistellesung ist der Kampf des Erzengels Michael mit dem Drachen im Himmel (Offenbarung 12, 7-12). Gleich im Eingangschor wird der Sieg besungen mit einem Wort aus Psalm 118, 15. Thematische Entwürfe dazu finden sich auf einem Bogen der Partitur der weltlichen Kantate „Geschwinde, ihr wirbelnden Winde“ BWV 201. Wohl in zeitliche Bedrängnis geraten, griff Bach aber dann doch auf den Schlusschor der weltlichen Jagdkantate BWV 208 zurück und unterlegte ihm im Parodieverfahren den geistlichen Text.

„An die Stelle der beiden Jagdhörner sind nun 3 Trompeten und Pauken getreten; zugleich wurde der Satz von F- nach D-Dur transponiert. Die übrige Instrumentalbesetzung von 3 Oboen, Fagott, Streichern und Continuo ist gleich geblieben. Den Chor hat Bach sehr geschickt dem neuen Text angepaßt, begünstigt durch die freudige Grundhaltung beider Texte, die teilweise sogar gleiche Wortstämme enthalten (»freudige Stunden« »mit Freuden«; »was Trauren besieget« – »behält den Sieg«); und wenn uns die Jagdkantate nicht erhalten wäre, so würde der Parodiecharakter wohl nicht an der Textierung offenbar werden, sondern eher noch daran, dass der Satz für einen Bibelwortchor auffallend homophon und zudem in reiner Dacapoform komponiert ist – Ausdruck einer jubelnden, ja beinahe tändelnden Unbekümmertheit, die nichts mehr von dem vorangegangenen »Streit im Himmel« weiß.

Ob noch weitere Sätze des Werkes Parodie sind, wissen wir nicht; wenn ja, so wären die Vorlagen dazu verschollen. Auch wäre die Umformung wiederum außergewöhnlich gut gelungen. So ist die erste Arie (Satz 2), ein Continuosatz, mit ihrem weitausgreifenden Kopfmotiv ein überzeugendes Abbild jener visionären »großen Stimme« aus Offenbarung 12, 10, die den Sieg des Lammes verkündigt.

Ein Seccorezitativ (Satz 3) leitet zur zweiten Arie (Satz 4), einem Streichersatz von bezaubernder Lieblichkeit. Ihre klare Gliederung in Viertaktgruppen (und deren Vielfaches) sowie ihre liedhafte Melodik offenbaren ihren Tanzcharakter; und selbst textgezeugte Melodieformung, die das Gehen, Stehen, das Getragenwerden auf den Händen der Engel abbildet, beeinträchtigt diese Grundhaltung des Satzes nicht.

Das zweite Rezitativ (Satz 5) ist wiederum ein Secco von knappen Ausmaßen. Ihm folgt als dritte Arie (Satz 6) ein Duett mit obligatem Fagott, dessen selten solistisch eingesetzter Klang hier möglicherweise das nächtliche Dunkel, eher aber wohl mit seiner belebten Figuration die Wachsamkeit der Wächter widerspiegeln soll. Auch dieser Satz zeichnet sich durch eingängige Melodik aus; und selbst die vielfachen Kanonbildungen in den beiden Singstimmen erwecken nirgends den Eindruck kunstvollen Kontrapunktsatzes, so unaufdringlich fügen sie sich der gelösten Bewegtheit des Satzes ein.

Ein schlichter Choralsatz beendet das Werk, bringt jedoch am Schluß noch eine Überraschung: Auf die letzte Kadenz setzen nochmals die Trompeten mit einem kurzen Schlußmotiv ein.“ (Alfred Dürr in „Die Kantaten J. S. Bachs“, Kassel 1981, S. 573 f.)

 

Die Solisten:

 

KERSTIN STEUBE, Sopran

Kerstin Steube studierte an der Musikhochschule in Mannheim Gesangspädagogik und absolvierte anschließend ein künstlerisches Aufbaustudium in Karlsruhe bei Christiane Hampe. Sie nahm an zahlreichen Meisterkursen u. a. bei Julia Hammari, Ulrich Eisenlohr, Gerd Türk und Judith Beckmann teil. Zu ihrem Repertoire zählen die oratorischen Werke und Opern der Barockzeit bis zur Klassik, aber auch insbesondere die Lieder von Franz Schubert, Hugo Wolf und Richard Strauss. Ihre rege Konzerttätigkeit führt sie durch ganz Deutschland u. a. in Zusammenarbeit mit namhaften Orchestern und Ensembles wie dem Radiosinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, der Landesphilharmonie Rheinland-Pfalz, dem Asco-Ensemble Amsterdam und dem Ensemble Modern Frankfurt.

JOACHIM DIESSNER, Countertenor,

wurde geboren in Süchteln / Niederrhein und begann seine musikalische Ausbildung mit Klavier- und Orgelunterricht. Nach dem Abitur zunächst Studium der Theologie, Gesangsunterricht bei Alastair Thompson, später Studium am königlichen Konservatorium in Den Haag, anschließend bei Prof. Philip Langshaw in Köln. Teilnahme an mehreren Meisterkursen u.a. bei Jessica Cash, zudem regelmässiger Unterricht bei Drew Minter sowie Michael Chance. Als Mitglied mehrere Ensembles entstanden Rundfunk- und CD-Aufnahmen unter Hermann Max, Sigiswald Kuijken, Jordi Savall und Frieder Bernius. Joachim Diessner gastierte an den Opernhäusern in Münster, Frankfurt, Darmstadt, Konstanz, sowie am Kampnagel-Theater in Hamburg und dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth. Zu seinen Partien gehörten u.a. die Titelrolle in Pietro Torris Oper ‚Amadis‘, Hercules in Händels ‚The choice of Hercules‘, ‚Bacchus‘ in Arianna von Monteverdi/Goehr sowie die Titelrolle in Offenbachs ‚La Grande-Duchesse de Gerolstein‘. Zudem ist er regelmässiger Gast bei verschiedenen renommierten Festivals im In- und Ausland, u. a. 6 Jahre in Folge bei der Styriarte Graz, den Berliner Festwochen, den Heidelberger Bachtagen, dem Händel-Festival in Halle sowie dem Festival für Alte Musik in Varaszdin. Jüngste Produktionen führten ihn ans Brandenburger Opernhaus, wo er im Jahre 2000 auch als künstlerischer Leiter die Planung und Organisation der Tage für Alte Musik übernahm. Zahlreiche Radio- und CD-Aufnahmen dokumentieren darüber hinaus seine Arbeit.

 

CHRISTOPH LEONHARDT, Tenor,

geboren in Bad Nauheim; schon während seiner Schulzeit nebenamtlicher Chorleiter und Organist sowie Mitwirkung in ver- schiedenen Vokalensembles. Nach dem Abitur zunächst Studium der evang. Theologie und der Musikwissenschaft in Frankfurt / Main, Erlangen und Mainz. Gesangsstudium an der Dresdener Musikhochschule bei Frau Prof. Helga Köhler-Wellner. Beschäftigung vor allem mit der Musik des 16. – 18. Jahrhunderts mit Schwerpunkt Kantaten, Oratorien und Passionen des Barock sowie Messen der Klassik. Mitwirkung u. a. beim Eröffnungskonzert eines Projektes des Sächsischen Musikrates, in dem im Bach-Jahr 2000 alle Bach-Kantaten des ersten Leipziger Jahrganges aufgeführt wurden. Seit 2001 Engagement am Landestheater Detmold.

 

MARKUS LEMKE, Bass?Bariton,

wurde 1965 in Düsseldorf geboren, studierte Gesang an den Musikhochschulen in Hamburg und Karlsruhe. 1992 Examen, danach Studienabschluß durch Meisterkurse und mehrjährigen Privatunterricht bei Andreas Schmidt.

Sein künstlerischer Schwerpunkt gilt dem Oratorium und Lied; rege Konzerttätigkeit mit Musik aller Epochen und Stilrichtungen, Liederabende (u.a. Schubert, Schumann, Wolf), Uraufführungen zeitgenössischer Werke, projekteweise Oper ( „Carmen“ von G. Bizet u.a).

Er nahm an Interpretationskursen und nationalen wie internationalen Gesangswettbewerben teil; 1998 Finalteilnahme beim 42. Internationalen Gesangswettbewerb in s’Hertogenbosch/Holland im Bereich Oratorium (Preise wurden nicht vergeben).

Konzertreisen führten ihn u.a. nach Frankreich, Italien, Finnland, Lettland, Israel und Japan (J.S. Bachs h?moll?Messe in Tokyo), er war im französischen, niederländischen und österreichischen Rundfunk sowie bei SDR und WDR zu hören und machte Fernsehaufnahmen bei den ARD.

Konzerte unter anderem unter: Matthias Breitschaft (J.S. Bachs Weihnachtsoratorium­Gesamtaufführung im Mainzer Dom 1999), Helmuth Rilling, Thomas Hengelbrock (zuletzt bei den Schwetzinger Festspielen 2001), Christoph Schoener (Bachs Johannespassion/Jesus in St. Michaelis/Hamburg 2000); Bruckner?Konzert unter H. M. Bäuerle (Konzerthaus Freiburg), Dezember 2001 C.Ph.E. Bachs Magnificat mit Kenneth Montgomery und der Cappella Amsterdam in der Vredenburg, Utrecht/Niederlande, August 2002 Mozarts „Le Nozze di Figaro“ bei den Sommerfestspielen Schloß Wachenheim unter Christian Kabitz;

November 2002 Titelpartie in Petr Ebens Kirchenoper „Jeremias“ (szenische Aufführung) in Göttingen; Dez. 2003 Europa?Tournee: C. Ph. E. Bachs Magnificat mit La Stagione Frankfurt unter Michael Schneider.

 

RAINER NOLL , Dirigent

wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.

Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“; 1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach / Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor E. Jacobi und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.

Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. Er nimmt durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 25 Jahren stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 20 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.

Progr.BK2002

Bachkonzert 2003

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

 Evangelium zu BWV 159: Lukas 18, 31-34 (Pfr. J. W. Bremer)

 

Sinfonia F-dur

Einleitung zur Kantate „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ BWV 156,1

 

Kantate BWV 159 „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“

für Countertenor, Tenor, Bass,

Oboe, Streicher, Basso continuo und Chor

Konzert d-moll BWV 1059

für Orgel, Oboe, Streicher und Basso continuo

Allegro – Siciliano – Presto

Evangelium zu BWV 166: Johannes 16, 5-15

Kantate BWV 166 „Wo gehest du hin“

für Countertenor, Tenor, Bass,

 Oboe, Streicher, Basso continuo und Chor

Die Ausführenden:

 

Joachim Diessner (Köln), Countertenor – Christoph Leonhardt (Wiesbaden), Tenor

 Erik Frithjof (Düsseldorf), Bass

Solisten des Heidelberger Kantatenorchesters:

Simone Petry – Oboe

Bettina Knauer, Anke Steinmetz – Violinen

Karina Telle – Viola

Ilya Ryabokon – Violoncello

Michael Tkacz – Kontrabass

Martin Nitz – Orgel

Idsteiner Vokalisten

Leitung: Rainer Noll

 

Zum Programm:

Das Thema der heutigen Kantaten ist die bange Frage „wohin?“. In der ersten Kantate „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“ wird mit dem schweren Gang nach Jerusalem der Blick auf das Passionsgeschehen gerichtet. Gleich zu Beginn fragt die Seele: „…wo geht dein Jesus hin?“. Der „herbe Gang“ führt für Jesus unweigerlich zur Hinrichtung am Kreuz. – Die zweite Kantate „Wo gehest du hin?“ beginnt mit dieser Frage aus den Abschiedsreden Jesu, wendet sie aber zur Sinnfrage an jeden einzelnen Menschen, der ebenfalls unweigerlich dem Tod entgegen geht: „Denn ich gehe oder stehe, so liegt mir die Frag im Sinn, Mensch, ach Mensch, wo gehst du hin?“. Folgerichtig steht am Anfang des Programmes die Einleitung zur Kantate BWV 156 „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“, und es wird beschlossen mit dem Choral „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“.

Im Jahre 1723 wurde Johann Sebastian Bach, seit sechs Jahren „hochfürstlicher“ Hofkapellmeister zu Köthen, zum Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt Leipzig gewählt. Er blieb sozusagen übrig, nachdem berühmtere Musiker wie Telemann und Graupner abgesagt hatten, und so kam es denn auch zu der bekannten Äußerung des Dr. Platz, festgehalten im Protokoll der Sitzung des Leipziger Stadtrates: „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man mittlere nehmen.“ Allein Bürgermeister Lange hatte den größeren Durchblick: „Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann … vergessen“. Dennoch: Niemand wurde sich im damaligen Leipzig (und ebenso andernorts) bewusst,  dass ihr Kantor, den man immer wieder von amtswegen „subalternieren“ zu müssen glaubte, unter oft verdrießlichen Umständen in stetigem, stillen Fleiß Werke von Weltrang schuf, für deren Überlieferung er selbst wenig tat. Stattdessen musste er sich noch von kleinkarierten Ratsherren, von denen nichts als ihre wichtigtuerische Bedeutungslosigkeit der Nachwelt zu berichten bleibt, vorwerfen lassen: „Nicht allein tue der Kantor nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären … es müsse doch einmal brechen.“ Man drohte ihm das Gehalt zu  „verkümmern“, da er „incorrigibel“ (unverbesserlich) sei. Und 1730 hieß es im Rat bei der Wahl eines neuen Rektors für die Thomasschule, man möge hier besser fahren als mit der Wahl des Kantors. Bei der schon zu Bachs Lebzeiten geschmacklos betriebenen Wahl seines Nachfolgers resümierte man im Stadtrat: „… man brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister!“ (auf heutige Verhältnisse übertragen: einen „Gemeindemusiker“ – aber bitte ohne künstlerische Ambitionen!). Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis Bachs Größe in breiteren Kreisen erkannt  zu werden begann.

Zu Bachs Aufgaben gehörte es u.a., für jeden sonntäglichen Hauptgottesdienst eine Kantate zu liefern und aufzuführen. Dieser Gottesdienst begann um 7 Uhr in der Frühe und dauerte 3-4 Stunden (je nach Jahreszeit in der stets unbeheizten Kirche!). Er stellte ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis dar und wurde regelmäßig von über 2000 (!!) Menschen besucht (und dies, obwohl um 11:30 Uhr die hauptsächlich von Handwerksburschen und Gesinde besuchte „Mittagspredigt“ und um 13:30 Uhr die „Vesper“ folgten – beide ebenfalls stark frequentiert wie die täglich stattfindenden Werktagsgottesdienste!).

Mit der Sinfonia F-Dur, die ich der ersten Kantate als Einleitung voranstelle, leitete Bach die Kantate BWV 156 „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ ein. In einer späteren Fassung verwendete er sie als langsamen Mittelsatz des Cembalokonzertes f-moll BWV 1056. Eine wunderbare Kantilene der Oboe (Adagio) erklingt über einer dezenten Streicherbegleitung und endet wie mit einer Frage auf der Dominante C-dur.

 

BWV 159 Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem

 

1. Rezitativ und Arioso (Countertenor, Bass)

Sehet,

Komm, schaue doch, mein Sinn, wo geht dein Jesus hin?

wir gehn hinauf

0 herber Gang, hinauf?

       0 ungeheurer Berg, den meine Sünden zeigen,

       wie sauer wirst du müssen steigen.

gen Jerusalem.

Ach, gehe nicht,

       dein Kreuz ist dir schon zugericht‘,

       wo du dich sollst zu Tode bluten,

       hier sucht man Geißeln vor, dort bind‘ man Ruten,

       die Bande warten dein,

       ach, gehe selber nicht hinein;

       doch bliebest du zurücke stehen,

       so müsst ich selbst nicht nach Jerusalem,

       ach, leider in die Hölle gehen.

 

2. Arie (Sopran, Countertenor)

Ich folge dir nach,

Ich will hier bei dir stehen,

       verachte mich doch nicht,

durch Speichel und Schmach,

  von dir will ich nicht gehen,

am Kreuz will ich dich noch umfangen,

bis dir dein Herze bricht,

dich lass ich nicht aus meiner Brust,

wenn dein Haupt wird erblassen

       im letzten Todesstoß,

und wenn du endlich scheiden musst,

       alsdenn will ich dich fassen

sollst du dein Grab in mir erlangen.

       in meinem Arm und Schoß.

 

3. Rezitativ (Tenor)

Nun will ich mich,

mein Jesu, über dich

in meinem Winkel grämen,

die Welt mag immerhin

das Gift der Wollust zu sich nehmen,

ich labe mich an meinen Tränen

und will mich eher nicht

nach einer Freude sehnen,

bis dich mein Angesicht

wird in der Herrlichkeit erblicken,

bis ich durch dich erlöset bin,

da will ich mich mit dir erquicken.

 

4. Arie (Bass)

Es ist vollbracht,

das Leid ist alle,

wir sind von unserrn Sündenfalle

in Gott gerecht gemacht,

es ist vollbracht,

nun will ich eilen

und meinem Jesu Dank erteilen,

Welt, gute Nacht,

es ist vollbracht.

 

5. Chor

Jesu, deine Passion

ist mir lauter Freude,

deine Wunden, Kron und Hohn,

meines Herzens Weide,

meine Seel auf Rosen geht,

wenn ich dran gedenke,

in dem Himmel eine Stätt

mir deswegen schenke.

 

Einiges spricht dafür, dass Bach diese Kantate am 27. Februar 1729 (Sonntag Estomihi) uraufgeführt hat (Text von Picander, 1728 veröffentlicht). Wenn dies zutrifft, war dies die letzte Kantate vor der Uraufführung der Matthäus-Passion am Karfreitag 1729.

„Der Eingangssatz ist ein Dialog, ein Gespräch der gläubigen Seele mit Jesus von besonderer Dramatik und fesselnder Situationsschilderung. Bach hebt Rede und Gegenrede voneinander ab, indem er die Jesusworte als continuobegleitetes Arioso, die Worte der Seele dagegen als streicherbegleitetes Rezitativ komponiert, hinsichtlich der Instrumentation also umgekehrt verfährt wie in der Matthäus-Passion. Beim Arioso offenbart sich Bachs höchste Meisterschaft im Erfinden ausdrucksvoller Textdeklamation. (…) Hier präsentiert sich das Prinzip der einst in Italien geschaffenen Monodie auf der Stufe seiner höchsten Vollendung.“ (Alfred Dürr, Die Kantaten J. S. Bachs, Kassel 1981, S.224) Der Instrumentalbass symbolisiert die schweren aufwärtsführenden Schritte, die aber immer wieder schmerzlich mit einer fallenden Septime (Symbol des Sündenfalles!) unterbrochen werden, als ob Jesus öfters zweifelnd stehen bliebe, um über den Sinn seines ans Kreuz führenden Ganges nachzudenken, von den bangen Zwischenrufen der „Seele“ gewarnt.

„Satz 2, gleichfalls von weiträumiger, ausdrucksstarker Melodik, vereinigt die Worte der Altstimme »Ich folge dir gleichfalls… «  mit der 6. Strophe des Paul-Gerhardt-Liedes »O Haupt voll Blut und Wunden«, den einen Text durch den anderen erklärend. Den Höhepunkt der Kantate bildet jedoch die zweite Arie (Satz 4), zu der Satz 3 als schlichtes Seccorezitativ hinführt. Die konzertierende Oboe spannt den weiten Bogen einer abgeklärten und trostvollen Melodie über einen harmoniefüllenden Streichersatz mit ruhigem, orgelpunktartigem Continuo. (…) Erst im zweiten Arienteil ändert sich die Satzweise. Auf die Worte »Nun will ich eilen« setzt verstärkte Sechzehntelbewegung ein. (…) Die 33. Strophe des Liedes »Jesu Leiden, Pein und Tod« von Paul Stockmann beendet das Werk in schlichtem Choralsatz.“ (A. Dürr, a.a.O., S. 224f)

 

Das Konzert d-moll BWV 1059 wurde von Prof. Helmut Winschermann rekonstruiert. Er schreibt dazu: „Dieses Konzert hat bis zu seiner heutigen Gestalt mehrere Metamorphosen erfahren. Wahrscheinlich war es ursprünglich ein Violinkonzert, dessen Entstehung die neueste Bachforschung um das Jahr 1719 in Köthen annimmt. Von diesem Konzert blieb jedoch keine Zeile, weder ein Autograph noch eine Abschrift, erhalten. Schriftlich fixiert, und zwar von der Hand Joh. Seb. Bachs selbst, erscheint das Werk erst einige Jahre später als Bestandteil der Kirchenkantate »Geist und Seele sind verwirret« (BWV 35), an die es die beiden Einleitungssinfonien zum 1. und 2. Teil und die 1. Arie abgab. Das geschah wahrscheinlich schon in den ersten Jahren von Bachs Wirken als Thomaskantor in Leipzig. Schließlich griff er nochmals auf dieses Werk zurück, als er in den dreißiger Jahren Cembalowerke für das »Telemannische Collegium musicum« benötigte. Von dieser Fassung für »Cembalo solo, una Oboe, due Violini, Viola e Continuo« sind aber nur neun Takte erhalten. (…) Dieser Versuch, das Werk nach der Kirchenkantate zu rekonstruieren, wurde hier zum ersten Mal unternommen. Die Soli der Orgel sind zwischen Cembalo und Oboe aufgeteilt und die Alt-Arie, die als »Siciliano« in das Konzert aufgenommen wurde, der Oboe übergeben worden.“ Die Cembalopartie der Rekonstruktion wird im heutigen Konzert von Prof. Martin Nitz wieder wie in BWV 35 auf der Orgel gespielt.

 

BWV 166 Wo gehest du hin

 

1. Arie (Bass)

Wo gehest du hin?

 

2. Arie (Tenor)

Ich will an den Himmel denken

und der Welt mein Herz nicht schenken.

Denn ich gehe oder stehe,

so liegt mir die Frag im Sinn,

Mensch, ach Mensch, wo gehst du hin?

 

3. Choral (Chorsopran)

Ich bitte dich, Herr Jesu Christ,

halt mich bei den Gedanken

und lass mich ja zu keiner Frist

von dieser Meinung wanken,

sondern dabei verharren fest,

bis dass die Seel aus ihrem Nest

wird in den Himmel kommen.

 

4. Rezitativ  (Bass)

Gleich wie die Regenwasser bald verfließen

und manche Farben leicht verschießen,

so geht es auch der Freude in der Welt,

auf welche mancher Mensch so viele Stücken hält;

denn ob man gleich zuweilen sieht,

dass sein gewünschtes Glücke blüht,

so kann doch wohl in besten Tagen

ganz unvermut‘ die letzte Stunde schlagen.

 

5. Arie (Countertenor)

Man nehme sich in acht,

wenn das Gelücke lacht.

Denn es kann leicht auf Erden

vor abends anders werden

als man am Morgen nicht gedacht.

 

6. Chor                                                    

Wer weiß, wie nahe mir mein Ende,

hin geht die Zeit, her kommt der Tod,

ach, wie geschwinde und behände

kann kommen meine Todesnot,

mein Gott, ich bitt durch Christi Blut,

mach’s nur mit meinem Ende gut.

 

Diese Kantate führte Bach erstmals am 7. Mai 1724 auf (Sonntag Cantate).

Im 1. Satz irrt die Musik fast formlos und unregelmäßig umher, so der Frage „Wo gehest du hin?“ sinnenfälligen Ausdruck des Suchens verleihend. Auch der Bass (sei altersher vox Christi, wie schon in BWV 159) findet nur einen fragenden, unfertigen Abschluss.

„Satz 2, dessen vollständiger Instrumentalsatz, gespielt von Oboe, Solovioline und Continuo, erst bei der Neuveröffentlichung in der Neuen Bach-Ausgabe wiederhergestellt werden konnte, ist von besonderer Schönheit. In seinem Mittelteil malt Bach das »Gehen« und »Stehen« sinnfällig durch aufwärtsgerichtete Tonleiterfiguren bzw. durch lange Haltetöne.

Im folgenden Choral (Satz 3) wird die vom Sopran unverziert in langen Notenwerten vorgetragene Choralmelodie umspielt von den zu kraftvollem Unisono zusammengefassten Violinen und Bratschen.“ (A. Dürr, a.a.O., S. 271f) Es ist, als ob die vereinigten Instrumente die Vokalstimme entgegen ihrer Bitte von ihren „Gedanken“ und aus der Ruhe bringen wollten; diese aber singt ihre Melodie unbeirrt in das wilde Toben um sie herum.

„Demgegenüber sind das Rezitativ (Satz 4) und besonders die zweite Arie (Satz 5) auf einen wesentlich fröhlicheren Ton gestimmt, obgleich sie gerade vor der Freude der Welt warnen sollen. Besonders die Arie, deren Tanzcharakter unverkennbar ist, malt mit ihren Schüttelfiguren zweifellos das Lachen des Glücks, das auch in der Singstimme an langen Koloraturen undTrillern zu erkennen ist. Hier folgt Bach mit der Unbekümmertheit des Barockmusikers allen Möglichkeiten zu bildhafter Darstellung von »Affekten«, auch wenn diese im Text verneint oder abgelehnt werden. (…) Um so eindrucksvoller wirkt nach dieser tänzerischen Arie die Feierlichkeit des Schlusschorals mit der Bitte »Machs nur mit meinem Ende gut«.“ (A. Dürr, a.a.O., S. 272)

Rainer Noll

 
Zu den Ausführenden:

 

Joachim Diessner, Countertenor,

wurde geboren in Süchteln / Niederrhein und begann seine musikalische Ausbildung mit Klavier- und Orgelunterricht. Nach dem Abitur zunächst Studium der Theologie, Gesangsunterricht bei Alastair Thompson, später Studium am königlichen Konservatorium in Den Haag, anschließend bei Prof. Philip Langshaw in Köln. Teilnahme an mehreren Meisterkursen u.a. bei Jessica Cash, zudem regelmäßiger Unterricht bei Drew Minter sowie Michael Chance. Als Mitglied mehrere Ensembles entstanden Rundfunk- und CD-Aufnahmen unter Hermann Max, Sigiswald Kuijken, Jordi Savall und Frieder Bernius. Joachim Diessner gastierte an den Opernhäusern in Münster, Frankfurt, Darmstadt, Konstanz, sowie am Kampnagel-Theater in Hamburg und dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth. Zu seinen Partien gehörten u.a. die Titelrolle in Pietro Torris Oper ‚Amadis‘, Hercules in Händels ‚The choice of Hercules‘, ‚Bacchus‘ in Arianna von Monteverdi/Goehr sowie die Titelrolle in Offenbachs ‚La Grande-Duchesse de Gerolstein‘. Zudem ist er regelmäßiger Gast bei verschiedenen renommierten Festivals im In- und Ausland, u. a. 6 Jahre  in  Folge  bei  der   Styriarte  Graz,  den   Berliner   Festwochen, den Heidelberger Bachtagen, dem Händel-Festival in Halle sowie dem Festival für Alte Musik in Varaszdin. Jüngste Produktionen führten ihn ans Brandenburger Opernhaus, wo er im Jahre 2000 auch als künstlerischer Leiter die Planung und Organisation der Tage für Alte Musik übernahm.  Zahlreiche  Radio- und  CD-Aufnahmen  dokumentieren darüber hinaus seine Arbeit.

 

Christoph Leonhardt, Tenor,

geboren in Bad Nauheim; schon während seiner Schulzeit nebenamtlicher Chorleiter und Organist sowie Mitwirkung in verschiedenen Vokalensembles. Nach dem Abitur zunächst  Studium der evang.  Theologie  und  der  Musikwissenschaft  in  Frankfurt  /  Main, Erlangen  und  Mainz.  Gesangsstudium  an  der Dresdener Musikhochschule bei Frau Prof. Helga  Köhler-Wellner.  Beschäftigung vor allem mit der Musik des 16. – 18. Jahrhunderts mit  Schwerpunkt Kantaten, Oratorien und Passionen des Barock sowie Messen der Klassik. Mitwirkung u. a. beim Eröffnungskonzert eines Projektes des Sächsischen Musikrates, in dem im Bach-Jahr 2000 alle Bach-Kantaten des ersten Leipziger Jahrganges aufgeführt wurden. 2001 Engagement am Landestheater Detmold, seit 2002 am Staatstheater Wiesbaden.

 

Erik Frithjof, Bass-Bariton

Der Bariton Erik Frithjof stammt aus einer Münchner Musikerfamilie. Sein Gesangsstudium absolvierte er in Düsseldorf bei Albrecht Klora und Prof. Werner Lechte.

Konzerte führten Erik Frithjof in den Königin Elisabeth-Saal in Antwerpen, Salle Philhamonique in Lüttich, Brüsseler Palais des Beaux-Arts, Salle du Conservatoire in Luxemburg und in die Tonhalle Düsseldorf. Dabei musizierte er mit Orchestern wie dem Philharmonischen Orchester Flandern, „Les Agrémens“, Hamburger Camerata, „The Rare Fruits Council“ und dem Preußischen Kammerorchester. Er arbeitete mit Dirigenten wie Wieland Kuijken, Hans Rotman und Pierre Cao.

1999 debütierte er in Tokyo mit Liedern von Robert Schumann. 2000 sang er in der Uraufführung des „Zen-Requiem“ von Boudewijn Buckinx. 2003 singt er Schuberts „Winterreise“ in Lier, begleitet von dem Pianisten Alexander Schmalcz, mit dem er regelmäßig Liederabende gibt.

Erik Frithjof erhielt Einladungen zum „Flandern Festival“, zur „Schubertiade“ in Roskilde, „November Music“ in S´Hertogenbosch, „Orff  in Andechs“, „Resonanzen“ in Siegburg, „Musique Sacrée“ in Lourdes und „RUHRtriennale“.

Als Opernsänger gastierte er zuletzt an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und am Theater Hagen.

Erik Frithjof wirkte in Produktionen für den belgischen und niederländischen Rundfunk mit. Unter der Leitung von Wieland Kuijken sang er die Jesus Worte in der in diesem Jahr erscheinenden CD-Produktion der „Matthäus-Passion“ von Georg Philipp Telemann.

 

Simone Petry, Oboe,

geboren 1975 in Ludwigshafen am Rhein. Studium der Fächer Musikpädagogik und Orchestermusik an der Musikhochschule Mannheim. Lehrtätigkeit an verschiedenen Musikschulen. Zahlreiche Aushilfstätigkeiten bei der Baden-Badener Philharmonie, dem Kurpfälzischen Kammerorchester und am Nationaltheater Mannheim. Seit 2001 festes Mitglied der Südwestdeutschen Barocksolisten.

 

Bettina Knauer, Violine,

wurde am 4.8.1982 in Celle geboren.  Mit vier Jahren erhielt sie ihren ersten Geigenunterricht bei ihrer Mutter, ab 1992 bei Hans-Christian Euler, Dozent an der Hochschule für Musik und Theater Hannover und Mitglied des Staatsorchesters Hannover.  Zwischen 1995 und 2001 gewann sie sechs 1. Preise im Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ (sowohl Kammermusik- als auch Solo-Wertungen).  1997 wurde sie Mitglied des Niedersächsischen Jugendsinfonieorchesters, seit 1999 spielt sie im Bundesjugendorchester. Zum Wintersemester 1998 wurde sie Jungstudentin an der Hochschule für Musik und Theater Hannover.  Nach ihrem Abitur am humanistischen Gymnasium Ernestinum Celle 2002 begann sie im Wintersemester 2002 ihr Violin-Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst bei Prof. Susanne Rabenschlag. Weitere Orchestererfahrung sammelte sie im Radiosinfonieorchester des NDR Hannover, im Norddeutschen Barockorchester und in anderen überregional tätigen Ensembles.

 

Anke Steinmetz, Violine,

geboren 1971 in Saarbrücken, erhielt die erste geigerische Ausbildung von ihrer Mutter Agnes Steinmetz (Mitglied der Düsseldorfer Symphoniker). Violinstudium in Klagenfurt bei Brian Finlayson und Helfried Fister. Teilnahme an zahlreichen internationalen Meisterkursen, u.a. Igor Ozim, Denes Zsigmondy, Siegmund Nissel (Amadeus Quartett), sowie in der Kammermusikklasse von Bill Hennessy am Royal Melbourne Conservatory in Melbourne, Australien. Mitglied des Schleswig-Holstein-Festival-Orchesters 1998, der Jungen Deutschen Philharmonie, sowie der Zwingenberger Opernfestspiele. Konzerttätigkeit in verschiedenen Kammermusikensembles, sowie mit der Pianistin Maria Rapp. Zusätzlich Medizinstudium in Heidelberg/Mannheim und Freiburg, Promotion im Februar 2003 in Freiburg. Im April 2003 Auszeichnung mit dem Wissenschaftspreis 2003 der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin. Zur Zeit Assistenzärztin in der Klinik für Manuelle Medizin in Sommerfeld bei Berlin mit den Behandlungsschwerpunkte Manuelle Medizin, Akupunktur und Musikermedizin.

 

Karina Telle, Viola

Diplommusikpädagogin (Violine und Viola),  promovierte Musikwissenschaftlerin

Berufliche Tätigkeiten:

Musikpädagogin an den Musikschulen Heidelberg, Neckargemünd und Stuttgart für die Fächer Violine, Viola, Kammermusik, Orchesterleitung, Musiktheorie, Musikalische Früherziehung; seit 1979 Leitung der Musikschule Neckargemünd; von 1990 bis 2002 Direktorin der Stuttgarter Musikschule; Mitglied im Lukas Barockorchester Stuttgart; langjähriges Mitglied der Heidelberger Kantatenochesters

 

Ilya Ryabokon, Violoncello,

geboren am 15.11.1983 in Kiew (Ukraine) in einer Musikerfamilie. Kurz darauf Umzug nach St. Petersburg. Mit 5 Jahren erster Cellounterricht mit bei seiner Mutter. Vorläufiger Besuch der dortigen Musikschule, dann Wechsel auf die Schule für begabte Kinder (St. Petersburg). Mit 7 Jahren Umzug nach La Coruna (Spanien). Aufenthalt ca. 2 Jahre. Besuch des dortigen Konservatoriums. 1994 Umzug nach Deutschland (Heilbronn). Unterricht an der Musikschule bei Mario Schönfeld. Außerdem Kammermusikkurs bei Michael Flaksman.

1996 Preis im Bundeswettbewerb „Jugend  Musiziert“. Später weitere Erfolge bei „Jugend musiziert“. 1998 – 2000 Vorschüler an der Musikhochschule Karlsruhe bei Prof. Martin Ostertag.

Meisterkurse bei Viktoria Yagling. 2000 – 2002 Vorschüler an der Musikhochschule Mannheim bei Prof. Roland Kunze, anschließend Aufnahme als Student. Dezember 2002 Solo-Konzert (Haydn C-Dur) mit dem „Georgischen Kammerorchester“ aus Ingolstadt in Ballei (Neckarsulm).

 

Michael Tkacz, Kontrabass,

studierte Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Heidelberg sowie Kontrabass an der Musikhochschule Mannheim. Danach langjährige Orchestertätigkeit (Nationaltheater Mannheim, Pfalztheater Kaiserslautern, seit 1993 Heidelberger Sinfoniker). Neben reger kammermusikalischer und solistischer Tätigkeit Lehraufträge an den Musikschule Heidelberg und Mannheim.

 

Martin Nitz, Orgel,

geboren in Oldenburg; Besuch des Humanistischen Gymnasiums; nach dem Abitur Pädagogik-Studium an der damaligen PH (jetzt Universität) in Oldenburg (Hauptfach Musik) mit Abschluss  Staatsexamen; Anschluss-Studium der Schulmusik an der Hamburger Musikhochschule (Hauptfächer: Klavier und Komposition; daneben Blockflöten- und Cembalostudium sowie Aufführungspraxis Alter Musik). 1972 Lehrauftrag für Blockflöte an der Hochschule für Musik. 1973 Cembalodiplom; 1974 Abschluss des Schulmusikstudiums. Seit 1975 Professor und hauptamtlicher Dozent für Blockflöte. Ab 1980 rege Herausgebertätigkeit für Blockflötenmusik des Früh- und Hochbarock bei verschiedenen deutschen, schweizer und österreichischen Verlagen

 

Rainer  Noll , Dirigent,

wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.

Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“;

1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt“; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach / Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor E. Jacobi und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.

Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. Er nimmt durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 26 Jahren stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 21 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.

Progr.BK2003