Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)
Kantate BWV 43 „Gott fähret auf mit Jauchzen“
für Sopran, Countertenor, Tenor, Bass,
Trompeten, Pauken, Oboen, Fagott, Streicher, Basso continuo und Chor
Ouvertüre D-Dur BWV 1068
für Trompeten, Pauken, Oboen, Streicher und Basso continuo
1. Ouvertüre 2. Air 3. Gavotte I und II 4. Bourrée 5. Gigue
Kantate BWV 149 „Man singet mit Freuden vom Sieg“
für Sopran, Countertenor, Tenor, Bass,
Trompeten, Pauken, Oboen, Fagott, Streicher, Basso continuo und Chor
Die Ausführenden:
Kerstin Steube (Heidelberg), Sopran – Joachim Diessner (Köln), Countertenor
Christoph Leonhardt (Detmold), Tenor – Markus Lemke (Heidelberg), Bass
Idsteiner Vokalisten
Solisten des Heidelberger Kantatenorchesters:
Lukas Beno, Alexander Petry, Clarissa Dold – Trompeten
Heidi Merz – Pauken
Benjamin Mahla, Simone Knapp, Olaf Gramlich – Oboen
Barbara Lucke – Fagott
Annika Möhle, Anke Steinmetz – Violinen
Zora Grosser – Viola
Sebastian Kammerer – Violoncello
Mark Beers – Kontrabass
Martin Nitz – Orgelcontinuo
Leitung: Rainer Noll
Zum Programm:
Passend zu den diesjährigrn Jubiläen „50 Jahre Stadt Kelsterbach“, „25 Jahre Bach-Konzerte in St. Martin“ und „30 Jahre Rainer Noll Kantor an St. Martin“ ist das heutige Programm ein ausgesprochenes Festtagsprogramm, allein schon von der bisher aufwendigsten Besetzung mit vier Gesangssolisten, drei Trompeten, drei Oboen, Pauken, Fagott, Streichern und Chor her. Die beiden Festtags-Kantaten „Gott fähret auf mit Jauchzen“ BWV 43 und „Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten“ BWV 149 umrahmen die festliche Ouvertüre D-Dur BWV 1068. Beide Kantaten komponierte Bach zu besonderen Anlässen: die erste zum Himmelfahrtstag, die andere zum Michaelistag. So verschieden die beiden Festtage als äußerlicher Ausgangspunkt sein mögen, so sehr laufen beide Kantaten bei Bach auf dieselbe Thematik hinaus: den Sieg Jesu Christi über den Satan und die Höllenmächte und die Freude auf die zukünftige Herrlichkeit vor Gottes Angesicht. Als Motto könnten über dem ganzen Konzert die letzten Zeilen des Schlusschorals der Eingangskantate stehen „Mein Gott, wenn fahr ich doch dahin, woselbst ich ewig fröhlich bin, wenn werd ich vor dir stehen, dein Angesicht zu sehen?“. Das ganze Programm, von festlichem Jubel und klanglicher Prachtentfaltung erfüllt, erweist sich von hier her als doch nicht nur vordergründig „fröhlich“, sondern erhält seine Tiefendimension, indem es zum Vorspiel und Abglanz der zukünftigen Herrlichkeit in Gottes Reich wird. Die Freude, die wir hier und jetzt zum Ausdruck bringen, wird zur Vorfreude, erfüllt von Sehnsucht nach vollkommener Freude, die es in dieser Welt nicht geben kann.
Im Jahre 1723 wurde Johann Sebastian Bach, seit sechs Jahren „hochfürstlicher“ Hofkapellmeister zu Köthen, zum Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt Leipzig gewählt. Er blieb sozusagen übrig, nachdem berühmtere Musiker wie Telemann und Graupner abgesagt hatten, und so kam es denn auch zu der bekannten Äußerung des Dr. Platz, festgehalten im Protokoll der Sitzung des Leipziger Stadtrates: „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man mittlere nehmen.“ Allein Bürgermeister Lange hatte den größeren Durchblick: „Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann … vergessen“. Dennoch: Niemand wurde sich im damaligen Leipzig (und ebenso andernorts) bewusst, dass ihr Kantor, den man immer wieder von amtswegen „subalternieren“ zu müssen glaubte, unter oft verdrießlichen Umständen in stetigem, stillen Fleiß Werke von Weltrang schuf, für deren Überlieferung er selbst wenig tat. Stattdessen musste er sich noch von kleinkarrierten Ratsherren, von denen nichts als ihre wichtigtuerische Bedeutungslosigkeit der Nachwelt zu berichten bleibt, vorwerfen lassen: „Nicht allein tue der Kantor nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären … es müsse doch einmal brechen.“ Man drohte ihm das Gehalt zu „verkümmern“, da er „incorrigibel“ (unverbesserlich) sei. Und 1730 hieß es im Rat bei der Wahl eines neuen Rektors für die Thomasschule, man möge hier besser fahren als mit der Wahl des Kantors. Bei der schon zu Bachs Lebzeiten geschmacklos betriebenen Wahl seines Nachfogers resümierte man im Stadtrat: „… man brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister!“ (auf heutige Verhältnisse übertragen: einen „Gemeindemusiker“ – aber bitte ohne künstlerische Ambitionen!). Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis Bachs Größe in breiteren Kreisen erkannt zu werden begann.
Zu Bachs Aufgaben gehörte es u.a., für jeden sonntäglichen Hauptgottesdienst eine Kantate zu liefern und aufzuführen. Dieser Gottesdienst begann um 7 Uhr in der Frühe und dauerte 3-4 Stunden (je nach Jahreszeit in der stets unbeheizten Kirche!). Er stellte ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis dar und wurde regelmäßig von über 2000 (!!) Menschen besucht (und dies, obwohl um 11:30 Uhr die hauptsächlich von Handwerksburschen und Gesinde besuchte „Mittagspredigt“ und um 13:30 Uhr die „Vesper“ folgten – beide ebenfalls stark frequentiert wie die täglich stattfindenden Werktagsgottesdienste!).
Kantate BWV 43 „Gott fähret auf mit Jauchzen“
Teil 1
1. Chor
Gott fähret auf mit Jauchzen und der Herr mit heller Posaunen.
Lobsinget, lobsinget Gott, lobsinget, lobsinget unserm Könige.
2. Rezitativ (Tenor)
Es will der Höchste sich ein Siegsgepräng bereiten,
da die Gefängnisse er selbst gefangen führt.
Wer jauchzt ihm zu, wer ist’s, der die Posaunen rührt,
wer gehet ihm zur Seiten?
Ist es nicht Gottes Heer,
das seines Namens Ehr,
Heil, Preis, Reich, Kraft und Macht mit lauter Stimme singet
und ihm nun ewiglich ein Halleluja bringet?
3. Arie (Tenor)
Ja, tausendmal tausend begleiten den Wagen,
dem König der Könge lobsingend zu sagen,
dass Erde und Himmel sich unter ihm schmiegt
und was er bezwungen, nun gänzlich erliegt.
4. Rezitativ (Sopran)
Und der Herr, nachdem er mit ihnen geredet hatte,
ward er aufgehoben gen Himmel und sitzet zur rechten Hand Gottes.
5. Arie (Sopran)
Mein Jesus hat nunmehr
das Heilandwerk vollendet
und nimmt die Wiederkehr
zu dem, der ihn gesendet,
er schließt der Erden Lauf,
ihr Himmel, öffnet euch und nehmt ihn wieder auf.
Teil II
6. Rezitativ (Bass)
Es kommt der Helden Held,
des Satans Fürst und Schrecken,
der selbst den Tod gefällt,
getilgt der Sünden Flecken,
zerstreut der Feinde Hauf,
ihr Kräfte, eilt herbei und holt den Sieger auf
7. Arie (Bass)
Er ist’s, der ganz allein
die Kelter hat getreten
voll Schmerzen, Qual und Pein,
Verlorne zu erretten
durch einen teuren Kauf,
ihr Thronen, mühet euch und setzt ihm Kränze auf.
8. Rezitativ (Alt)
Der Vater hat ihm ja
ein ewig Reich bestimmet,
nun ist die Stunde nah,
da er die Krone nimmet
vor tausend Ungemach,
ich stehe hier am Weg und schau ihm freudig nach.
9. Arie (Alt)
Ich sehe schon im Geist,
wie er zu Gottes Rechten
auf seine Feinde schmeißt,
zu helfen seinen Knechten
aus Jammer, Not und Schmach,
ich stehe hier am Weg und schau ihm sehnlich nach.
10. Rezitativ (Sopran)
Er will mir neben sich die Wohnung zubereiten,
damit ich ewiglich ihm stehe an der Seiten
befreit von Weh und Ach,
ich stehe hier am Weg und ruf ihm dankbar nach.
11. Chor
Du Lebensfürst, Herr Jesu Christ, der du bist aufgenommen
gen Himmel, da dein Vater ist und die Gemein der Frommen,
wie soll ich deinen großen Sieg,
den du durch einen schweren Krieg
erworben hast, recht preisen
und dir g’nug Ehr erweisen?
Zieh uns dir nach, so laufen wir, gib uns des Glaubens Flügel,
hilf, daß wir fliehen weit von hier auf Israelis Hügel,
mein Gott, wenn fahr ich doch dahin,
woselbst ich ewig fröhlich bin,
wenn werd ich vor dir stehen,
dein Angesicht zu sehen?
„Als Teil seines dritten Leipziger Kantatenjahrgangs führte Johann Sebastian Bach am 30. Mai 1726 die Himmelfahrtskantate Gott fähret auf mit Jauchzen BWV 43 auf. Ihr Text ist in der im gleichen Jahr in Rudolstadt ohne Angabe eines Textdichters erschienenen Sammlung Sonn- und Fest?Tags?Andachten über die ordentlichen Evangelia enthalten. Diese Texte lagen bereits im Kirchenjahr 1704/05 am Meininger Hof vor, ihr Autor war möglicherweise Herzog Ernst Ludwig von Sachsen?Meiningen.
Die ungewöhnliche Textstruktur der Kantate wird von einem mehrstrophigen Gedicht in einer Weise dominiert, die formale Ausgewogenheit vermissen läßt:
1. alttestamentliches Bibelwort (Chor)
2.?3. freie Dichtung (Rezitativ ? Arie)
4. neutestamentliches Bibelwort (Rezitativ)
5.?10. sechsstrophiges Gedicht (Arie ? Rezitativ ? Arie – Rezitativ ? Arie ? Rezitativ)
11. Kirchenliedstrophe nach Johann Rist (Choral)
In unserer Kantate wird unter Anspielung auf mehrere alttestamentliche Passagen ? selbst innerhalb des eröffnenden Spruchs aus Psalm 47, 6?7 ? in verschiedenen Varianten die Himmelfahrt Christi gepriesen. Daneben spielen der Sieg über den Satan und die Feinde Gottes sowie die Vision der himmlischen Wohnung eine Rolle. Die Gliederung der Bachschen Kantate in zwei Teile (mit der die Anlage des Textes übrigens ignoriert wird) kann als Indiz für eine Aufführung vor und nach der Predigt gelten.
Mit drei Trompeten und Pauken weist sich das Werk musikalisch als Festtagskantate aus.
Im Unterschied zur textlichen Dominanz des sechsstrophigen Gedichts in der Mitte und im zweiten Teil der Kantate liegt der musikalische Schwerpunkt des Werkes eindeutig im Eingangschor. Einer instrumentalen Einleitung, die eher einen langsamen Konzertsatz erwarten läßt, folgt ein großangelegter vokal?instrumentaler Fugensatz mit drei Fugendurchführungen und wechselnd in die Fugierung einbezogenen Instrumentalstimmen (einschließlich erster Trompete). Gleichwohl ist dieses imposante Stück auch von Tendenzen geprägt, die dem Prinzip der Fuge entgegenwirken ? so, wenn die zweite Durchführung in einem Dominant?Orgelpunkt aufgeht und die dritte Durchführung über einem Tonika?Orgelpunkt in eine homophone Coda mündet.
Mit Bachs Orchestersuiten verbindet diese Kantate ein kurioses Charakteristikum: Dem überaus gewichtigen Eingangssatz haben die folgenden Sätze nichts Adäquates entgegenzusetzen. Sie genügen sich darin, verschiedene Satztypen in verschiedenen ‚Tonfällen‘ aneinanderzureihen. Gerade in den vier, auf alle Stimmgattungen verteilten Arien der Kantate freilich findet man auch manch regelwidrige Kühnheit und überraschend dichte musikalische Deutung des Textes.“
(Michael Märker im Vorwort der Carus-Ausgabe, 1999)
„Die vier Ouvertüren (Orchestersuiten) Johann Sebastian Bachs sind, bei sehr geringem autographen Anteil, lediglich in Abschriften aus der Leipziger Zeit Bachs oder in noch später zu datierenden Quellen überliefert. Hauptquelle für die
Ouvertüre D?Dur, BWV 1068,
ist ein Stimmensatz, der wohl 1730/31 entstanden ist. Bach selbst hat in den Stimmen Violino I und Continuo jeweils die beiden Schluss?Sätze eingetragen, die übrigen Sätze Johann Ludwig Krebs, der 1726 als etwa 13jähriger in die Thomasschule aufgenommen worden war. Die Stimme Violino II hat Carl Philipp Emanuel Bach geschrieben, die sieben restlichen Stimmen stammen von einem bisher unbekannten Kopisten. Die drei von Bach, seinem Sohn und Krebs geschriebenen Stimmen ? die übrigen können auch jüngeren Datums sein – waren vermutlich für das Collegium Musicum bestimmt, dessen Leitung Bach im Frühjahr 1729 als Nachfolger des Neukirchenorganisten Schott übernommen hatte. Möglicherweise gab diese neue Tätigkeit den Anstoß, die vorliegende Ouvertüre zu komponieren. Wie die früher entstandene Zweitfassung der Ouvertüre BWV 1069 sieht auch dieses Werk die attraktive Besetzung mit Trompeten und Pauken für den festlichen bzw. Freiluftgebrauch vor.
Unsere Orchestersuite hat Mendelssohn im Jahr 1830 Goethe auf dem Klavier vorgespielt.“
(Hans Grüß im Vorwort der Bärenreiter-Ausgabe, 1984)
Mendelssohn war damals gerade elf Jahre alt. Goethe bemerkte dazu, „es gehe darin so pompös und vornehm zu, dass man ordentlich die Reihe geputzter Leute, die von einer großen Treppe heruntersteigen, vor sich sehe“.
Kantate BWV 149 „Man singet mit Freuden vom Sieg“
1. Chor
Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten, die Rechte des behält den Sieg,
die Rechte des Herrn ist erhöhet, die Rechte des Herrn behält den Sieg.
2. Arie (Bass)
Kraft und Stärke sei gesungen
Gott, dem Lamme, das bezwungen
und den Satanas verjagt,
der uns Tag und Nacht verklagt,
Ehr und Sieg ist auf die Frommen
durch des Lammes Blut gekommen.
3. Rezitativ (Alt)
Ich fürchte mich vor tausend Feinden nicht;
denn Gottes Engel lagern sich um meine Seiten her,
wenn alles fällt, wenn alles bricht,
so bin ich doch in Ruh,
wie wär es möglich zu verzagen,
Gott schickt mir ferner Roß und Wagen
und ganze Herden Engel zu.
4. Arie (Sopran)
Gottes Engel weichen nie,
sie sind bei mir aller Enden.
Wenn ich schlafe, wachen sie,
wenn ich gehe,
wenn ich stehe,
tragen sie mich auf den Händen.
5. Rezitativ (Tenor)
Ich danke dir,
mein lieber Gott, dafür,
dabei verleihe mir,
dass ich mein sündlich Tun bereue,
dass sich mein Engel drüber freue,
damit er mich an meinem Sterbetage
in deinen Schoß zum Himmel trage.
6. Arie (Alt, Tenor)
Seid wachsam, ihr heiligen Wächter,
die Nacht ist schier dahin.
Ich sehne mich und ruhe nicht,
bis ich vor dem Angesicht
meines lieben Vaters bin.
7. Chor
Ach Herr, laß dein lieb Engelein
am letzten End die Seele mein
in Abrahams Schoß tragen,
den Leib in sein’m Schlafkämmerlein
gar sanft ohn einge Qual und Pein
ruhn bis am jüngsten Tage.
Alsdenn vom Tod erwecke mich,
dass meine Augen sehen dich
in aller Freud, o Gottes Sohn,
mein Heiland und Genadenthron,
Herr Jesu Christ, erhöre mich, erhöre mich,
ich will dich preisen ewiglich.
Die Kantate „Man singet mit Freuden vom Sieg“ gehört zu Bachs viertem Leipziger Kantatenjahrgang, dessen Texte von Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, stammen. Er schrieb dieses Werk zum Michaelistag (29. September) 1728 und wiederholte es am gleichen Festtag des folgenden Jahres. Thema der zugehörigen Epistellesung ist der Kampf des Erzengels Michael mit dem Drachen im Himmel (Offenbarung 12, 7-12). Gleich im Eingangschor wird der Sieg besungen mit einem Wort aus Psalm 118, 15. Thematische Entwürfe dazu finden sich auf einem Bogen der Partitur der weltlichen Kantate „Geschwinde, ihr wirbelnden Winde“ BWV 201. Wohl in zeitliche Bedrängnis geraten, griff Bach aber dann doch auf den Schlusschor der weltlichen Jagdkantate BWV 208 zurück und unterlegte ihm im Parodieverfahren den geistlichen Text.
„An die Stelle der beiden Jagdhörner sind nun 3 Trompeten und Pauken getreten; zugleich wurde der Satz von F- nach D-Dur transponiert. Die übrige Instrumentalbesetzung von 3 Oboen, Fagott, Streichern und Continuo ist gleich geblieben. Den Chor hat Bach sehr geschickt dem neuen Text angepaßt, begünstigt durch die freudige Grundhaltung beider Texte, die teilweise sogar gleiche Wortstämme enthalten (»freudige Stunden« »mit Freuden«; »was Trauren besieget« – »behält den Sieg«); und wenn uns die Jagdkantate nicht erhalten wäre, so würde der Parodiecharakter wohl nicht an der Textierung offenbar werden, sondern eher noch daran, dass der Satz für einen Bibelwortchor auffallend homophon und zudem in reiner Dacapoform komponiert ist – Ausdruck einer jubelnden, ja beinahe tändelnden Unbekümmertheit, die nichts mehr von dem vorangegangenen »Streit im Himmel« weiß.
Ob noch weitere Sätze des Werkes Parodie sind, wissen wir nicht; wenn ja, so wären die Vorlagen dazu verschollen. Auch wäre die Umformung wiederum außergewöhnlich gut gelungen. So ist die erste Arie (Satz 2), ein Continuosatz, mit ihrem weitausgreifenden Kopfmotiv ein überzeugendes Abbild jener visionären »großen Stimme« aus Offenbarung 12, 10, die den Sieg des Lammes verkündigt.
Ein Seccorezitativ (Satz 3) leitet zur zweiten Arie (Satz 4), einem Streichersatz von bezaubernder Lieblichkeit. Ihre klare Gliederung in Viertaktgruppen (und deren Vielfaches) sowie ihre liedhafte Melodik offenbaren ihren Tanzcharakter; und selbst textgezeugte Melodieformung, die das Gehen, Stehen, das Getragenwerden auf den Händen der Engel abbildet, beeinträchtigt diese Grundhaltung des Satzes nicht.
Das zweite Rezitativ (Satz 5) ist wiederum ein Secco von knappen Ausmaßen. Ihm folgt als dritte Arie (Satz 6) ein Duett mit obligatem Fagott, dessen selten solistisch eingesetzter Klang hier möglicherweise das nächtliche Dunkel, eher aber wohl mit seiner belebten Figuration die Wachsamkeit der Wächter widerspiegeln soll. Auch dieser Satz zeichnet sich durch eingängige Melodik aus; und selbst die vielfachen Kanonbildungen in den beiden Singstimmen erwecken nirgends den Eindruck kunstvollen Kontrapunktsatzes, so unaufdringlich fügen sie sich der gelösten Bewegtheit des Satzes ein.
Ein schlichter Choralsatz beendet das Werk, bringt jedoch am Schluß noch eine Überraschung: Auf die letzte Kadenz setzen nochmals die Trompeten mit einem kurzen Schlußmotiv ein.“ (Alfred Dürr in „Die Kantaten J. S. Bachs“, Kassel 1981, S. 573 f.)
Die Solisten:
KERSTIN STEUBE, Sopran
Kerstin Steube studierte an der Musikhochschule in Mannheim Gesangspädagogik und absolvierte anschließend ein künstlerisches Aufbaustudium in Karlsruhe bei Christiane Hampe. Sie nahm an zahlreichen Meisterkursen u. a. bei Julia Hammari, Ulrich Eisenlohr, Gerd Türk und Judith Beckmann teil. Zu ihrem Repertoire zählen die oratorischen Werke und Opern der Barockzeit bis zur Klassik, aber auch insbesondere die Lieder von Franz Schubert, Hugo Wolf und Richard Strauss. Ihre rege Konzerttätigkeit führt sie durch ganz Deutschland u. a. in Zusammenarbeit mit namhaften Orchestern und Ensembles wie dem Radiosinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, der Landesphilharmonie Rheinland-Pfalz, dem Asco-Ensemble Amsterdam und dem Ensemble Modern Frankfurt.
JOACHIM DIESSNER, Countertenor,
wurde geboren in Süchteln / Niederrhein und begann seine musikalische Ausbildung mit Klavier- und Orgelunterricht. Nach dem Abitur zunächst Studium der Theologie, Gesangsunterricht bei Alastair Thompson, später Studium am königlichen Konservatorium in Den Haag, anschließend bei Prof. Philip Langshaw in Köln. Teilnahme an mehreren Meisterkursen u.a. bei Jessica Cash, zudem regelmässiger Unterricht bei Drew Minter sowie Michael Chance. Als Mitglied mehrere Ensembles entstanden Rundfunk- und CD-Aufnahmen unter Hermann Max, Sigiswald Kuijken, Jordi Savall und Frieder Bernius. Joachim Diessner gastierte an den Opernhäusern in Münster, Frankfurt, Darmstadt, Konstanz, sowie am Kampnagel-Theater in Hamburg und dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth. Zu seinen Partien gehörten u.a. die Titelrolle in Pietro Torris Oper ‚Amadis‘, Hercules in Händels ‚The choice of Hercules‘, ‚Bacchus‘ in Arianna von Monteverdi/Goehr sowie die Titelrolle in Offenbachs ‚La Grande-Duchesse de Gerolstein‘. Zudem ist er regelmässiger Gast bei verschiedenen renommierten Festivals im In- und Ausland, u. a. 6 Jahre in Folge bei der Styriarte Graz, den Berliner Festwochen, den Heidelberger Bachtagen, dem Händel-Festival in Halle sowie dem Festival für Alte Musik in Varaszdin. Jüngste Produktionen führten ihn ans Brandenburger Opernhaus, wo er im Jahre 2000 auch als künstlerischer Leiter die Planung und Organisation der Tage für Alte Musik übernahm. Zahlreiche Radio- und CD-Aufnahmen dokumentieren darüber hinaus seine Arbeit.
CHRISTOPH LEONHARDT, Tenor,
geboren in Bad Nauheim; schon während seiner Schulzeit nebenamtlicher Chorleiter und Organist sowie Mitwirkung in ver- schiedenen Vokalensembles. Nach dem Abitur zunächst Studium der evang. Theologie und der Musikwissenschaft in Frankfurt / Main, Erlangen und Mainz. Gesangsstudium an der Dresdener Musikhochschule bei Frau Prof. Helga Köhler-Wellner. Beschäftigung vor allem mit der Musik des 16. – 18. Jahrhunderts mit Schwerpunkt Kantaten, Oratorien und Passionen des Barock sowie Messen der Klassik. Mitwirkung u. a. beim Eröffnungskonzert eines Projektes des Sächsischen Musikrates, in dem im Bach-Jahr 2000 alle Bach-Kantaten des ersten Leipziger Jahrganges aufgeführt wurden. Seit 2001 Engagement am Landestheater Detmold.
MARKUS LEMKE, Bass?Bariton,
wurde 1965 in Düsseldorf geboren, studierte Gesang an den Musikhochschulen in Hamburg und Karlsruhe. 1992 Examen, danach Studienabschluß durch Meisterkurse und mehrjährigen Privatunterricht bei Andreas Schmidt.
Sein künstlerischer Schwerpunkt gilt dem Oratorium und Lied; rege Konzerttätigkeit mit Musik aller Epochen und Stilrichtungen, Liederabende (u.a. Schubert, Schumann, Wolf), Uraufführungen zeitgenössischer Werke, projekteweise Oper ( „Carmen“ von G. Bizet u.a).
Er nahm an Interpretationskursen und nationalen wie internationalen Gesangswettbewerben teil; 1998 Finalteilnahme beim 42. Internationalen Gesangswettbewerb in s’Hertogenbosch/Holland im Bereich Oratorium (Preise wurden nicht vergeben).
Konzertreisen führten ihn u.a. nach Frankreich, Italien, Finnland, Lettland, Israel und Japan (J.S. Bachs h?moll?Messe in Tokyo), er war im französischen, niederländischen und österreichischen Rundfunk sowie bei SDR und WDR zu hören und machte Fernsehaufnahmen bei den ARD.
Konzerte unter anderem unter: Matthias Breitschaft (J.S. Bachs WeihnachtsoratoriumGesamtaufführung im Mainzer Dom 1999), Helmuth Rilling, Thomas Hengelbrock (zuletzt bei den Schwetzinger Festspielen 2001), Christoph Schoener (Bachs Johannespassion/Jesus in St. Michaelis/Hamburg 2000); Bruckner?Konzert unter H. M. Bäuerle (Konzerthaus Freiburg), Dezember 2001 C.Ph.E. Bachs Magnificat mit Kenneth Montgomery und der Cappella Amsterdam in der Vredenburg, Utrecht/Niederlande, August 2002 Mozarts „Le Nozze di Figaro“ bei den Sommerfestspielen Schloß Wachenheim unter Christian Kabitz;
November 2002 Titelpartie in Petr Ebens Kirchenoper „Jeremias“ (szenische Aufführung) in Göttingen; Dez. 2003 Europa?Tournee: C. Ph. E. Bachs Magnificat mit La Stagione Frankfurt unter Michael Schneider.
RAINER NOLL , Dirigent
wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.
Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“; 1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach / Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor E. Jacobi und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.
Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. Er nimmt durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 25 Jahren stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 20 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.
Progr.BK2002