Bachkonzert 2002

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Kantate BWV 43 „Gott fähret auf mit Jauchzen“

für Sopran, Countertenor, Tenor, Bass,

Trompeten, Pauken, Oboen, Fagott, Streicher, Basso continuo und Chor

Ouvertüre D-Dur BWV 1068

für Trompeten, Pauken, Oboen, Streicher und Basso continuo

1. Ouvertüre 2. Air 3. Gavotte I und II 4. Bourrée 5. Gigue

Kantate BWV 149 „Man singet mit Freuden vom Sieg“

für Sopran, Countertenor, Tenor, Bass,

Trompeten, Pauken, Oboen, Fagott, Streicher, Basso continuo und Chor

Die Ausführenden:

Kerstin Steube (Heidelberg), Sopran – Joachim Diessner (Köln), Countertenor

Christoph Leonhardt (Detmold), Tenor – Markus Lemke (Heidelberg), Bass

Idsteiner Vokalisten

Solisten des Heidelberger Kantatenorchesters:

Lukas Beno, Alexander Petry, Clarissa Dold – Trompeten

Heidi Merz – Pauken

Benjamin Mahla, Simone Knapp, Olaf Gramlich – Oboen

Barbara Lucke – Fagott

Annika Möhle, Anke Steinmetz – Violinen

Zora Grosser – Viola

Sebastian Kammerer – Violoncello

Mark Beers – Kontrabass

Martin Nitz – Orgelcontinuo

Leitung: Rainer Noll

 

 

Zum Programm:

Passend zu den diesjährigrn Jubiläen „50 Jahre Stadt Kelsterbach“, „25 Jahre Bach-Konzerte in St. Martin“ und „30 Jahre Rainer Noll Kantor an St. Martin“ ist das heutige Programm ein ausgesprochenes Festtagsprogramm, allein schon von der bisher aufwendigsten Besetzung mit vier Gesangssolisten, drei Trompeten, drei Oboen, Pauken, Fagott, Streichern und Chor her. Die beiden Festtags-Kantaten „Gott fähret auf mit Jauchzen“ BWV 43 und „Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten“ BWV 149 umrahmen die festliche Ouvertüre D-Dur BWV 1068. Beide Kantaten komponierte Bach zu besonderen Anlässen: die erste zum Himmelfahrtstag, die andere zum Michaelistag. So verschieden die beiden Festtage als äußerlicher Ausgangspunkt sein mögen, so sehr laufen beide Kantaten bei Bach auf dieselbe Thematik hinaus: den Sieg Jesu Christi über den Satan und die Höllenmächte und die Freude auf die zukünftige Herrlichkeit vor Gottes Angesicht. Als Motto könnten über dem ganzen Konzert die letzten Zeilen des Schlusschorals der Eingangskantate stehen „Mein Gott, wenn fahr ich doch dahin, woselbst ich ewig fröhlich bin, wenn werd ich vor dir stehen, dein Angesicht zu sehen?“. Das ganze Programm, von festlichem Jubel und klanglicher Prachtentfaltung erfüllt, erweist sich von hier her als doch nicht nur vordergründig „fröhlich“, sondern erhält seine Tiefendimension, indem es zum Vorspiel und Abglanz der zukünftigen Herrlichkeit in Gottes Reich wird. Die Freude, die wir hier und jetzt zum Ausdruck bringen, wird zur Vorfreude, erfüllt von Sehnsucht nach vollkommener Freude, die es in dieser Welt nicht geben kann.

Im Jahre 1723 wurde Johann Sebastian Bach, seit sechs Jahren „hochfürstlicher“ Hofkapellmeister zu Köthen, zum Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt Leipzig gewählt. Er blieb sozusagen übrig, nachdem berühmtere Musiker wie Telemann und Graupner abgesagt hatten, und so kam es denn auch zu der bekannten Äußerung des Dr. Platz, festgehalten im Protokoll der Sitzung des Leipziger Stadtrates: „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man mittlere nehmen.“ Allein Bürgermeister Lange hatte den größeren Durchblick: „Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann … vergessen“. Dennoch: Niemand wurde sich im damaligen Leipzig (und ebenso andernorts) bewusst, dass ihr Kantor, den man immer wieder von amtswegen „subalternieren“ zu müssen glaubte, unter oft verdrießlichen Umständen in stetigem, stillen Fleiß Werke von Weltrang schuf, für deren Überlieferung er selbst wenig tat. Stattdessen musste er sich noch von kleinkarrierten Ratsherren, von denen nichts als ihre wichtigtuerische Bedeutungslosigkeit der Nachwelt zu berichten bleibt, vorwerfen lassen: „Nicht allein tue der Kantor nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären … es müsse doch einmal brechen.“ Man drohte ihm das Gehalt zu „verkümmern“, da er „incorrigibel“ (unverbesserlich) sei. Und 1730 hieß es im Rat bei der Wahl eines neuen Rektors für die Thomasschule, man möge hier besser fahren als mit der Wahl des Kantors. Bei der schon zu Bachs Lebzeiten geschmacklos betriebenen Wahl seines Nachfogers resümierte man im Stadtrat: „… man brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister!“ (auf heutige Verhältnisse übertragen: einen „Gemeindemusiker“ – aber bitte ohne künstlerische Ambitionen!). Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis Bachs Größe in breiteren Kreisen erkannt zu werden begann.

Zu Bachs Aufgaben gehörte es u.a., für jeden sonntäglichen Hauptgottesdienst eine Kantate zu liefern und aufzuführen. Dieser Gottesdienst begann um 7 Uhr in der Frühe und dauerte 3-4 Stunden (je nach Jahreszeit in der stets unbeheizten Kirche!). Er stellte ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis dar und wurde regelmäßig von über 2000 (!!) Menschen besucht (und dies, obwohl um 11:30 Uhr die hauptsächlich von Handwerksburschen und Gesinde besuchte „Mittagspredigt“ und um 13:30 Uhr die „Vesper“ folgten – beide ebenfalls stark frequentiert wie die täglich stattfindenden Werktagsgottesdienste!).

 

Kantate BWV 43 „Gott fähret auf mit Jauchzen“
Teil 1

1. Chor

Gott fähret auf mit Jauchzen und der Herr mit heller Posaunen.

Lobsinget, lobsinget Gott, lobsinget, lobsinget unserm Könige.

 

2. Rezitativ (Tenor)

Es will der Höchste sich ein Siegsgepräng bereiten,

da die Gefängnisse er selbst gefangen führt.

Wer jauchzt ihm zu, wer ist’s, der die Posaunen rührt,

wer gehet ihm zur Seiten?

Ist es nicht Gottes Heer,

das seines Namens Ehr,

Heil, Preis, Reich, Kraft und Macht mit lauter Stimme singet

und ihm nun ewiglich ein Halleluja bringet?

 

3. Arie (Tenor)

Ja, tausendmal tausend begleiten den Wagen,

dem König der Könge lobsingend zu sagen,

dass Erde und Himmel sich unter ihm schmiegt

und was er bezwungen, nun gänzlich erliegt.

 

4. Rezitativ (Sopran)

Und der Herr, nachdem er mit ihnen geredet hatte,

ward er aufgehoben gen Himmel und sitzet zur rechten Hand Gottes.

 

5. Arie (Sopran)

Mein Jesus hat nunmehr

das Heilandwerk vollendet

und nimmt die Wiederkehr

zu dem, der ihn gesendet,

er schließt der Erden Lauf,

ihr Himmel, öffnet euch und nehmt ihn wieder auf.

 

Teil II

6. Rezitativ (Bass)

Es kommt der Helden Held,

des Satans Fürst und Schrecken,

der selbst den Tod gefällt,

getilgt der Sünden Flecken,

zerstreut der Feinde Hauf,

ihr Kräfte, eilt herbei und holt den Sieger auf

 

7. Arie (Bass)

Er ist’s, der ganz allein

die Kelter hat getreten

voll Schmerzen, Qual und Pein,

Verlorne zu erretten

durch einen teuren Kauf,

ihr Thronen, mühet euch und setzt ihm Kränze auf.

 

8. Rezitativ (Alt)

Der Vater hat ihm ja

ein ewig Reich bestimmet,

nun ist die Stunde nah,

da er die Krone nimmet

vor tausend Ungemach,

ich stehe hier am Weg und schau ihm freudig nach.

 

9. Arie (Alt)

Ich sehe schon im Geist,

wie er zu Gottes Rechten

auf seine Feinde schmeißt,

zu helfen seinen Knechten

aus Jammer, Not und Schmach,

ich stehe hier am Weg und schau ihm sehnlich nach.

 

10. Rezitativ (Sopran)

Er will mir neben sich die Wohnung zubereiten,

damit ich ewiglich ihm stehe an der Seiten

befreit von Weh und Ach,

ich stehe hier am Weg und ruf ihm dankbar nach.

 

11. Chor

Du Lebensfürst, Herr Jesu Christ, der du bist aufgenommen

gen Himmel, da dein Vater ist und die Gemein der Frommen,

wie soll ich deinen großen Sieg,

den du durch einen schweren Krieg

erworben hast, recht preisen

und dir g’nug Ehr erweisen?

 

Zieh uns dir nach, so laufen wir, gib uns des Glaubens Flügel,

hilf, daß wir fliehen weit von hier auf Israelis Hügel,

mein Gott, wenn fahr ich doch dahin,

woselbst ich ewig fröhlich bin,

wenn werd ich vor dir stehen,

dein Angesicht zu sehen?

 

„Als Teil seines dritten Leipziger Kantatenjahrgangs führte Johann Sebastian Bach am 30. Mai 1726 die Himmelfahrtskantate Gott fähret auf mit Jauchzen BWV 43 auf. Ihr Text ist in der im gleichen Jahr in Rudolstadt ohne Angabe eines Textdichters erschienenen Sammlung Sonn- und Fest?Tags?Andachten über die ordentlichen Evangelia enthalten. Diese Texte lagen bereits im Kirchenjahr 1704/05 am Meininger Hof vor, ihr Autor war möglicherweise Herzog Ernst Ludwig von Sachsen?Meiningen.

Die ungewöhnliche Textstruktur der Kantate wird von einem mehrstrophigen Gedicht in einer Weise dominiert, die formale Ausgewogenheit vermissen läßt:

1. alttestamentliches Bibelwort (Chor)

2.?3. freie Dichtung (Rezitativ ? Arie)

4. neutestamentliches Bibelwort (Rezitativ)

5.?10. sechsstrophiges Gedicht (Arie ? Rezitativ ? Arie – Rezitativ ? Arie ? Rezitativ)

11. Kirchenliedstrophe nach Johann Rist (Choral)

 

In unserer Kantate wird unter Anspielung auf mehrere alttestamentliche Passagen ? selbst innerhalb des eröffnenden Spruchs aus Psalm 47, 6?7 ? in verschiedenen Varianten die Himmelfahrt Christi gepriesen. Daneben spielen der Sieg über den Satan und die Feinde Gottes sowie die Vision der himmlischen Wohnung eine Rolle. Die Gliederung der Bachschen Kantate in zwei Teile (mit der die Anlage des Textes übrigens ignoriert wird) kann als Indiz für eine Aufführung vor und nach der Predigt gelten.

Mit drei Trompeten und Pauken weist sich das Werk musikalisch als Festtagskantate aus.

Im Unterschied zur textlichen Dominanz des sechsstrophigen Gedichts in der Mitte und im zweiten Teil der Kantate liegt der musikalische Schwerpunkt des Werkes eindeutig im Eingangschor. Einer instrumentalen Einleitung, die eher einen langsamen Konzertsatz erwarten läßt, folgt ein großangelegter vokal?instrumentaler Fugensatz mit drei Fugendurchführungen und wechselnd in die Fugierung einbezogenen Instrumentalstimmen (einschließlich erster Trompete). Gleichwohl ist dieses imposante Stück auch von Tendenzen geprägt, die dem Prinzip der Fuge entgegenwirken ? so, wenn die zweite Durchführung in einem Dominant?Orgelpunkt aufgeht und die dritte Durchführung über einem Tonika?Orgelpunkt in eine homophone Coda mündet.

Mit Bachs Orchestersuiten verbindet diese Kantate ein kurioses Charakteristikum: Dem überaus gewichtigen Eingangssatz haben die folgenden Sätze nichts Adäquates entgegenzusetzen. Sie genügen sich darin, verschiedene Satztypen in verschiedenen ‚Tonfällen‘ aneinanderzureihen. Gerade in den vier, auf alle Stimmgattungen verteilten Arien der Kantate freilich findet man auch manch regelwidrige Kühnheit und überraschend dichte musikalische Deutung des Textes.“

(Michael Märker im Vorwort der Carus-Ausgabe, 1999)

 

 

„Die vier Ouvertüren (Orchestersuiten) Johann Sebastian Bachs sind, bei sehr geringem autographen Anteil, lediglich in Abschriften aus der Leipziger Zeit Bachs oder in noch später zu datierenden Quellen überliefert. Hauptquelle für die

Ouvertüre D?Dur, BWV 1068,

ist ein Stimmensatz, der wohl 1730/31 entstanden ist. Bach selbst hat in den Stimmen Violino I und Continuo jeweils die beiden Schluss?Sätze eingetragen, die übrigen Sätze Johann Ludwig Krebs, der 1726 als etwa 13jähriger in die Thomasschule aufgenommen worden war. Die Stimme Violino II hat Carl Philipp Emanuel Bach geschrieben, die sieben restlichen Stimmen stammen von einem bisher unbekannten Kopisten. Die drei von Bach, seinem Sohn und Krebs geschriebenen Stimmen ? die übrigen können auch jüngeren Datums sein – waren vermutlich für das Collegium Musicum bestimmt, dessen Leitung Bach im Frühjahr 1729 als Nachfolger des Neukirchenorganisten Schott übernommen hatte. Möglicherweise gab diese neue Tätigkeit den Anstoß, die vorliegende Ouvertüre zu komponieren. Wie die früher entstandene Zweitfassung der Ouvertüre BWV 1069 sieht auch dieses Werk die attraktive Besetzung mit Trompeten und Pauken für den festlichen bzw. Freiluftgebrauch vor.

Unsere Orchestersuite hat Mendelssohn im Jahr 1830 Goethe auf dem Klavier vorgespielt.“

(Hans Grüß im Vorwort der Bärenreiter-Ausgabe, 1984)

Mendelssohn war damals gerade elf Jahre alt. Goethe bemerkte dazu, „es gehe darin so pompös und vornehm zu, dass man ordentlich die Reihe geputzter Leute, die von einer großen Treppe heruntersteigen, vor sich sehe“.

 

 

Kantate BWV 149 „Man singet mit Freuden vom Sieg“

 

1. Chor

Man singet mit Freuden vom Sieg in den Hüt­ten der Gerechten, die Rechte des behält den Sieg,

die Rechte des Herrn ist erhöhet, die Rechte des Herrn behält den Sieg.

 

2. Arie (Bass)

Kraft und Stärke sei gesungen

Gott, dem Lamme, das bezwungen

und den Satanas verjagt,

der uns Tag und Nacht verklagt,

Ehr und Sieg ist auf die Frommen

durch des Lammes Blut gekommen.

 

3. Rezitativ (Alt)

Ich fürchte mich vor tausend Feinden nicht;

denn Gottes Engel lagern sich um meine Seiten her,

wenn alles fällt, wenn alles bricht,

so bin ich doch in Ruh,

wie wär es möglich zu verzagen,

Gott schickt mir ferner Roß und Wagen

und ganze Herden Engel zu.

 

4. Arie (Sopran)

Gottes Engel weichen nie,

sie sind bei mir aller Enden.

Wenn ich schlafe, wachen sie,

wenn ich gehe,

wenn ich stehe,

tragen sie mich auf den Händen.

 

5. Rezitativ (Tenor)

Ich danke dir,

mein lieber Gott, dafür,

dabei verleihe mir,

dass ich mein sündlich Tun bereue,

dass sich mein Engel drüber freue,

damit er mich an meinem Sterbetage

in deinen Schoß zum Himmel trage.

 

6. Arie (Alt, Tenor)

Seid wachsam, ihr heiligen Wächter,

die Nacht ist schier dahin.

Ich sehne mich und ruhe nicht,

bis ich vor dem Angesicht

meines lieben Vaters bin.

 

7. Chor

Ach Herr, laß dein lieb Engelein

am letzten End die Seele mein

in Abrahams Schoß tragen,

den Leib in sein’m Schlafkämmerlein

gar sanft ohn einge Qual und Pein

ruhn bis am jüngsten Tage.

Alsdenn vom Tod erwecke mich,

dass meine Augen sehen dich

in aller Freud, o Gottes Sohn,

mein Heiland und Genadenthron,

Herr Jesu Christ, erhöre mich, erhöre mich,

ich will dich preisen ewiglich.

 

Die Kantate „Man singet mit Freuden vom Sieg“ gehört zu Bachs viertem Leipziger Kantatenjahrgang, dessen Texte von Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, stammen. Er schrieb dieses Werk zum Michaelistag (29. September) 1728 und wiederholte es am gleichen Festtag des folgenden Jahres. Thema der zugehörigen Epistellesung ist der Kampf des Erzengels Michael mit dem Drachen im Himmel (Offenbarung 12, 7-12). Gleich im Eingangschor wird der Sieg besungen mit einem Wort aus Psalm 118, 15. Thematische Entwürfe dazu finden sich auf einem Bogen der Partitur der weltlichen Kantate „Geschwinde, ihr wirbelnden Winde“ BWV 201. Wohl in zeitliche Bedrängnis geraten, griff Bach aber dann doch auf den Schlusschor der weltlichen Jagdkantate BWV 208 zurück und unterlegte ihm im Parodieverfahren den geistlichen Text.

„An die Stelle der beiden Jagdhörner sind nun 3 Trompeten und Pauken getreten; zugleich wurde der Satz von F- nach D-Dur transponiert. Die übrige Instrumentalbesetzung von 3 Oboen, Fagott, Streichern und Continuo ist gleich geblieben. Den Chor hat Bach sehr geschickt dem neuen Text angepaßt, begünstigt durch die freudige Grundhaltung beider Texte, die teilweise sogar gleiche Wortstämme enthalten (»freudige Stunden« »mit Freuden«; »was Trauren besieget« – »behält den Sieg«); und wenn uns die Jagdkantate nicht erhalten wäre, so würde der Parodiecharakter wohl nicht an der Textierung offenbar werden, sondern eher noch daran, dass der Satz für einen Bibelwortchor auffallend homophon und zudem in reiner Dacapoform komponiert ist – Ausdruck einer jubelnden, ja beinahe tändelnden Unbekümmertheit, die nichts mehr von dem vorangegangenen »Streit im Himmel« weiß.

Ob noch weitere Sätze des Werkes Parodie sind, wissen wir nicht; wenn ja, so wären die Vorlagen dazu verschollen. Auch wäre die Umformung wiederum außergewöhnlich gut gelungen. So ist die erste Arie (Satz 2), ein Continuosatz, mit ihrem weitausgreifenden Kopfmotiv ein überzeugendes Abbild jener visionären »großen Stimme« aus Offenbarung 12, 10, die den Sieg des Lammes verkündigt.

Ein Seccorezitativ (Satz 3) leitet zur zweiten Arie (Satz 4), einem Streichersatz von bezaubernder Lieblichkeit. Ihre klare Gliederung in Viertaktgruppen (und deren Vielfaches) sowie ihre liedhafte Melodik offenbaren ihren Tanzcharakter; und selbst textgezeugte Melodieformung, die das Gehen, Stehen, das Getragenwerden auf den Händen der Engel abbildet, beeinträchtigt diese Grundhaltung des Satzes nicht.

Das zweite Rezitativ (Satz 5) ist wiederum ein Secco von knappen Ausmaßen. Ihm folgt als dritte Arie (Satz 6) ein Duett mit obligatem Fagott, dessen selten solistisch eingesetzter Klang hier möglicherweise das nächtliche Dunkel, eher aber wohl mit seiner belebten Figuration die Wachsamkeit der Wächter widerspiegeln soll. Auch dieser Satz zeichnet sich durch eingängige Melodik aus; und selbst die vielfachen Kanonbildungen in den beiden Singstimmen erwecken nirgends den Eindruck kunstvollen Kontrapunktsatzes, so unaufdringlich fügen sie sich der gelösten Bewegtheit des Satzes ein.

Ein schlichter Choralsatz beendet das Werk, bringt jedoch am Schluß noch eine Überraschung: Auf die letzte Kadenz setzen nochmals die Trompeten mit einem kurzen Schlußmotiv ein.“ (Alfred Dürr in „Die Kantaten J. S. Bachs“, Kassel 1981, S. 573 f.)

 

Die Solisten:

 

KERSTIN STEUBE, Sopran

Kerstin Steube studierte an der Musikhochschule in Mannheim Gesangspädagogik und absolvierte anschließend ein künstlerisches Aufbaustudium in Karlsruhe bei Christiane Hampe. Sie nahm an zahlreichen Meisterkursen u. a. bei Julia Hammari, Ulrich Eisenlohr, Gerd Türk und Judith Beckmann teil. Zu ihrem Repertoire zählen die oratorischen Werke und Opern der Barockzeit bis zur Klassik, aber auch insbesondere die Lieder von Franz Schubert, Hugo Wolf und Richard Strauss. Ihre rege Konzerttätigkeit führt sie durch ganz Deutschland u. a. in Zusammenarbeit mit namhaften Orchestern und Ensembles wie dem Radiosinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, der Landesphilharmonie Rheinland-Pfalz, dem Asco-Ensemble Amsterdam und dem Ensemble Modern Frankfurt.

JOACHIM DIESSNER, Countertenor,

wurde geboren in Süchteln / Niederrhein und begann seine musikalische Ausbildung mit Klavier- und Orgelunterricht. Nach dem Abitur zunächst Studium der Theologie, Gesangsunterricht bei Alastair Thompson, später Studium am königlichen Konservatorium in Den Haag, anschließend bei Prof. Philip Langshaw in Köln. Teilnahme an mehreren Meisterkursen u.a. bei Jessica Cash, zudem regelmässiger Unterricht bei Drew Minter sowie Michael Chance. Als Mitglied mehrere Ensembles entstanden Rundfunk- und CD-Aufnahmen unter Hermann Max, Sigiswald Kuijken, Jordi Savall und Frieder Bernius. Joachim Diessner gastierte an den Opernhäusern in Münster, Frankfurt, Darmstadt, Konstanz, sowie am Kampnagel-Theater in Hamburg und dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth. Zu seinen Partien gehörten u.a. die Titelrolle in Pietro Torris Oper ‚Amadis‘, Hercules in Händels ‚The choice of Hercules‘, ‚Bacchus‘ in Arianna von Monteverdi/Goehr sowie die Titelrolle in Offenbachs ‚La Grande-Duchesse de Gerolstein‘. Zudem ist er regelmässiger Gast bei verschiedenen renommierten Festivals im In- und Ausland, u. a. 6 Jahre in Folge bei der Styriarte Graz, den Berliner Festwochen, den Heidelberger Bachtagen, dem Händel-Festival in Halle sowie dem Festival für Alte Musik in Varaszdin. Jüngste Produktionen führten ihn ans Brandenburger Opernhaus, wo er im Jahre 2000 auch als künstlerischer Leiter die Planung und Organisation der Tage für Alte Musik übernahm. Zahlreiche Radio- und CD-Aufnahmen dokumentieren darüber hinaus seine Arbeit.

 

CHRISTOPH LEONHARDT, Tenor,

geboren in Bad Nauheim; schon während seiner Schulzeit nebenamtlicher Chorleiter und Organist sowie Mitwirkung in ver- schiedenen Vokalensembles. Nach dem Abitur zunächst Studium der evang. Theologie und der Musikwissenschaft in Frankfurt / Main, Erlangen und Mainz. Gesangsstudium an der Dresdener Musikhochschule bei Frau Prof. Helga Köhler-Wellner. Beschäftigung vor allem mit der Musik des 16. – 18. Jahrhunderts mit Schwerpunkt Kantaten, Oratorien und Passionen des Barock sowie Messen der Klassik. Mitwirkung u. a. beim Eröffnungskonzert eines Projektes des Sächsischen Musikrates, in dem im Bach-Jahr 2000 alle Bach-Kantaten des ersten Leipziger Jahrganges aufgeführt wurden. Seit 2001 Engagement am Landestheater Detmold.

 

MARKUS LEMKE, Bass?Bariton,

wurde 1965 in Düsseldorf geboren, studierte Gesang an den Musikhochschulen in Hamburg und Karlsruhe. 1992 Examen, danach Studienabschluß durch Meisterkurse und mehrjährigen Privatunterricht bei Andreas Schmidt.

Sein künstlerischer Schwerpunkt gilt dem Oratorium und Lied; rege Konzerttätigkeit mit Musik aller Epochen und Stilrichtungen, Liederabende (u.a. Schubert, Schumann, Wolf), Uraufführungen zeitgenössischer Werke, projekteweise Oper ( „Carmen“ von G. Bizet u.a).

Er nahm an Interpretationskursen und nationalen wie internationalen Gesangswettbewerben teil; 1998 Finalteilnahme beim 42. Internationalen Gesangswettbewerb in s’Hertogenbosch/Holland im Bereich Oratorium (Preise wurden nicht vergeben).

Konzertreisen führten ihn u.a. nach Frankreich, Italien, Finnland, Lettland, Israel und Japan (J.S. Bachs h?moll?Messe in Tokyo), er war im französischen, niederländischen und österreichischen Rundfunk sowie bei SDR und WDR zu hören und machte Fernsehaufnahmen bei den ARD.

Konzerte unter anderem unter: Matthias Breitschaft (J.S. Bachs Weihnachtsoratorium­Gesamtaufführung im Mainzer Dom 1999), Helmuth Rilling, Thomas Hengelbrock (zuletzt bei den Schwetzinger Festspielen 2001), Christoph Schoener (Bachs Johannespassion/Jesus in St. Michaelis/Hamburg 2000); Bruckner?Konzert unter H. M. Bäuerle (Konzerthaus Freiburg), Dezember 2001 C.Ph.E. Bachs Magnificat mit Kenneth Montgomery und der Cappella Amsterdam in der Vredenburg, Utrecht/Niederlande, August 2002 Mozarts „Le Nozze di Figaro“ bei den Sommerfestspielen Schloß Wachenheim unter Christian Kabitz;

November 2002 Titelpartie in Petr Ebens Kirchenoper „Jeremias“ (szenische Aufführung) in Göttingen; Dez. 2003 Europa?Tournee: C. Ph. E. Bachs Magnificat mit La Stagione Frankfurt unter Michael Schneider.

 

RAINER NOLL , Dirigent

wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.

Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“; 1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach / Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor E. Jacobi und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.

Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. Er nimmt durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 25 Jahren stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 20 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.

Progr.BK2002

Bachkonzert 2003

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

 Evangelium zu BWV 159: Lukas 18, 31-34 (Pfr. J. W. Bremer)

 

Sinfonia F-dur

Einleitung zur Kantate „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ BWV 156,1

 

Kantate BWV 159 „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“

für Countertenor, Tenor, Bass,

Oboe, Streicher, Basso continuo und Chor

Konzert d-moll BWV 1059

für Orgel, Oboe, Streicher und Basso continuo

Allegro – Siciliano – Presto

Evangelium zu BWV 166: Johannes 16, 5-15

Kantate BWV 166 „Wo gehest du hin“

für Countertenor, Tenor, Bass,

 Oboe, Streicher, Basso continuo und Chor

Die Ausführenden:

 

Joachim Diessner (Köln), Countertenor – Christoph Leonhardt (Wiesbaden), Tenor

 Erik Frithjof (Düsseldorf), Bass

Solisten des Heidelberger Kantatenorchesters:

Simone Petry – Oboe

Bettina Knauer, Anke Steinmetz – Violinen

Karina Telle – Viola

Ilya Ryabokon – Violoncello

Michael Tkacz – Kontrabass

Martin Nitz – Orgel

Idsteiner Vokalisten

Leitung: Rainer Noll

 

Zum Programm:

Das Thema der heutigen Kantaten ist die bange Frage „wohin?“. In der ersten Kantate „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“ wird mit dem schweren Gang nach Jerusalem der Blick auf das Passionsgeschehen gerichtet. Gleich zu Beginn fragt die Seele: „…wo geht dein Jesus hin?“. Der „herbe Gang“ führt für Jesus unweigerlich zur Hinrichtung am Kreuz. – Die zweite Kantate „Wo gehest du hin?“ beginnt mit dieser Frage aus den Abschiedsreden Jesu, wendet sie aber zur Sinnfrage an jeden einzelnen Menschen, der ebenfalls unweigerlich dem Tod entgegen geht: „Denn ich gehe oder stehe, so liegt mir die Frag im Sinn, Mensch, ach Mensch, wo gehst du hin?“. Folgerichtig steht am Anfang des Programmes die Einleitung zur Kantate BWV 156 „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“, und es wird beschlossen mit dem Choral „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“.

Im Jahre 1723 wurde Johann Sebastian Bach, seit sechs Jahren „hochfürstlicher“ Hofkapellmeister zu Köthen, zum Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt Leipzig gewählt. Er blieb sozusagen übrig, nachdem berühmtere Musiker wie Telemann und Graupner abgesagt hatten, und so kam es denn auch zu der bekannten Äußerung des Dr. Platz, festgehalten im Protokoll der Sitzung des Leipziger Stadtrates: „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man mittlere nehmen.“ Allein Bürgermeister Lange hatte den größeren Durchblick: „Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann … vergessen“. Dennoch: Niemand wurde sich im damaligen Leipzig (und ebenso andernorts) bewusst,  dass ihr Kantor, den man immer wieder von amtswegen „subalternieren“ zu müssen glaubte, unter oft verdrießlichen Umständen in stetigem, stillen Fleiß Werke von Weltrang schuf, für deren Überlieferung er selbst wenig tat. Stattdessen musste er sich noch von kleinkarierten Ratsherren, von denen nichts als ihre wichtigtuerische Bedeutungslosigkeit der Nachwelt zu berichten bleibt, vorwerfen lassen: „Nicht allein tue der Kantor nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären … es müsse doch einmal brechen.“ Man drohte ihm das Gehalt zu  „verkümmern“, da er „incorrigibel“ (unverbesserlich) sei. Und 1730 hieß es im Rat bei der Wahl eines neuen Rektors für die Thomasschule, man möge hier besser fahren als mit der Wahl des Kantors. Bei der schon zu Bachs Lebzeiten geschmacklos betriebenen Wahl seines Nachfolgers resümierte man im Stadtrat: „… man brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister!“ (auf heutige Verhältnisse übertragen: einen „Gemeindemusiker“ – aber bitte ohne künstlerische Ambitionen!). Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis Bachs Größe in breiteren Kreisen erkannt  zu werden begann.

Zu Bachs Aufgaben gehörte es u.a., für jeden sonntäglichen Hauptgottesdienst eine Kantate zu liefern und aufzuführen. Dieser Gottesdienst begann um 7 Uhr in der Frühe und dauerte 3-4 Stunden (je nach Jahreszeit in der stets unbeheizten Kirche!). Er stellte ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis dar und wurde regelmäßig von über 2000 (!!) Menschen besucht (und dies, obwohl um 11:30 Uhr die hauptsächlich von Handwerksburschen und Gesinde besuchte „Mittagspredigt“ und um 13:30 Uhr die „Vesper“ folgten – beide ebenfalls stark frequentiert wie die täglich stattfindenden Werktagsgottesdienste!).

Mit der Sinfonia F-Dur, die ich der ersten Kantate als Einleitung voranstelle, leitete Bach die Kantate BWV 156 „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“ ein. In einer späteren Fassung verwendete er sie als langsamen Mittelsatz des Cembalokonzertes f-moll BWV 1056. Eine wunderbare Kantilene der Oboe (Adagio) erklingt über einer dezenten Streicherbegleitung und endet wie mit einer Frage auf der Dominante C-dur.

 

BWV 159 Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem

 

1. Rezitativ und Arioso (Countertenor, Bass)

Sehet,

Komm, schaue doch, mein Sinn, wo geht dein Jesus hin?

wir gehn hinauf

0 herber Gang, hinauf?

       0 ungeheurer Berg, den meine Sünden zeigen,

       wie sauer wirst du müssen steigen.

gen Jerusalem.

Ach, gehe nicht,

       dein Kreuz ist dir schon zugericht‘,

       wo du dich sollst zu Tode bluten,

       hier sucht man Geißeln vor, dort bind‘ man Ruten,

       die Bande warten dein,

       ach, gehe selber nicht hinein;

       doch bliebest du zurücke stehen,

       so müsst ich selbst nicht nach Jerusalem,

       ach, leider in die Hölle gehen.

 

2. Arie (Sopran, Countertenor)

Ich folge dir nach,

Ich will hier bei dir stehen,

       verachte mich doch nicht,

durch Speichel und Schmach,

  von dir will ich nicht gehen,

am Kreuz will ich dich noch umfangen,

bis dir dein Herze bricht,

dich lass ich nicht aus meiner Brust,

wenn dein Haupt wird erblassen

       im letzten Todesstoß,

und wenn du endlich scheiden musst,

       alsdenn will ich dich fassen

sollst du dein Grab in mir erlangen.

       in meinem Arm und Schoß.

 

3. Rezitativ (Tenor)

Nun will ich mich,

mein Jesu, über dich

in meinem Winkel grämen,

die Welt mag immerhin

das Gift der Wollust zu sich nehmen,

ich labe mich an meinen Tränen

und will mich eher nicht

nach einer Freude sehnen,

bis dich mein Angesicht

wird in der Herrlichkeit erblicken,

bis ich durch dich erlöset bin,

da will ich mich mit dir erquicken.

 

4. Arie (Bass)

Es ist vollbracht,

das Leid ist alle,

wir sind von unserrn Sündenfalle

in Gott gerecht gemacht,

es ist vollbracht,

nun will ich eilen

und meinem Jesu Dank erteilen,

Welt, gute Nacht,

es ist vollbracht.

 

5. Chor

Jesu, deine Passion

ist mir lauter Freude,

deine Wunden, Kron und Hohn,

meines Herzens Weide,

meine Seel auf Rosen geht,

wenn ich dran gedenke,

in dem Himmel eine Stätt

mir deswegen schenke.

 

Einiges spricht dafür, dass Bach diese Kantate am 27. Februar 1729 (Sonntag Estomihi) uraufgeführt hat (Text von Picander, 1728 veröffentlicht). Wenn dies zutrifft, war dies die letzte Kantate vor der Uraufführung der Matthäus-Passion am Karfreitag 1729.

„Der Eingangssatz ist ein Dialog, ein Gespräch der gläubigen Seele mit Jesus von besonderer Dramatik und fesselnder Situationsschilderung. Bach hebt Rede und Gegenrede voneinander ab, indem er die Jesusworte als continuobegleitetes Arioso, die Worte der Seele dagegen als streicherbegleitetes Rezitativ komponiert, hinsichtlich der Instrumentation also umgekehrt verfährt wie in der Matthäus-Passion. Beim Arioso offenbart sich Bachs höchste Meisterschaft im Erfinden ausdrucksvoller Textdeklamation. (…) Hier präsentiert sich das Prinzip der einst in Italien geschaffenen Monodie auf der Stufe seiner höchsten Vollendung.“ (Alfred Dürr, Die Kantaten J. S. Bachs, Kassel 1981, S.224) Der Instrumentalbass symbolisiert die schweren aufwärtsführenden Schritte, die aber immer wieder schmerzlich mit einer fallenden Septime (Symbol des Sündenfalles!) unterbrochen werden, als ob Jesus öfters zweifelnd stehen bliebe, um über den Sinn seines ans Kreuz führenden Ganges nachzudenken, von den bangen Zwischenrufen der „Seele“ gewarnt.

„Satz 2, gleichfalls von weiträumiger, ausdrucksstarker Melodik, vereinigt die Worte der Altstimme »Ich folge dir gleichfalls… «  mit der 6. Strophe des Paul-Gerhardt-Liedes »O Haupt voll Blut und Wunden«, den einen Text durch den anderen erklärend. Den Höhepunkt der Kantate bildet jedoch die zweite Arie (Satz 4), zu der Satz 3 als schlichtes Seccorezitativ hinführt. Die konzertierende Oboe spannt den weiten Bogen einer abgeklärten und trostvollen Melodie über einen harmoniefüllenden Streichersatz mit ruhigem, orgelpunktartigem Continuo. (…) Erst im zweiten Arienteil ändert sich die Satzweise. Auf die Worte »Nun will ich eilen« setzt verstärkte Sechzehntelbewegung ein. (…) Die 33. Strophe des Liedes »Jesu Leiden, Pein und Tod« von Paul Stockmann beendet das Werk in schlichtem Choralsatz.“ (A. Dürr, a.a.O., S. 224f)

 

Das Konzert d-moll BWV 1059 wurde von Prof. Helmut Winschermann rekonstruiert. Er schreibt dazu: „Dieses Konzert hat bis zu seiner heutigen Gestalt mehrere Metamorphosen erfahren. Wahrscheinlich war es ursprünglich ein Violinkonzert, dessen Entstehung die neueste Bachforschung um das Jahr 1719 in Köthen annimmt. Von diesem Konzert blieb jedoch keine Zeile, weder ein Autograph noch eine Abschrift, erhalten. Schriftlich fixiert, und zwar von der Hand Joh. Seb. Bachs selbst, erscheint das Werk erst einige Jahre später als Bestandteil der Kirchenkantate »Geist und Seele sind verwirret« (BWV 35), an die es die beiden Einleitungssinfonien zum 1. und 2. Teil und die 1. Arie abgab. Das geschah wahrscheinlich schon in den ersten Jahren von Bachs Wirken als Thomaskantor in Leipzig. Schließlich griff er nochmals auf dieses Werk zurück, als er in den dreißiger Jahren Cembalowerke für das »Telemannische Collegium musicum« benötigte. Von dieser Fassung für »Cembalo solo, una Oboe, due Violini, Viola e Continuo« sind aber nur neun Takte erhalten. (…) Dieser Versuch, das Werk nach der Kirchenkantate zu rekonstruieren, wurde hier zum ersten Mal unternommen. Die Soli der Orgel sind zwischen Cembalo und Oboe aufgeteilt und die Alt-Arie, die als »Siciliano« in das Konzert aufgenommen wurde, der Oboe übergeben worden.“ Die Cembalopartie der Rekonstruktion wird im heutigen Konzert von Prof. Martin Nitz wieder wie in BWV 35 auf der Orgel gespielt.

 

BWV 166 Wo gehest du hin

 

1. Arie (Bass)

Wo gehest du hin?

 

2. Arie (Tenor)

Ich will an den Himmel denken

und der Welt mein Herz nicht schenken.

Denn ich gehe oder stehe,

so liegt mir die Frag im Sinn,

Mensch, ach Mensch, wo gehst du hin?

 

3. Choral (Chorsopran)

Ich bitte dich, Herr Jesu Christ,

halt mich bei den Gedanken

und lass mich ja zu keiner Frist

von dieser Meinung wanken,

sondern dabei verharren fest,

bis dass die Seel aus ihrem Nest

wird in den Himmel kommen.

 

4. Rezitativ  (Bass)

Gleich wie die Regenwasser bald verfließen

und manche Farben leicht verschießen,

so geht es auch der Freude in der Welt,

auf welche mancher Mensch so viele Stücken hält;

denn ob man gleich zuweilen sieht,

dass sein gewünschtes Glücke blüht,

so kann doch wohl in besten Tagen

ganz unvermut‘ die letzte Stunde schlagen.

 

5. Arie (Countertenor)

Man nehme sich in acht,

wenn das Gelücke lacht.

Denn es kann leicht auf Erden

vor abends anders werden

als man am Morgen nicht gedacht.

 

6. Chor                                                    

Wer weiß, wie nahe mir mein Ende,

hin geht die Zeit, her kommt der Tod,

ach, wie geschwinde und behände

kann kommen meine Todesnot,

mein Gott, ich bitt durch Christi Blut,

mach’s nur mit meinem Ende gut.

 

Diese Kantate führte Bach erstmals am 7. Mai 1724 auf (Sonntag Cantate).

Im 1. Satz irrt die Musik fast formlos und unregelmäßig umher, so der Frage „Wo gehest du hin?“ sinnenfälligen Ausdruck des Suchens verleihend. Auch der Bass (sei altersher vox Christi, wie schon in BWV 159) findet nur einen fragenden, unfertigen Abschluss.

„Satz 2, dessen vollständiger Instrumentalsatz, gespielt von Oboe, Solovioline und Continuo, erst bei der Neuveröffentlichung in der Neuen Bach-Ausgabe wiederhergestellt werden konnte, ist von besonderer Schönheit. In seinem Mittelteil malt Bach das »Gehen« und »Stehen« sinnfällig durch aufwärtsgerichtete Tonleiterfiguren bzw. durch lange Haltetöne.

Im folgenden Choral (Satz 3) wird die vom Sopran unverziert in langen Notenwerten vorgetragene Choralmelodie umspielt von den zu kraftvollem Unisono zusammengefassten Violinen und Bratschen.“ (A. Dürr, a.a.O., S. 271f) Es ist, als ob die vereinigten Instrumente die Vokalstimme entgegen ihrer Bitte von ihren „Gedanken“ und aus der Ruhe bringen wollten; diese aber singt ihre Melodie unbeirrt in das wilde Toben um sie herum.

„Demgegenüber sind das Rezitativ (Satz 4) und besonders die zweite Arie (Satz 5) auf einen wesentlich fröhlicheren Ton gestimmt, obgleich sie gerade vor der Freude der Welt warnen sollen. Besonders die Arie, deren Tanzcharakter unverkennbar ist, malt mit ihren Schüttelfiguren zweifellos das Lachen des Glücks, das auch in der Singstimme an langen Koloraturen undTrillern zu erkennen ist. Hier folgt Bach mit der Unbekümmertheit des Barockmusikers allen Möglichkeiten zu bildhafter Darstellung von »Affekten«, auch wenn diese im Text verneint oder abgelehnt werden. (…) Um so eindrucksvoller wirkt nach dieser tänzerischen Arie die Feierlichkeit des Schlusschorals mit der Bitte »Machs nur mit meinem Ende gut«.“ (A. Dürr, a.a.O., S. 272)

Rainer Noll

 
Zu den Ausführenden:

 

Joachim Diessner, Countertenor,

wurde geboren in Süchteln / Niederrhein und begann seine musikalische Ausbildung mit Klavier- und Orgelunterricht. Nach dem Abitur zunächst Studium der Theologie, Gesangsunterricht bei Alastair Thompson, später Studium am königlichen Konservatorium in Den Haag, anschließend bei Prof. Philip Langshaw in Köln. Teilnahme an mehreren Meisterkursen u.a. bei Jessica Cash, zudem regelmäßiger Unterricht bei Drew Minter sowie Michael Chance. Als Mitglied mehrere Ensembles entstanden Rundfunk- und CD-Aufnahmen unter Hermann Max, Sigiswald Kuijken, Jordi Savall und Frieder Bernius. Joachim Diessner gastierte an den Opernhäusern in Münster, Frankfurt, Darmstadt, Konstanz, sowie am Kampnagel-Theater in Hamburg und dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth. Zu seinen Partien gehörten u.a. die Titelrolle in Pietro Torris Oper ‚Amadis‘, Hercules in Händels ‚The choice of Hercules‘, ‚Bacchus‘ in Arianna von Monteverdi/Goehr sowie die Titelrolle in Offenbachs ‚La Grande-Duchesse de Gerolstein‘. Zudem ist er regelmäßiger Gast bei verschiedenen renommierten Festivals im In- und Ausland, u. a. 6 Jahre  in  Folge  bei  der   Styriarte  Graz,  den   Berliner   Festwochen, den Heidelberger Bachtagen, dem Händel-Festival in Halle sowie dem Festival für Alte Musik in Varaszdin. Jüngste Produktionen führten ihn ans Brandenburger Opernhaus, wo er im Jahre 2000 auch als künstlerischer Leiter die Planung und Organisation der Tage für Alte Musik übernahm.  Zahlreiche  Radio- und  CD-Aufnahmen  dokumentieren darüber hinaus seine Arbeit.

 

Christoph Leonhardt, Tenor,

geboren in Bad Nauheim; schon während seiner Schulzeit nebenamtlicher Chorleiter und Organist sowie Mitwirkung in verschiedenen Vokalensembles. Nach dem Abitur zunächst  Studium der evang.  Theologie  und  der  Musikwissenschaft  in  Frankfurt  /  Main, Erlangen  und  Mainz.  Gesangsstudium  an  der Dresdener Musikhochschule bei Frau Prof. Helga  Köhler-Wellner.  Beschäftigung vor allem mit der Musik des 16. – 18. Jahrhunderts mit  Schwerpunkt Kantaten, Oratorien und Passionen des Barock sowie Messen der Klassik. Mitwirkung u. a. beim Eröffnungskonzert eines Projektes des Sächsischen Musikrates, in dem im Bach-Jahr 2000 alle Bach-Kantaten des ersten Leipziger Jahrganges aufgeführt wurden. 2001 Engagement am Landestheater Detmold, seit 2002 am Staatstheater Wiesbaden.

 

Erik Frithjof, Bass-Bariton

Der Bariton Erik Frithjof stammt aus einer Münchner Musikerfamilie. Sein Gesangsstudium absolvierte er in Düsseldorf bei Albrecht Klora und Prof. Werner Lechte.

Konzerte führten Erik Frithjof in den Königin Elisabeth-Saal in Antwerpen, Salle Philhamonique in Lüttich, Brüsseler Palais des Beaux-Arts, Salle du Conservatoire in Luxemburg und in die Tonhalle Düsseldorf. Dabei musizierte er mit Orchestern wie dem Philharmonischen Orchester Flandern, „Les Agrémens“, Hamburger Camerata, „The Rare Fruits Council“ und dem Preußischen Kammerorchester. Er arbeitete mit Dirigenten wie Wieland Kuijken, Hans Rotman und Pierre Cao.

1999 debütierte er in Tokyo mit Liedern von Robert Schumann. 2000 sang er in der Uraufführung des „Zen-Requiem“ von Boudewijn Buckinx. 2003 singt er Schuberts „Winterreise“ in Lier, begleitet von dem Pianisten Alexander Schmalcz, mit dem er regelmäßig Liederabende gibt.

Erik Frithjof erhielt Einladungen zum „Flandern Festival“, zur „Schubertiade“ in Roskilde, „November Music“ in S´Hertogenbosch, „Orff  in Andechs“, „Resonanzen“ in Siegburg, „Musique Sacrée“ in Lourdes und „RUHRtriennale“.

Als Opernsänger gastierte er zuletzt an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und am Theater Hagen.

Erik Frithjof wirkte in Produktionen für den belgischen und niederländischen Rundfunk mit. Unter der Leitung von Wieland Kuijken sang er die Jesus Worte in der in diesem Jahr erscheinenden CD-Produktion der „Matthäus-Passion“ von Georg Philipp Telemann.

 

Simone Petry, Oboe,

geboren 1975 in Ludwigshafen am Rhein. Studium der Fächer Musikpädagogik und Orchestermusik an der Musikhochschule Mannheim. Lehrtätigkeit an verschiedenen Musikschulen. Zahlreiche Aushilfstätigkeiten bei der Baden-Badener Philharmonie, dem Kurpfälzischen Kammerorchester und am Nationaltheater Mannheim. Seit 2001 festes Mitglied der Südwestdeutschen Barocksolisten.

 

Bettina Knauer, Violine,

wurde am 4.8.1982 in Celle geboren.  Mit vier Jahren erhielt sie ihren ersten Geigenunterricht bei ihrer Mutter, ab 1992 bei Hans-Christian Euler, Dozent an der Hochschule für Musik und Theater Hannover und Mitglied des Staatsorchesters Hannover.  Zwischen 1995 und 2001 gewann sie sechs 1. Preise im Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ (sowohl Kammermusik- als auch Solo-Wertungen).  1997 wurde sie Mitglied des Niedersächsischen Jugendsinfonieorchesters, seit 1999 spielt sie im Bundesjugendorchester. Zum Wintersemester 1998 wurde sie Jungstudentin an der Hochschule für Musik und Theater Hannover.  Nach ihrem Abitur am humanistischen Gymnasium Ernestinum Celle 2002 begann sie im Wintersemester 2002 ihr Violin-Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst bei Prof. Susanne Rabenschlag. Weitere Orchestererfahrung sammelte sie im Radiosinfonieorchester des NDR Hannover, im Norddeutschen Barockorchester und in anderen überregional tätigen Ensembles.

 

Anke Steinmetz, Violine,

geboren 1971 in Saarbrücken, erhielt die erste geigerische Ausbildung von ihrer Mutter Agnes Steinmetz (Mitglied der Düsseldorfer Symphoniker). Violinstudium in Klagenfurt bei Brian Finlayson und Helfried Fister. Teilnahme an zahlreichen internationalen Meisterkursen, u.a. Igor Ozim, Denes Zsigmondy, Siegmund Nissel (Amadeus Quartett), sowie in der Kammermusikklasse von Bill Hennessy am Royal Melbourne Conservatory in Melbourne, Australien. Mitglied des Schleswig-Holstein-Festival-Orchesters 1998, der Jungen Deutschen Philharmonie, sowie der Zwingenberger Opernfestspiele. Konzerttätigkeit in verschiedenen Kammermusikensembles, sowie mit der Pianistin Maria Rapp. Zusätzlich Medizinstudium in Heidelberg/Mannheim und Freiburg, Promotion im Februar 2003 in Freiburg. Im April 2003 Auszeichnung mit dem Wissenschaftspreis 2003 der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin. Zur Zeit Assistenzärztin in der Klinik für Manuelle Medizin in Sommerfeld bei Berlin mit den Behandlungsschwerpunkte Manuelle Medizin, Akupunktur und Musikermedizin.

 

Karina Telle, Viola

Diplommusikpädagogin (Violine und Viola),  promovierte Musikwissenschaftlerin

Berufliche Tätigkeiten:

Musikpädagogin an den Musikschulen Heidelberg, Neckargemünd und Stuttgart für die Fächer Violine, Viola, Kammermusik, Orchesterleitung, Musiktheorie, Musikalische Früherziehung; seit 1979 Leitung der Musikschule Neckargemünd; von 1990 bis 2002 Direktorin der Stuttgarter Musikschule; Mitglied im Lukas Barockorchester Stuttgart; langjähriges Mitglied der Heidelberger Kantatenochesters

 

Ilya Ryabokon, Violoncello,

geboren am 15.11.1983 in Kiew (Ukraine) in einer Musikerfamilie. Kurz darauf Umzug nach St. Petersburg. Mit 5 Jahren erster Cellounterricht mit bei seiner Mutter. Vorläufiger Besuch der dortigen Musikschule, dann Wechsel auf die Schule für begabte Kinder (St. Petersburg). Mit 7 Jahren Umzug nach La Coruna (Spanien). Aufenthalt ca. 2 Jahre. Besuch des dortigen Konservatoriums. 1994 Umzug nach Deutschland (Heilbronn). Unterricht an der Musikschule bei Mario Schönfeld. Außerdem Kammermusikkurs bei Michael Flaksman.

1996 Preis im Bundeswettbewerb „Jugend  Musiziert“. Später weitere Erfolge bei „Jugend musiziert“. 1998 – 2000 Vorschüler an der Musikhochschule Karlsruhe bei Prof. Martin Ostertag.

Meisterkurse bei Viktoria Yagling. 2000 – 2002 Vorschüler an der Musikhochschule Mannheim bei Prof. Roland Kunze, anschließend Aufnahme als Student. Dezember 2002 Solo-Konzert (Haydn C-Dur) mit dem „Georgischen Kammerorchester“ aus Ingolstadt in Ballei (Neckarsulm).

 

Michael Tkacz, Kontrabass,

studierte Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Heidelberg sowie Kontrabass an der Musikhochschule Mannheim. Danach langjährige Orchestertätigkeit (Nationaltheater Mannheim, Pfalztheater Kaiserslautern, seit 1993 Heidelberger Sinfoniker). Neben reger kammermusikalischer und solistischer Tätigkeit Lehraufträge an den Musikschule Heidelberg und Mannheim.

 

Martin Nitz, Orgel,

geboren in Oldenburg; Besuch des Humanistischen Gymnasiums; nach dem Abitur Pädagogik-Studium an der damaligen PH (jetzt Universität) in Oldenburg (Hauptfach Musik) mit Abschluss  Staatsexamen; Anschluss-Studium der Schulmusik an der Hamburger Musikhochschule (Hauptfächer: Klavier und Komposition; daneben Blockflöten- und Cembalostudium sowie Aufführungspraxis Alter Musik). 1972 Lehrauftrag für Blockflöte an der Hochschule für Musik. 1973 Cembalodiplom; 1974 Abschluss des Schulmusikstudiums. Seit 1975 Professor und hauptamtlicher Dozent für Blockflöte. Ab 1980 rege Herausgebertätigkeit für Blockflötenmusik des Früh- und Hochbarock bei verschiedenen deutschen, schweizer und österreichischen Verlagen

 

Rainer  Noll , Dirigent,

wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.

Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“;

1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt“; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach / Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor E. Jacobi und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.

Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. Er nimmt durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 26 Jahren stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 21 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.

Progr.BK2003

Bachkonzert 2004

Präludium und Fuge e-moll BWV 548

„Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ BWV 652

Partita über „O Gott, du frommer Gott“ BWV 767

Präludium und Fuge Es-dur BWV 552

 

An der Förster & Nicolaus – Orgel:

RAINER NOLL

Zum Programm

Musik will nicht nur verstanden werden, sie will vor allem erlebt werden. Zu beidem, Verstehen und Erleben, möchten die folgenden Anmerkungen zum heutigen Konzert dem interessierten Hörer eine Hilfestellung anbieten.

Präludium und Fuge e-moll BWV 548 gehören zu den größten Orgelwerken, die Bach geschrieben hat, sowohl dem Umfang als auch dem Gehalt nach. Die Komposition entstand zwischen 1727 und 1731, also in Bachs Leipziger Zeit. Alles an diesem Werk ist herb, nirgends findet man ein „gefälliges“ Thema, das man problemlos nachsingen könnte. Albert Schweitzer, der das Fugenthema als „eines der gewaltigsten, das die Musik überhaupt kennt“ bezeichnet, schreibt dazu: „e-moll-Präludium und Fuge sind so gewaltig angelegt und von einer solchen Herbheit in der Größe, dass der Hörer sie erst nach und nach erfassen kann.“ („J. S. Bach“, Wiesbaden 1960, S. 241) Der Bach-Forscher Christoph Wolff: „Werke wie Präludium und Fuge e-moll BWV 548 demonstrieren Bachs erstaunliche Fähigkeit, die Gattung Präludium und Fuge auf ein Niveau zu heben, das in der Größenordnung weit über das Wohltemperierte Clavier hinausging.“ ( „J. S. Bach“, Frankfurt 2000, S. 341 f.) Der Musikwissenschaftler Lothar Hoffmann-Erbrecht: „Die schwere Gebundenheit des Präludiums, das, von einheitlichem thematischem Material ausgehend, machtvoll aus dem Orgelpunkt herauswächst, löst sich in der kühnsten und freiesten Fuge, die Bach je geschrieben hat. Ihre dreiteilige Form mit dem toccatenhaften Mittelteil und der vollständigen Reprise des Hauptteiles zeigt Bachs vollendet gelungenen Versuch, die an sich heterogenen Elemente der Fugen- , Toccaten- und Konzertform genial miteinander zu verschmelzen.“ (LP-Covertext der Bachschen Orgelwerke, eingespielt von Gustav Leonhardt) Der Organist und Musikwissenschaftler Hubert Meister liefert auf dem Cover seiner Einspielung der Orgelwerke Bachs eine theologische Deutung: „Da Bach seine Hörer theologisch-geistlich belehren und bewegen will, liegt die Vermutung nahe, dass es ihm in diesem Werk um das Drama der Erlösungsbedürftigkeit geht.“ – Ich spiele das Präludium in einer Grand-Jeu- und die Fuge in einer Plein-Jeu-Registrierung.

 

Bach hat zwei große Bearbeitungen über „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ geschrieben. In der einen lässt er das Brausen des Heiligen Geistes im pfingstlichen Jubel hören. Die andere, die wir heute hören, ist introvertiert undverkündet das Mysterium des stillen, sanften Wirkens des Geistes. Sie gehört zu den mystischen Choralvorspielen Bachs. Jede Choralzeile wird in allen Stimmen vorimitiert, bis sie zuletzt in der Oberstimme wie eine Erleuchtung erstrahlt. Unmittelbar nach dem Halleluja bricht freudiger Jubel aus.

Die Partita über „O Gott, du frommer Gott“ besteht aus neun Teilen (Teil = lat. pars, daher die Bezeichnung Partita). Die Melodie des Chorales ist das verbindende Element aller Teile. Wie der holländische Musikwissenschaftler Albert Clement in seiner Dissertation (1989) nachgewiesen hat, ist jedem dieser Teile eine Strophe des Chorals zugeordnet, deren Inhalt von der Musik auf teils äußerst subtile Weise ausgedeutet wird. Deshalb finden Sie im Programm den vollständigen Choraltext zum Mitlesen. Teil I verherrlicht in seiner vollgriffigen Harmonisierung des Chorals die Majestät des Schöpfergottes. Im Bass des sechsten Teiles sind deutlich die „sauren Tritte“ abgebildet, durch die man ins Alter dringt, wie es in der zugehörigen Strophe heißt. Strophe sieben redet von Sterben und Grablegung: die Musik versinnbildlicht dies durch eine alle Stimmen durchziehende Abwärtslinie (ähnlich wie in der Orchesterbegleitung des Schlusschores der Johannespassion oder in den Bässen des Schlusschores der Matthäuspassion). Die folgende Strophe enthält die Bitte des Frommen, Gott möge seiner bei der Auferweckung der Toten gedenken: Bach schildert in quälender Chromatik die schmerzliche Sehnsucht derer, die in dunkler Gruft der Erlösung harren. Im letzten Teil bricht sich dann der Jubel der Auferstandenen Bahn, die sich den Lobpreis der Dreieinigkeit zusingen.

Präludium und Fuge Es-dur bilden die Rahmenstücke der „Clavierübung III. Teil“, die Bach als seine ersten Orgelwerke 1739 veröffentlichte (im Alter von 54 Jahren! – Mit 46 Jahren erst hatte er die „Clavierübung I. Teil“ als sein Opus I herausgegeben, was ein Licht auf seinen Anspruch an sich selbst wirft). Dieses Präludium und die Fuge sind zugleich sein letztes freies, d. h. nicht choralgebundenes Orgelwerk. Der Bach-Forscher Christoph Wolff bezeichnet die „Clavierübung III. Teil“ als Bachs „umfangreichstes“ und zugleich „bedeutendstes Orgelwerk“, ja als „die Quintessenz seiner Orgelkunst“ (zitiert nach Albert Clement, „Der dritte Teil der Clavierübung von Johann Sebastian Bach“, Middelburg 1999, S. 10). Dieser III. Teil ist der einzige aller Teile der Clavierübung, den Bach nicht nur „denen Liebhabern“, sondern „besonders denen Kennern von dergleichen Arbeit“ zueignet.

Sowohl im Präludium als auch in der Fuge spielt die Zahl drei als Symbol für die Dreieinigkeit eine zentrale Rolle: drei unterschiedliche Themenkomplexe beherrschen das Präludium, und drei auseinander hervorgehende Fugen verschiedenen Charakters bilden die Fuge als Ganzes.

Rainer Noll

Bachkonzert 2005

Georg Friedrich Händel (1685 – 1759)

Motetto „Silete venti“ HWV 242

für Sopran, Oboe, Streicher und Basso continuo

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Ouvertüre h-moll BWV 1067

für Flöte, Streicher und Basso continuo

Ouvertüre – Rondeau – Sarabande – Bourrée – Polonaise – Menuet – Badinerie

 

Kantate „O holder Tag, erwünschte Zeit“ BWV 210

für Sopran, Flöte, Oboe d´amore, Streicher und Basso continuo

 

Die Ausführenden:

Eva Lebherz-Valentin (Heidelberg), Sopran

Henner Eppel (Frankfurt), Flöte

Solisten des Heidelberger Kantatenorchesters:

Bernhard Messmer – Oboe und Oboe d´amore

Dennis Posin, Bettina Knauer – Violinen

Mirek Jahoda – Viola

Valeria Lo Giudice – Violoncello

Michael Herzer – Kontrabass

Martin Nitz – Cembalo

Leitung: Rainer Noll

 

Zum Programm:

Im diesjährigen Bach-Konzert werden Werke der beiden gleichaltrigen Barockkomponisten Georg Friedrich Händel (1685 – 1759) und Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) gegenübergestellt. Beide sind sich nie begegnet, und sehr verschieden war ihr Lebensweg. Bach blieb ein Leben lang seiner thüringisch-sächsischen Heimat treu und lebte, in Diensten stehend, in bürgerlichen Verhältnissen, während der in Halle geborene Händel als freier Künstler seit 1703 in Hamburg und ab 1706 für viele Jahre in Italien weilte. Nach Zwischenspielen in London und Hannover ließ er sich 1712 als weitgereister Weltmann endgültig in London nieder, wo er als Opern- und Oratorienkomponist Triumphe feierte, aber auch Niederlagen einstecken musste (Bach dagegen hat nie eine Oper geschrieben). Wie Bach erblindete er am Ende seines Lebens (1751 beginnend). 1759 starb er in London und wurde dort mit höchsten Ehren in der Westminsterabtei beigesetzt, während Bach neun Jahre zuvor in aller Stille auf dem Johannisfriedhof in Leipzig beerdigt worden war.

 

Motetto „Silete venti“ HWV 242

1. Symphonia und Rezitativ

Silete venti, nolite murmurare frondes, quia anima mea dulcedine requiescit.

Schweigt, ihr Winde, und stört nicht mit eurem Rauschen in den Zweigen den süßen Frieden, in dem meine Seele zu ruhen gedenkt.

 

2. Arie

Dulcis amor, Jesu care, quis non cupit te amare; veni, transfige me.

Si tu feris, non sunt clades: tuae plagae sunt suaves, quia totus vivo in te.

Süße Liebe, teurer Jesus, wer begehrte nicht, dich zu lieben; komm, erfülle mich.

Wenn du mich strafst, verletzt du mich nicht: zärtlich erscheinen mir deine Streiche, weil ich ganz in dir lebe.

 

3. Rezitativ

O fortunata anima, o jucundissimus triumphus, o felicissima laetitia.

O beglückte Seele, o angenehmster Triumph, o überschwänglichste Freude.

 

4. Arie

Date serta, date flores; me coronent vestri honores; date palmas nobilis.

Surgent venti et beatae spirent almae fortunatae auras coeli fulgidas.

Windet Kränze, schmückt sie mit Blumen, mögen sie mich mit deiner Ehre krönen; lasst Edelpalmen ergrünen. Die Winde mögen wieder wehen und die gesegneten, glückseligen Seelen mögen den Glanz des Himmels kosten. (Übersetzung RN)

 

5. Alleluia.

 

Über die Hintergründe der Entstehung dieses Werkes haben wir keine Informationen. Das Manuskript wurde um 1724 geschrieben und ist die einzige Quelle. Es wurde nicht vor 1873 veröffentlicht. Die Form ist die der italienischen Motette, wie Quantz sie 1752 in seinem „Versuch“ beschreibt: eine lateinische Solokantate, bestehend aus zwei Arien und zwei Rezitativen mit einem abschließenden Alleluia, normalerweise aufgeführt während der Messe nach dem Credo (in England gab es dafür allerdings keine Möglichkeit). Derjenige Teil der Symphonia im ¾-Takt basiert auf der Sonata zu Chandos Anthem IV, „O sing unto the Lord“ (HWV 249b). Der Beginn von Nr. 4 ist der Deutschen Arie „Meine Seele hört im Sehen“ ähnlich, die um dieselbe Zeit entstand. Nr. 5 ist eine Neubearbeitung des Alleluias einer früheren Motette, „Saeviat tellus“ (HWV 240), wahrscheinlich schon 1707 in Rom entstanden. Nr. 2 und 4 hat Händel in der Version von 1737 von „Esther“ mit verändertem Text wiederverwendet.

 

 

Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 in Eisenach geboren. 1703 – 07 Organist in Arnstadt. 1707 – 08 Organist an St. Blasius in Mühlhausen. 1708 – 17 Hoforganist, Cembalist und Violinist (seit 1714 auch Hofkonzertmeister) in Weimar. 1717 – 23 Hofkapellmeister in Köthen. Ab 1723 Kantor der Thomaskirche und „Kirchenmusikdirektor“ der Stadt Leipzig, wo er am 28. Juli 1750 starb.

Von Bach sind vier Ouvertüren für Orchester überliefert. Es handelt sich eigentlich um Orchestersuiten, also eine Folge von stilisierten Tanzsätzen. Als Einleitung ist diesen eine ausladende Ouvertüre nach französischem Vorbild in feierlich-punktiertem Rhythmus und mit fugiertem Mittelteil vorangestellt, die schließlich als pars pro toto dem Ganzen seinen Namen gab.

Unter den vier Ouvertüren „zeichnet sich die Ouvertüre h-moll, BWV 1067, insofern aus, als Bach in ihr die kompositorischen Mittel des Solo-Concerto-Satzes im überwiegenden Teil des Werkes und mit souveräner Beherrschung anwendet. Hauptquelle ist ein Stimmensatz, von dem Bach die Stimmen der Flauto traverso und der Viola selbst wohl um 1738/39 geschrieben hat. Die Anfertigung der Stimmen könnte dadurch veranlasst worden sein, dass Bach seit dem 2. Oktober 1739 wiederum die Leitung des Collegium Musicum im Zimmermannschen Kaffeehaus übernahm. Da sich aus den Quellen keine Anhaltspunkte dafür gewinnen lassen, dass die Ouvertüre h-moll schon wesentlich früher oder gar in Köthen entstanden ist, kann auch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass das Werk überhaupt erst bei dieser Gelegenheit in Leipzig entstand.“ (Hans Grüß im Vorwort der Bärenreiter-Ausgabe, Kassel 2003) Die abschließende Badinerie gehört zu den bekannstesten Werken Bachs.

Es war Mendelssohn, der die vier Ouvertüren 1838 im Leipziger Gewandhaus erstmals seit Bachs Tod wieder aufführte (1829 hatte er erstmals wieder die Matthäuspassion dirigiert). Bereits als Elfjähriger spielte er dem über achtzigjährigen Goethe aus der D-dur-Ouvertüre Nr. 1 auf dem Klavier vor.

Albert Schweitzer schreibt zu den Ouvertüren: „In den Tanzweisen dieser Suiten ist ein Stück einer versunkenen Welt von Grazie und Eleganz in unsere Zeit hinübergerettet. Sie sind ideale musikalische Darstellungen der Rokokozeit. Der Reiz dieser Stücke beruht in der Vollendung, mit der Kraft und Anmut sich in ihnen durchdringen.“ („J. S. Bach“, Wiesbaden 1960, S. 354)

 

 

Kantate „O holder Tag, erwünschte Zeit“ BWV 210

1. Rezitativ

O holder Tag, erwünschte Zeit, willkommen frohe Stunden, ihr bringt ein Fest, das uns erfreut, weg, Schwermut, weg, weg, Traurigkeit, der Himmel, welcher vor uns wachet, hat euch zu unsrer Lust gemachet; drum lasst uns fröhlich sein, wir sind von Gott darzu verbunden, uns mit den Frohen zu erfreun.

2. Arie

Spielet, ihr beseelten Lieder, werfet die entzückte Brust in die Ohnmacht sanfte nieder. Aber durch der Saiten Lust stärket und erholt sie wieder.

3. Rezitativ

Doch haltet ein, ihr muntern Saiten; denn bei verliebten Eheleuten soll´s stille sein. Ihr harmoniert nicht mit der Liebe; denn eure angebornen Triebe verleiten uns zur Eitelkeit, und dieses schickt sich nicht zur Zeit. Ein frommes Ehepaar will lieber zu dem Dankaltar mit dem Gemüte treten und ein beseeltes Abba (Vaterunser) beten, es ist vielmehr im Geist bemüht und dichtet in der Brust ein angenehmes Lied.

4. Arie

Ruhet hie, matte Töne, matte Töne, ruhet hie. Eure zarte Harmonie ist vor (für) die beglückte Eh´ nicht die rechte Panazee (Heilmittel).

5. Rezitativ

So glaubt man denn, dass die Musik verführe und gar nicht mit der Liebe harmoniere? O nein! Wer wollte denn nicht ihren Wert betrachten, auf den so hohe Gönner achten? Gewiss, die gütige Natur zieht uns von ihr auf eine höh´re Spur, sie ist der Liebe gleich, ein großes Himmelskind, nur dass sie nicht, als wie die Liebe, blind, sie schleicht in alle Herzen ein und kann bei hoh und niedern sein, sie lockt den Sinn zum Himmel hin und kann verliebten Seelen des Höchsten Ruhm erzählen. Ja, heißt die Liebe sonst weit stärker als der Tod, wer leugnet? Die Musik stärkt uns iin Todes Not. O wundervolles Spiel, dich, dich verehrt man viel; doch was erklingt dort vor ein Klagelied, das den geschwinden Ton beliebter Saiten flieht?

6. Arie

Schweigt, ihr Flöten, schweigt, ihr Töne; denn ihr klingt dem Neid nicht schöne, eilt durch die geschwärzte Luft, bis man euch zu Grabe ruft, schweigt, ihr Flöten, schweigt, ihr Töne.

7. Rezitativ

Was Luft, was Grab? Soll die Musik verderben, die uns so großen Nutzen gab, soll so ein Himmelskind ersterben, und zwar für eine Höllenbrut? O nein! Das kann nicht sein; drum auf, erfrische deinen Mut, die Liebe kann vergnügte Saiten gar wohl vor ihrem Throne leiden. Indessen lass dich nur den blassen Neid verlachen, was wird sich dein Gesang aus Satans Kindern machen? Genug, dass dich der Himmel schützt, wenn sich ein Feind auf dich erhitzt, getrost, es leben noch Patronen, die gern bei deiner Anmut wohnen, und einen solchen Mäzenat sollst du auch itzo in der Tat an seinem Hochzeitsfest verehren, wohlan, lass deine Stimme hören.

8. Arie

Großer Gönner, dein Vergnügen muss auch unsern Klang besiegen; denn du verehrst uns deine Gunst, unter deinen Weisheitsschätzen kann dich nichts so sehr ergötzen als der süße Töne Kunst.

9. Rezitativ

Hochteurer Mann, so fahre ferner fort, der edlen Harmonie wie itzt geneigt zu bleiben, so wird sie dir dereinst die Traurigkeit vertreiben, so wird an manchem Ort dein wohlverdientes Lob erschallen, dein Ruhm wird wie ein Demantstein, ja, wie ein fester Stahl beständig sein, bis dass er in der ganzen Welt erklinge. Indessen gönne mir, dass ich bei deiner Hochzeit Freude und ein wünschend Opfer zubereite und nach Gebühr dein künftig Glück und Wohl besinge.

10. Arie

Seid beglückt, edle beide, edle beide, seid beglückt. Beständige Lust erfülle die Wohnung, vergnüge die Brust, bis dass euch die Hochzeit des Lammes erquickt.

 

Diese Kantate zählt zu den „weltlichen“ Kantaten Bachs, was besonders in vorliegenden Fall nicht heißt, dass keine geistlichen Bezüge vorkommen, sondern dass der Aufführungsort nicht die Kirche und der Rahmen nicht eine gottesdienstliche Handlung war.

Von den weltlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs sind weit mehr verlorengegangen als von seinen geistlichen Werken. Etwa fünfzig Titel sind uns bekannt, von mehr als der Hälfte jedoch kennen wir nur die Texte und nicht die Musik. Es dürften jedoch mehr gewesen sein. Sie „zählen seit jeher unter die echten Stiefkinder der Bachschen Vokalmusik“ (so der Bach-Forscher Christoph Wolff in „Johann Sebastian Bachs weltliche Kantaten“, Stuttgart/Weimar/Kassel 1997, S. 8). Sie sind weit weniger bekannt und werden viel seltener aufgeführt als die geistlichen Kantaten. Man kennt einige Sätze von ihnen aus geistlichen Werken, in die sie Bach im Parodieverfahren mit neuem Text integriert hat (so z. B. einige Teile des „Weihnachtsoratoriums“).

Die Kantate BWV 210 war für die Hochzeitsfeier eines unbekannten Paares gedacht. Aus dem Text geht lediglich hervor, dass der Bräutigam nicht nur ein „Gönner“, sondern auch ein „Kenner“ (und nicht nur dilettantischer Liebhaber) der Musik war und diese unter all seinen „Weisheitsschätzen“ an erster Stelle stand. So ist es verständlich, dass Bach hier das ganze Können seiner reifen Meisterschaft aufbot, weil er sich vom Adressaten verstanden fühlte. Das Widmungsexemplar zählt zu den schönsten Reinschriften von Bachs Hand.

Der Bach-Forscher Peter Wollny schreibt in seinem Beitrag „Solokantaten und Solosätze“ in „Die Welt der Bach-Kantaten“ Bd. 2 (Stuttgart/Kassel 1997, S. 193 f.): „Unter den erhaltenen Solokantaten nimmt BWV 210/210a den Rang eines Favoritstücks des Komponisten ein. Bach hat dieses Werk offenbar höher geschätzt als jede andere weltliche Kantate, und trotz einer vergleichsweise schlechten Quellenlage lassen sich nicht weniger als fünf Aufführungen in mindestens drei verschiedenen Fassungen nachweisen. Eine nicht erhaltene erste Fassung entstand vor 1729; auf sie geht die durch Parodie enstandene und am 18. Januar 1729 aufgeführte Huldigungsmusik „O angenehme Melodei“ BWV 210a zurück, die später in anderem Zusammenhang noch mindestens zweimal aufgeführt wurde. Um 1740 schuf Bach die wiederum auf die Urfassung zurückgehende Kantate „O holder Tag, erwünschte Zeit“ BWV 210, die möglicherweise in Zusammenhang mit der Hochzeit eines Mitglieds der mit Bach befreundeten Familie Bose steht. Einen Satz aus diesem Kantatenkomplex, die pastose cis-Moll-Arie „Großer Gönner, dein Vergnügen“ BWV 210/8, verwendete Bach auch noch in einem anderen Kontext, nämlich – in einer um einen Ganzton nach unten transponierten und für Tenor eingerichteten Version – in der 1737 aufgeführten großbesetzten Huldigungsmusik „Angenehmes Wiederau“ BWV 30a. – Auch in Bezug auf die außergewöhnlich hohen technischen Anforderungen an die Singstimme und Instrumente nimmt der Werkkomplex BWV 210/210a eine Sonderstellung ein. Die Kantate bildet gleichsam das weltliche Gegenstück zu der ebenfalls für Sopran gesetzten, äußerst virtuosen geistlichen Solokantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ BWV 51 aus dem Jahre 1730. In BWV 210 werden der Singstimme schwierige Passagen und Koloraturen abverlangt, die nicht weniger als dreimal den Spitzenton cis´´´ erreichen und ein beträchtliches Maß an Ausdruckskraft und Gestaltungsvermögen voraussetzen. Gleichermaßen anspruchsvoll ist die weiträumige Anlage der Kantate mit nicht weniger als fünf ausgedehnten und durch Rezitative eingeleiteten Arien mit jeweils geändertem Tempo, Metrum und Charakter.“

Rainer Noll

 

Zu den Ausführenden:

Eva Lebherz-Valentin, Sopran,

studierte in Frankfurt/M Gesang, Klavier und Oboe an der dortigen Musikhochschule. Seit 1988 wohnt sie in Heidelberg und lebt von ihrer Konzerttätigkeit im In- und Ausland. Neben dem allgemein bekannten Repertoire (von Bachs Passionen bis zu Haydns „Schöpfung“ und Verdis „Requiem“) befasst sie sich ausgiebig mit der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts sowie der Zeitgenössischen Musik.

Zahlreiche CD- Produktionen mit außergewöhnlichen Programmen aus Mittelalter, Renaissance, Klassik und Moderne sowie Live- Konzertmitschnitte, auch von Rundfunk und Fernsehen, zeugen von ihrem untrügerischen musikalischen Stilgefühl.

 

Henner Eppel, Flöte

Nach dem Abitur Musikstudium in Frankfurt am Main, Konzertexamen 1971. Soloflötist in Würzburg, danach im Philharmonischen Orchester Heidelberg. Lehraufträge an den Musikhochschulen Würzburg, Mannheim-Heidelberg und Frankfurt – seit 1994 Professor an der Musikhochschule in Frankfurt. Konzerte in Deutschland, im europäischen Ausland, Ägypten, den USA und Japan. Zahlreiche Rundfunkaufnahmen und Noteneditionen.

 

Martin Nitz, Cembalo,

geboren in Oldenburg; Besuch des Humanistischen Gymnasiums; nach dem Abitur Pädagogik-Studium an der damaligen PH (jetzt Universität) in Oldenburg (Hauptfach Musik) mit Abschluss Staatsexamen; Anschluss-Studium der Schulmusik an der Hamburger Musikhochschule (Hauptfächer: Klavier und Komposition; daneben Blockflöten- und Cembalostudium sowie Aufführungspraxis Alter Musik). 1972 Lehrauftrag für Blockflöte an der Hochschule für Musik. 1973 Cembalodiplom; 1974 Abschluss des Schulmusikstudiums. Seit 1975 Professor und hauptamtlicher Dozent für Blockflöte. Ab 1980 rege Herausgebertätigkeit für Blockflötenmusik des Früh- und Hochbarock bei verschiedenen deutschen, schweizer und österreichischen Verlagen

 

Rainer Noll , Dirigent,

wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.

Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“;

1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt“; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach/Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor E. Jacobi und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.

Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. Er nimmt durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 28 Jahren stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 23 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.

Progr.BK2005

Bachkonzert 2006

Virtuose Solokonzerte von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Konzert E-dur BWV 1042

für Violine, Streicher und Basso continuo

Allegro – Adagio – Allegro assai

Konzert g-moll BWV 1058

für Cembalo, Streicher und Basso continuo

Allegro – Andante – Allegro assai

Konzert a-moll BWV 1041

für Violine, Streicher und Basso continuo

Allegro – Andante – Allegro assai

Konzert d-moll BWV 1043

für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo

Vivace – Largo ma non tanto – Allegro

Die Ausführenden:

Teresa Kammerer und Jeanette Pitkevica, Violine

Martin Nitz, Cembalo

Mitglieder des Heidelberger Kantatenorchesters:

Olga Levinson und Ingrid Kammerer – Violine I + II

Kascia Gasztecka – Viola

Valeria Lo Giudice – Violoncello

Mark Beers – Kontrabass

Leitung: Rainer Noll

Zum Programm:

Im diesjährigen Bach-Konzert werden virtuose Solokonzerte erklingen, die Bach als Komponisten weltlicher Konzertmusiken zeigen. Hier wird deutlich, dass Bach nicht nur der komponierende Kirchenmusiker, sondern generell musikalisch auf der Höhe seiner Zeit war.

Solche Konzertmusiken brauchte Bach, als er 1729 für über zehn Jahre das studentische Collegium Musicum übernahm, das 1701 von Georg Philipp Telemann gegründet worden war. Man nannte es von da an das „Bachische“ Collegium.

1736 vermerkt Mizlers „Musikalische Bibliothek“ dazu: „Die Glieder, so diese Musikalischen Concerten ausmachen, bestehen mehrerentheils aus den allhier Herrn Studirenden, und sind immer gute Musici unter ihnen, so daß öffters, wie bekandt, nach der Zeit berühmte Virtuosen aus ihnen erwachsen.“ Da es überdies „jedem Musico vergönnet (war), sich in diesen Musikalischen Concerten öffentlich hören zu lassen“, hatte Bach den zusätzlichen Reiz, mit reisenden Virtuosen von internationalem Format zusammenzuarbeiten. Lobend wird auch das Publikum erwähnt: „…und sind auch mehrerentheils solche Zuhörer vorhanden, die den Werth eines geschickten Musici zu beurtheilen wissen.“ Hier liegt der Keim für ein in Deutschland sich entwickelndes öffentliches Konzertleben.

Musiziert wurde im Zimmermannschen Kaffeehaus, auf dem Programm standen weltliche Vokal- und Instrumentalwerke aller Art. Im Sommer fanden die Konzerte im Wirtsgarten statt, jeden Mittwoch um 16 Uhr. Im Winter spielte man im Kaffeehaus, regulär freitags von 20 bis 22 Uhr, zu Messezeiten sogar zweimal wöchentlich, dienstags und freitags. Insgesamt zeichnete Bach hier für mehr als fünfhundert zweistündige Programme verantwortlich. „Zur Bürde des Kantorats standen diese Nebenbeschäftigungen im reziprok proportionalen Verhältnis: je weniger Interesse Bach an der Weiterentwicklung der Kirchenmusik und ihres Repertoires hatte, desto mehr schienen ihn die weltlichen Verpflichtungen anzuziehen.“ (Karl Böhmer, Programmheft der Wiesbadener Bachwochen 1995, S. 32)

Von Bachs Konzerten für Solovioline und Orchester sind nur zwei erhalten: das in E-dur BWV 1042 und das in a-moll BWV 1041. Die neuere Forschung geht davon aus, dass diese Konzerte in Leipzig für das Bachische Collegium Musicum entstanden sind und nicht schon in Köthen, ebenso wie das Konzert für zwei Violinen und Orchester d-moll BWV 1043. Formal wurzeln diese Konzerte in Bachs gründlichem Studium italienischer Musik in seiner Weimarer Zeit, speziell der Musik Vivaldis. Typisch ist der effektvolle Wechsel von Solo- und Tuttipassagen.

Bach bearbeitete für seine Kaffeehauskonzerte seine Violinkonzerte und andere Konzerte für 1-4 Cembali und Orchester, wohl für sich und seine hochmusikalischen Söhne als Solisten. Zudem berichtet 1733 eine Zeitungsmeldung über „ein neuer Clavicymbel, dergleichen allhier noch nicht gehöret worden“ – eine weitere Attraktion im Zimmermannschen Kaffeehaus. Damit schuf er die in den folgenden Jahrhunderten die Musikwelt so beherrschende Form des Klavierkonzertes, denn bis dahin wurde das Cembalo nur solistisch oder als Begleitinstrument verwendet, nie aber als Soloinstrument mit Orchester.

Das Besondere des heutigen Programmes ist, dass wir dem Violinkonzert a-moll, also dem Original, Bachs eigene Bearbeitung dieses Konzertes für Cembalo und Orchester in g-moll BWV 1058 voranstellen. Dazu Ruth Seiberts im Programmheft der Wiesbadener Bachwochen 1997, S. 27f.: „Zunächst transponierte Bach das gesamte Werk [einen Ton tiefer], um dem Tonumfang der verschiedenen Solo-Instrumente gerecht zu werden (das e´´´ fehlt auf dem Cembalo, kommt aber in der Geigenstimme vor). Dies bringt mit sich, dass in anderen Stimmen des Ripienos die Untergrenze ihres Tonumfangs unterschritten werden würde, somit mussten einige Passagen des Ripieno wieder nach oben transponiert werden. Einige der wirkungsvollen schnellen Figuren der Violine sind im Cembalo häufig bedeutend weniger wirkungsvoll oder aber kaum ausführbar. Sie mussten umgeschrieben werden in cembalistische Spielfiguren. Neue Stimmen kamen hinzu, vor allem für die linke Hand. In der Tat griff Bach hier auf die bereits existierende Basso Continuo-Stimme zurück, die der Cembalist vor allem in den Tutti-Partien mitspielte. In den Soli jedoch erhielt die Unterstimme mehr freien Raum, sie umspielte den Bass oder bewegte sich selbständig figurativ. Zur Auffüllung traten entweder ausharmonisierende Akkorde oder auch einzelne weitere Stimmen hinzu. Im Vergleich zum Original ergibt sich somit eine starke Verdichtung des Satzes, eine Verdichtung vor allem des Soloparts, die vielleicht den plastischen Kontrast, das Gegenüberstellen von Einzelstimme und Tutti minderte, um diesen Preis aber auch, Bachs Neigung gemäß, ein Mehr an Polyphonie erzielte.“

Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 in Eisenach geboren. 1703 – 07 Organist in Arnstadt. 1707 – 08 Organist an St. Blasius in Mühlhausen. 1708 – 17 Hoforganist, Cembalist und Violinist (seit 1714 auch Hofkonzertmeister) in Weimar. 1717 – 23 Hofkapellmeister in Köthen. Ab 1723 Kantor der Thomaskirche und „Kirchenmusikdirektor“ der Stadt Leipzig, wo er am 28. Juli 1750 starb.

Rainer Noll

 

Zu den Ausführenden:

Teresa Kammerer, Violine,

geb. 1978 in Heidelberg, erhielt ihren ersten Geigenunterricht im Alter von fünf Jahren u. a. bei Prof. Valery Gradow und Prof. Petru Munteanu. 1995 wurde sie Jungstudentin an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf bei Prof. Ida Bieler. Nach dem Abitur 1998 am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg begann sie ihr Studium bei Prof. Stephan Picard an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Dieses schloss sie im Juli 2003 mit dem Diplom ab. An der Indiana University in Bloomington, Indiana setzte sie ihr Studium bei Prof. Mauricio Fuks fort. Für das Studienjahr 2003/04 erhielt sie ein Stipendium der deutsch-amerikanischen Fulbright Kommission und für das Jahr 2004/05 ein Stipendium des DAAD. Seit Oktober 2005 befindet sie sich im Konzertexamen bei Prof. Mihaela Martin an der Musikhochschule Köln.

Neben ersten Preisen beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in den Kategorien „Violine Solo“, „Streicherkammermusik“ und „Klavierkammermusik“ wurde sie 2002 mit einem dritten Preis beim XII. Violinwettbewerb der Ibolyka-Gyarfas-Stiftung in Berlin und 2003 mit einem zweiten Preis beim Internationalen Violinwettbewerbs Bled, Slowenien ausgezeichnet.

Als Mitglied des Kammerer Trios und des Arion Quartetts führten Konzerte sie in die zentralasiatischen Republiken, in die Alte Oper Frankfurt, zum Marler Debüt und auf die Expo Hannover sowie zum Heidelberger Frühling, den Festspielen Mecklen­burg-Vorpommern und dem Oleg-Kagan-Musikfest Kreuth.

Teresa Kammerer war Mitglied des Landesjugendorchester Baden-Württem­berg, des Bundesjugendorchester und des European Union Youth Orchestra. Während ihres Studiums in Berlin spielte sie mehrmals als Aushilfe im Berli­ner Philharmonischen Orchester.

Kammermusik- und Meisterkurse besuchte sie u. a. von Norbert Brainin, Eberhard Feltz, Franco Gulli, Ulf Hoelscher, Wolfgang Marschner, Igor Ozim und Antje Weithaas.

Seit März 2001 ist sie Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Von der Spielzeit 2006/07 an spielt sie im Konzerthausorchester Berlin.

 

Jeanette Pitkevica, Violine,

05.12.1982 in Riga/ Lettland geboren. Erster Geigenunterricht mit 4 Jahren. 1988 Eintritt in Prof. Juris Schvolkovskis Violinklasse (Schule für Hochbegabte der Musik-Akademie Lettland). 2001 Abschluss mit Auszeichnung. Seit April 2002 Studium der Violine (Abschlussziel Künstlerische Reifeprüfung) bei Prof. Walery Gradow (Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim).

Teilnahme an vielen Wettbewerben, Orchesterprojekten und Kursen: u.a. Wettbewerb der Musikschulen Lettlands (1.Preis); Internationalen B. Dvarionas-Wettbewerb, Vilnius/Litauen (Diplom-Auszeichnung); Internationaler Jascha-Heifetz-Wettbewerb, Litauen (Stipendium-Auszeichnung); „Musicum Collegium“ in Pommersfelden; Festival-Orchester bei Helmuth Rilling (Internationale Bachakademie Stuttgart); Orchesterprojekt-Solovioline mit Prof. Hideko Kobayashi und Prof. Micheal Flaksman (Mannheim); Violin-Meisterkurs bei Prof. Robert Kanetti (Israel); Kammermusik-Meisterkurs bei Prof. Anja Lechner (Bad Homburg); Konzert-Meister-Forum bei Prof. Walery Gradow (Mannheim). Seit 2005 Stipendiatin Wilhelm-Müller-Stiftung, Mannheim.

Seit 2005 ist Jeanette Pitkevica neben vielen anderen Engagements regelmäßige Solistin bei Konzerten mit Peter Schumann in Heidelberg, den Starkenburg Philharmoniker unter der Leitung von Günther Stegmüller sowie dem Stamitz-Orchester Mannheim unter der Leitung von Prof. Klaus Eisenmann.

 

Martin Nitz, Cembalo,

geboren in Oldenburg; Besuch des Humanistischen Gymnasiums; nach dem Abitur Pädagogik-Studium an der damaligen PH (jetzt Universität) in Oldenburg (Hauptfach Musik) mit Abschluss Staatsexamen; Anschluss-Studium der Schulmusik an der Hamburger Musikhochschule (Hauptfächer: Klavier und Komposition; daneben Blockflöten- und Cembalostudium sowie Aufführungspraxis Alter Musik). 1972 Lehrauftrag für Blockflöte an der Hochschule für Musik. 1973 Cembalodiplom; 1974 Abschluss des Schulmusikstudiums. Seit 1975 Professor und hauptamtlicher Dozent für Blockflöte. Ab 1980 rege Herausgebertätigkeit für Blockflötenmusik des Früh- und Hochbarock bei verschiedenen deutschen, schweizer und österreichischen Verlagen

 

Rainer Noll, Dirigent,

wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.

Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“;

1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt“; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach/Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor Erwin R. Jacobi (Zürich) und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.

Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. Er nimmt durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 29 Jahren stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 24 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.

Progr.BK2006[1]