Bachkonzert 2006

Virtuose Solokonzerte von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

Konzert E-dur BWV 1042

für Violine, Streicher und Basso continuo

Allegro – Adagio – Allegro assai

Konzert g-moll BWV 1058

für Cembalo, Streicher und Basso continuo

Allegro – Andante – Allegro assai

Konzert a-moll BWV 1041

für Violine, Streicher und Basso continuo

Allegro – Andante – Allegro assai

Konzert d-moll BWV 1043

für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo

Vivace – Largo ma non tanto – Allegro

Die Ausführenden:

Teresa Kammerer und Jeanette Pitkevica, Violine

Martin Nitz, Cembalo

Mitglieder des Heidelberger Kantatenorchesters:

Olga Levinson und Ingrid Kammerer – Violine I + II

Kascia Gasztecka – Viola

Valeria Lo Giudice – Violoncello

Mark Beers – Kontrabass

Leitung: Rainer Noll

Zum Programm:

Im diesjährigen Bach-Konzert werden virtuose Solokonzerte erklingen, die Bach als Komponisten weltlicher Konzertmusiken zeigen. Hier wird deutlich, dass Bach nicht nur der komponierende Kirchenmusiker, sondern generell musikalisch auf der Höhe seiner Zeit war.

Solche Konzertmusiken brauchte Bach, als er 1729 für über zehn Jahre das studentische Collegium Musicum übernahm, das 1701 von Georg Philipp Telemann gegründet worden war. Man nannte es von da an das „Bachische“ Collegium.

1736 vermerkt Mizlers „Musikalische Bibliothek“ dazu: „Die Glieder, so diese Musikalischen Concerten ausmachen, bestehen mehrerentheils aus den allhier Herrn Studirenden, und sind immer gute Musici unter ihnen, so daß öffters, wie bekandt, nach der Zeit berühmte Virtuosen aus ihnen erwachsen.“ Da es überdies „jedem Musico vergönnet (war), sich in diesen Musikalischen Concerten öffentlich hören zu lassen“, hatte Bach den zusätzlichen Reiz, mit reisenden Virtuosen von internationalem Format zusammenzuarbeiten. Lobend wird auch das Publikum erwähnt: „…und sind auch mehrerentheils solche Zuhörer vorhanden, die den Werth eines geschickten Musici zu beurtheilen wissen.“ Hier liegt der Keim für ein in Deutschland sich entwickelndes öffentliches Konzertleben.

Musiziert wurde im Zimmermannschen Kaffeehaus, auf dem Programm standen weltliche Vokal- und Instrumentalwerke aller Art. Im Sommer fanden die Konzerte im Wirtsgarten statt, jeden Mittwoch um 16 Uhr. Im Winter spielte man im Kaffeehaus, regulär freitags von 20 bis 22 Uhr, zu Messezeiten sogar zweimal wöchentlich, dienstags und freitags. Insgesamt zeichnete Bach hier für mehr als fünfhundert zweistündige Programme verantwortlich. „Zur Bürde des Kantorats standen diese Nebenbeschäftigungen im reziprok proportionalen Verhältnis: je weniger Interesse Bach an der Weiterentwicklung der Kirchenmusik und ihres Repertoires hatte, desto mehr schienen ihn die weltlichen Verpflichtungen anzuziehen.“ (Karl Böhmer, Programmheft der Wiesbadener Bachwochen 1995, S. 32)

Von Bachs Konzerten für Solovioline und Orchester sind nur zwei erhalten: das in E-dur BWV 1042 und das in a-moll BWV 1041. Die neuere Forschung geht davon aus, dass diese Konzerte in Leipzig für das Bachische Collegium Musicum entstanden sind und nicht schon in Köthen, ebenso wie das Konzert für zwei Violinen und Orchester d-moll BWV 1043. Formal wurzeln diese Konzerte in Bachs gründlichem Studium italienischer Musik in seiner Weimarer Zeit, speziell der Musik Vivaldis. Typisch ist der effektvolle Wechsel von Solo- und Tuttipassagen.

Bach bearbeitete für seine Kaffeehauskonzerte seine Violinkonzerte und andere Konzerte für 1-4 Cembali und Orchester, wohl für sich und seine hochmusikalischen Söhne als Solisten. Zudem berichtet 1733 eine Zeitungsmeldung über „ein neuer Clavicymbel, dergleichen allhier noch nicht gehöret worden“ – eine weitere Attraktion im Zimmermannschen Kaffeehaus. Damit schuf er die in den folgenden Jahrhunderten die Musikwelt so beherrschende Form des Klavierkonzertes, denn bis dahin wurde das Cembalo nur solistisch oder als Begleitinstrument verwendet, nie aber als Soloinstrument mit Orchester.

Das Besondere des heutigen Programmes ist, dass wir dem Violinkonzert a-moll, also dem Original, Bachs eigene Bearbeitung dieses Konzertes für Cembalo und Orchester in g-moll BWV 1058 voranstellen. Dazu Ruth Seiberts im Programmheft der Wiesbadener Bachwochen 1997, S. 27f.: „Zunächst transponierte Bach das gesamte Werk [einen Ton tiefer], um dem Tonumfang der verschiedenen Solo-Instrumente gerecht zu werden (das e´´´ fehlt auf dem Cembalo, kommt aber in der Geigenstimme vor). Dies bringt mit sich, dass in anderen Stimmen des Ripienos die Untergrenze ihres Tonumfangs unterschritten werden würde, somit mussten einige Passagen des Ripieno wieder nach oben transponiert werden. Einige der wirkungsvollen schnellen Figuren der Violine sind im Cembalo häufig bedeutend weniger wirkungsvoll oder aber kaum ausführbar. Sie mussten umgeschrieben werden in cembalistische Spielfiguren. Neue Stimmen kamen hinzu, vor allem für die linke Hand. In der Tat griff Bach hier auf die bereits existierende Basso Continuo-Stimme zurück, die der Cembalist vor allem in den Tutti-Partien mitspielte. In den Soli jedoch erhielt die Unterstimme mehr freien Raum, sie umspielte den Bass oder bewegte sich selbständig figurativ. Zur Auffüllung traten entweder ausharmonisierende Akkorde oder auch einzelne weitere Stimmen hinzu. Im Vergleich zum Original ergibt sich somit eine starke Verdichtung des Satzes, eine Verdichtung vor allem des Soloparts, die vielleicht den plastischen Kontrast, das Gegenüberstellen von Einzelstimme und Tutti minderte, um diesen Preis aber auch, Bachs Neigung gemäß, ein Mehr an Polyphonie erzielte.“

Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 in Eisenach geboren. 1703 – 07 Organist in Arnstadt. 1707 – 08 Organist an St. Blasius in Mühlhausen. 1708 – 17 Hoforganist, Cembalist und Violinist (seit 1714 auch Hofkonzertmeister) in Weimar. 1717 – 23 Hofkapellmeister in Köthen. Ab 1723 Kantor der Thomaskirche und „Kirchenmusikdirektor“ der Stadt Leipzig, wo er am 28. Juli 1750 starb.

Rainer Noll

 

Zu den Ausführenden:

Teresa Kammerer, Violine,

geb. 1978 in Heidelberg, erhielt ihren ersten Geigenunterricht im Alter von fünf Jahren u. a. bei Prof. Valery Gradow und Prof. Petru Munteanu. 1995 wurde sie Jungstudentin an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf bei Prof. Ida Bieler. Nach dem Abitur 1998 am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg begann sie ihr Studium bei Prof. Stephan Picard an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Dieses schloss sie im Juli 2003 mit dem Diplom ab. An der Indiana University in Bloomington, Indiana setzte sie ihr Studium bei Prof. Mauricio Fuks fort. Für das Studienjahr 2003/04 erhielt sie ein Stipendium der deutsch-amerikanischen Fulbright Kommission und für das Jahr 2004/05 ein Stipendium des DAAD. Seit Oktober 2005 befindet sie sich im Konzertexamen bei Prof. Mihaela Martin an der Musikhochschule Köln.

Neben ersten Preisen beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in den Kategorien „Violine Solo“, „Streicherkammermusik“ und „Klavierkammermusik“ wurde sie 2002 mit einem dritten Preis beim XII. Violinwettbewerb der Ibolyka-Gyarfas-Stiftung in Berlin und 2003 mit einem zweiten Preis beim Internationalen Violinwettbewerbs Bled, Slowenien ausgezeichnet.

Als Mitglied des Kammerer Trios und des Arion Quartetts führten Konzerte sie in die zentralasiatischen Republiken, in die Alte Oper Frankfurt, zum Marler Debüt und auf die Expo Hannover sowie zum Heidelberger Frühling, den Festspielen Mecklen­burg-Vorpommern und dem Oleg-Kagan-Musikfest Kreuth.

Teresa Kammerer war Mitglied des Landesjugendorchester Baden-Württem­berg, des Bundesjugendorchester und des European Union Youth Orchestra. Während ihres Studiums in Berlin spielte sie mehrmals als Aushilfe im Berli­ner Philharmonischen Orchester.

Kammermusik- und Meisterkurse besuchte sie u. a. von Norbert Brainin, Eberhard Feltz, Franco Gulli, Ulf Hoelscher, Wolfgang Marschner, Igor Ozim und Antje Weithaas.

Seit März 2001 ist sie Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Von der Spielzeit 2006/07 an spielt sie im Konzerthausorchester Berlin.

 

Jeanette Pitkevica, Violine,

05.12.1982 in Riga/ Lettland geboren. Erster Geigenunterricht mit 4 Jahren. 1988 Eintritt in Prof. Juris Schvolkovskis Violinklasse (Schule für Hochbegabte der Musik-Akademie Lettland). 2001 Abschluss mit Auszeichnung. Seit April 2002 Studium der Violine (Abschlussziel Künstlerische Reifeprüfung) bei Prof. Walery Gradow (Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim).

Teilnahme an vielen Wettbewerben, Orchesterprojekten und Kursen: u.a. Wettbewerb der Musikschulen Lettlands (1.Preis); Internationalen B. Dvarionas-Wettbewerb, Vilnius/Litauen (Diplom-Auszeichnung); Internationaler Jascha-Heifetz-Wettbewerb, Litauen (Stipendium-Auszeichnung); „Musicum Collegium“ in Pommersfelden; Festival-Orchester bei Helmuth Rilling (Internationale Bachakademie Stuttgart); Orchesterprojekt-Solovioline mit Prof. Hideko Kobayashi und Prof. Micheal Flaksman (Mannheim); Violin-Meisterkurs bei Prof. Robert Kanetti (Israel); Kammermusik-Meisterkurs bei Prof. Anja Lechner (Bad Homburg); Konzert-Meister-Forum bei Prof. Walery Gradow (Mannheim). Seit 2005 Stipendiatin Wilhelm-Müller-Stiftung, Mannheim.

Seit 2005 ist Jeanette Pitkevica neben vielen anderen Engagements regelmäßige Solistin bei Konzerten mit Peter Schumann in Heidelberg, den Starkenburg Philharmoniker unter der Leitung von Günther Stegmüller sowie dem Stamitz-Orchester Mannheim unter der Leitung von Prof. Klaus Eisenmann.

 

Martin Nitz, Cembalo,

geboren in Oldenburg; Besuch des Humanistischen Gymnasiums; nach dem Abitur Pädagogik-Studium an der damaligen PH (jetzt Universität) in Oldenburg (Hauptfach Musik) mit Abschluss Staatsexamen; Anschluss-Studium der Schulmusik an der Hamburger Musikhochschule (Hauptfächer: Klavier und Komposition; daneben Blockflöten- und Cembalostudium sowie Aufführungspraxis Alter Musik). 1972 Lehrauftrag für Blockflöte an der Hochschule für Musik. 1973 Cembalodiplom; 1974 Abschluss des Schulmusikstudiums. Seit 1975 Professor und hauptamtlicher Dozent für Blockflöte. Ab 1980 rege Herausgebertätigkeit für Blockflötenmusik des Früh- und Hochbarock bei verschiedenen deutschen, schweizer und österreichischen Verlagen

 

Rainer Noll, Dirigent,

wurde am 29. Januar 1949 in Wiesbaden geboren, einer alten Bauernfamilie entstammend, deren Hof in Wiesbaden – Nordenstadt (Erbacher-Hof) er renovierte und wo er heute auch lebt. Seit 1990 richtet er die beliebten „Torhauskonzerte“ auf diesem Anwesen aus.

Kurzbiografie: 1964 – 1968 Organist in Nordenstadt; nach dem Abitur an der Gutenbergschule in Wiesbaden zunächst Physik- und Mathematik-Studium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967), Hamburg und Frankfurt am Main (A- Prüfung/Staatsexamen für Kirchenmusiker); seit 1972 hauptamtlicher Kantor und Organist an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993: Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. Seit 1974 Dozent an der Musikschule Kelsterbach; 1976 liturgiewissenschaftliche Arbeit über „Die Entwicklung des Eucharistischen Hochgebetes“;

1979 – 1992 zunächst stellvertretender, dann Vorsitzender der MAV des Dekanates Rüsselsheim sowie Gründungs- und Vorstandsmitglied der „Historischen Werkstatt Nordenstadt“; 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit seinem 10. Lebensjahr beschäftigt er sich intensiv mit Albert Schweitzer. Er entwarf 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, die neue Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und begründete die dortige Konzerttradition. 1987 – 1993: Gründungsmitglied und Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirates“ der „Wissenschaftlichen Albert-Schweitzer-Gesellschaft“; 1990 Leitung des Chores der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden, seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland; 1993: USA-Tournee; Juni 2001: Konzertreise nach Tschechien; 1982 – 1989 ordnete er zudem den nachgelassenen Notenbestand in Schweitzers Haus in Günsbach/Elsaß und legte eine Kartei zur wissenschaftlichen Auswertung an. Im Herbst 1991 und Frühjahr 1992 erfolgte die gleiche Arbeit an dem von Schweitzer eingespielten Schallplatten, was eine Korrektur und Ergänzung der von Professor Erwin R. Jacobi (Zürich) und ihm 1975 erstellten Diskographie beinhaltete.

Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders philosophischen und theologischen Problemkreisen. Er nimmt durch die Ausgestaltung und Leitung des jährlich seit 29 Jahren stattfindenden „Bach-Konzertes“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 24 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.

Progr.BK2006[1]

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