Erschienen am 8.8.2008 in „Kelsterbach Aktuell“
Feierte man letztes Jahr das 30. Bach-Konzert unter Kantor Rainer Nolls Leitung und zugleich dessen 35jähriges Wirken in Kelsterbach, so stand das diesjährige Bach-Konzert unter dem Zeichen „450 Jahre evangelisches Kelsterbach“ und „Rainer Noll 40 Jahre Kirchenmusiker“.
Das Programm hätte nicht besser auf den Anlass abgestimmt sein können. Mit glanzvoll-festlichen Trompeten- und Paukenklängen eröffnete Bachs Ouvertüre D-dur BWV 1069 den Abend, gespielt von den Jungen Kammersinfonikern Hessen unter Nolls ebenso kraftvoller wie vergeistigter Leitung. Aber bereits bei den folgenden Tänzsätzen dieser Orchestersuite wich jede steife Feierlichkeit anmutiger Eleganz, bisweilen gesteigert zu pointiert herausgearbeiteten humoresken und sogar frechen Einwürfen.
Ein ganz außerordentlicher Glücksfall war die Wahl der vier Vokalsolisten Eva Lebherz-Valentin (Heidelberg), Sopran, Markus Koch (Heidelberg), Countertenor, Georg Poplutz (Frankfurt), Tenor, und Erik Frithjof (Graz), Bass. Mühelos und auf ebenbürtigem Niveau bewältigten sie Ensemble- wie Soloaufgaben, so den schwierigen Eingangschor der Kantate „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ BWV 137, den noch schwierigeren der Kantate „Ein feste Burg ist unser Gott“ BWV 80, darin die furiose „Teufelsstrophe“, und die schlichten Schlusschoräle ebenso wie alle Arien, Duette und Rezitative. Das Heidelberger Kantatenorchester, mit dem Noll seit 1995 die Bach-Konzerte gestaltete, konnte erstmalig aus terminlichen Gründen leider nicht spielen. Nicht unerwähnt bleiben darf die souveräne Leistung von Olaf Joksch, der kurzfristigst für den erkrankten Hamburger Prof. Martin Nitz an der Continuo-Orgel eingesprungen war.
Die beiden aufgeführten Kantaten basieren auf zwei der bekanntesten Choräle, die so auch dem ungeübteren Konzertbesucher einen willkommenen Leitfaden boten. Wichtig war Noll auch wieder der ökumenische Gedanke: „Steht die Kantate »Ein feste Burg ist unser Gott« BWV 80 für das Reformationsereignis, so soll die Kantate »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren« BWV 137 mit ihrem heute ökumenisch gebrauchten Choral das Verbindende und Konfessionsübergreifende repräsentieren und im gemeinsamen Lobpreis die Trennung überwinden helfen.“ So las man es im hochinformativen Programmheft, auf dessen besondere Qualität Stadtrat Ernst Freese in seiner bewegten Dankesrede hinwies. Auch Erster Stadtrat Manfred Ockel würdigte Nolls Gesamtleistung, während Vertreter von Dekanat und Landeskirche fehlten.
Würdiger konnten „450 Jahre evangelisches Kelsterbach“ musikalisch nicht begangen werden. Die beglückten Zuhörer durften einen Blick in den Himmel erleben. Und es zeigte sich hier noch einmal konzentriert, wer dieser seit 40 Jahren unbeirrt an seiner Vervollkommnung arbeitende Kirchenmusiker Rainer Noll ist: nicht nur ein Künstler hohen Grades, sondern eine Persönlichkeit des Geistes- und Kulturlebens schlechthin, wie es gerade Manfred Ockel hervorhob.