Präludium und Fuge e-moll BWV 548
„Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ BWV 652
Partita über „O Gott, du frommer Gott“ BWV 767
Präludium und Fuge Es-dur BWV 552
An der Förster & Nicolaus – Orgel:
RAINER NOLL
Zum Programm
Musik will nicht nur verstanden werden, sie will vor allem erlebt werden. Zu beidem, Verstehen und Erleben, möchten die folgenden Anmerkungen zum heutigen Konzert dem interessierten Hörer eine Hilfestellung anbieten.
Präludium und Fuge e-moll BWV 548 gehören zu den größten Orgelwerken, die Bach geschrieben hat, sowohl dem Umfang als auch dem Gehalt nach. Die Komposition entstand zwischen 1727 und 1731, also in Bachs Leipziger Zeit. Alles an diesem Werk ist herb, nirgends findet man ein „gefälliges“ Thema, das man problemlos nachsingen könnte. Albert Schweitzer, der das Fugenthema als „eines der gewaltigsten, das die Musik überhaupt kennt“ bezeichnet, schreibt dazu: „e-moll-Präludium und Fuge sind so gewaltig angelegt und von einer solchen Herbheit in der Größe, dass der Hörer sie erst nach und nach erfassen kann.“ („J. S. Bach“, Wiesbaden 1960, S. 241) Der Bach-Forscher Christoph Wolff: „Werke wie Präludium und Fuge e-moll BWV 548 demonstrieren Bachs erstaunliche Fähigkeit, die Gattung Präludium und Fuge auf ein Niveau zu heben, das in der Größenordnung weit über das Wohltemperierte Clavier hinausging.“ ( „J. S. Bach“, Frankfurt 2000, S. 341 f.) Der Musikwissenschaftler Lothar Hoffmann-Erbrecht: „Die schwere Gebundenheit des Präludiums, das, von einheitlichem thematischem Material ausgehend, machtvoll aus dem Orgelpunkt herauswächst, löst sich in der kühnsten und freiesten Fuge, die Bach je geschrieben hat. Ihre dreiteilige Form mit dem toccatenhaften Mittelteil und der vollständigen Reprise des Hauptteiles zeigt Bachs vollendet gelungenen Versuch, die an sich heterogenen Elemente der Fugen- , Toccaten- und Konzertform genial miteinander zu verschmelzen.“ (LP-Covertext der Bachschen Orgelwerke, eingespielt von Gustav Leonhardt) Der Organist und Musikwissenschaftler Hubert Meister liefert auf dem Cover seiner Einspielung der Orgelwerke Bachs eine theologische Deutung: „Da Bach seine Hörer theologisch-geistlich belehren und bewegen will, liegt die Vermutung nahe, dass es ihm in diesem Werk um das Drama der Erlösungsbedürftigkeit geht.“ – Ich spiele das Präludium in einer Grand-Jeu- und die Fuge in einer Plein-Jeu-Registrierung.
Bach hat zwei große Bearbeitungen über „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ geschrieben. In der einen lässt er das Brausen des Heiligen Geistes im pfingstlichen Jubel hören. Die andere, die wir heute hören, ist introvertiert undverkündet das Mysterium des stillen, sanften Wirkens des Geistes. Sie gehört zu den mystischen Choralvorspielen Bachs. Jede Choralzeile wird in allen Stimmen vorimitiert, bis sie zuletzt in der Oberstimme wie eine Erleuchtung erstrahlt. Unmittelbar nach dem Halleluja bricht freudiger Jubel aus.
Die Partita über „O Gott, du frommer Gott“ besteht aus neun Teilen (Teil = lat. pars, daher die Bezeichnung Partita). Die Melodie des Chorales ist das verbindende Element aller Teile. Wie der holländische Musikwissenschaftler Albert Clement in seiner Dissertation (1989) nachgewiesen hat, ist jedem dieser Teile eine Strophe des Chorals zugeordnet, deren Inhalt von der Musik auf teils äußerst subtile Weise ausgedeutet wird. Deshalb finden Sie im Programm den vollständigen Choraltext zum Mitlesen. Teil I verherrlicht in seiner vollgriffigen Harmonisierung des Chorals die Majestät des Schöpfergottes. Im Bass des sechsten Teiles sind deutlich die „sauren Tritte“ abgebildet, durch die man ins Alter dringt, wie es in der zugehörigen Strophe heißt. Strophe sieben redet von Sterben und Grablegung: die Musik versinnbildlicht dies durch eine alle Stimmen durchziehende Abwärtslinie (ähnlich wie in der Orchesterbegleitung des Schlusschores der Johannespassion oder in den Bässen des Schlusschores der Matthäuspassion). Die folgende Strophe enthält die Bitte des Frommen, Gott möge seiner bei der Auferweckung der Toten gedenken: Bach schildert in quälender Chromatik die schmerzliche Sehnsucht derer, die in dunkler Gruft der Erlösung harren. Im letzten Teil bricht sich dann der Jubel der Auferstandenen Bahn, die sich den Lobpreis der Dreieinigkeit zusingen.
Präludium und Fuge Es-dur bilden die Rahmenstücke der „Clavierübung III. Teil“, die Bach als seine ersten Orgelwerke 1739 veröffentlichte (im Alter von 54 Jahren! – Mit 46 Jahren erst hatte er die „Clavierübung I. Teil“ als sein Opus I herausgegeben, was ein Licht auf seinen Anspruch an sich selbst wirft). Dieses Präludium und die Fuge sind zugleich sein letztes freies, d. h. nicht choralgebundenes Orgelwerk. Der Bach-Forscher Christoph Wolff bezeichnet die „Clavierübung III. Teil“ als Bachs „umfangreichstes“ und zugleich „bedeutendstes Orgelwerk“, ja als „die Quintessenz seiner Orgelkunst“ (zitiert nach Albert Clement, „Der dritte Teil der Clavierübung von Johann Sebastian Bach“, Middelburg 1999, S. 10). Dieser III. Teil ist der einzige aller Teile der Clavierübung, den Bach nicht nur „denen Liebhabern“, sondern „besonders denen Kennern von dergleichen Arbeit“ zueignet.
Sowohl im Präludium als auch in der Fuge spielt die Zahl drei als Symbol für die Dreieinigkeit eine zentrale Rolle: drei unterschiedliche Themenkomplexe beherrschen das Präludium, und drei auseinander hervorgehende Fugen verschiedenen Charakters bilden die Fuge als Ganzes.
Rainer Noll