Programmheft (2012)

Friedrich II. von Preußen (1712 – 1786)

Sonate e-moll für Traversflöte und Basso continuo

Grave – Allegro assai – Presto

 

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

„Musicalisches Opfer“ BWV 1079

 

Von Bach vorangestelltes lateinisches Akrostichon:

Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta

(der auf Geheiß des Königs verfasste Gesang [= Ricercar] und das Übrige nach Kanonkunst aufgelöst)

Ricercar a 3 (Cembalo)

Canon perpetuus super Thema Regium [ewiger Kanon über das königliche Thema]

(Violine, Flöte, Cembalo)

Canon 1. a 2 cancrizans [im Krebsgang] (Violine, Cembalo)

Canon 2. a 2 Violini in unisono [im Einklang] (2 Violinen, Viola da Gamba)

Canon 3. a 2 per Motum contrarium [in Gegenbewegung] (Flöte, 2 Violinen)

Canon 4. a 2 per Augmentationem, contrario Motu [in Vergrößerung und Gegenbewegung] (Violine, Cembalo)

Canon 5. a 2 per Tonos [modulierend] (2 Violinen, Cembalo)

Fuga canonica in Epidiapente [kanonische Fuge in der Oberquinte]

(Flöte, Violine, Viola da Gamba)

Ricercar a 6 (Cembalo)

Quaerendo Invenietis [Suchet, so werdet ihr  finden]: Canon a 2 (Cembalo)

Canon a 4 (2 Violinen, Cembalo zweistimmig)

Sonata Sopr’Il Soggetto Reale a Traversa, Violino e Continuo (Violine, Flöte, Basso continuo)

Largo – Allegro – Andante – Allegro

Canon perpetuus [ewiger Kanon]  (Violine, Flöte, Basso continuo)

 

 

Solisten des „Main-Barockorchesters Frankfurt“

Moderation: Rainer Noll (40 Jahre Kantor an St. Martin)

 

 

Zum Programm:

Vor 300 Jahren wurde Friedrich II., König von Preußen, der „Große“ und später der „alte Fritz“ genannt, am 24. Januar 1712 in Berlin geboren. Er unterhielt eine Hofkapelle, spielte Querflöte und komponierte (über 120 Flötensonaten, 4 Flötenkonzerte). Johann Sebastian Bachs zweitältester Sohn Carl Philipp Emanuel Bach (1714 – 1788) wirkte hier 30 Jahre lang als Hofcembalist. Sein Vater besuchte ihn 1741 in Berlin, als Friedrich auf seinem ersten Eroberungsfeldzug in Schlesien war. Während seiner zweiten Berlinreise – sein ältester Sohn Wilhelm Friedemann Bach (1710 – 1784) begleitete ihn ab Halle – traf der alte Johann Sebastian Bach den König, den damals noch jungen Fritz, am Sonntagabend, dem 7. Mai 1747, im Stadtschloss in Potsdam – eine epochale Begegnung zweier Welten! Die damaligen Zeitungen berichteten in Berlin, Hamburg, Leipzig, Magdeburg und andernorts darüber. Der „alte Bach“ war drei Jahre vor seinem Tod auf dem Höhepunkt seiner Bekanntheit.

In Anwesenheit seiner sämtlichen Hofmusiker – die besten, die damals zu haben waren –  spielte Friedrich Bach auf einem seiner zahlreichen Silbermannschen Fortepianos ein Thema vor (das „Thema Regium“, das „königliche Thema“), über das er unter Bewunderung aller anwesenden Musiker eine dreistimmige Fuge improvisierte:

Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass Bach uns mit dem dreistimmigen Ricercar die Ausarbeitung seiner Improvisation überliefert hat. „Ricercar“ ist eine alte Bezeichnung für ein fugiertes Stück, die Bach sonst nie für eine Fuge gebraucht hat. Dahinter steckt eine Absicht: „ricercare“ heißt im Italienischen „suchen“. Später schreibt er zu einem Kanon „Suchet, so werdet ihr finden“. Es ist die subtile Aufforderung, nach den versteckten Künsten (oder gar einer geheimen Botschaft für den König?) in seinem Werk zu suchen.

Als Friedrich ihn danach mit dem Wunsch nach einer sechsstimmigen Fuge über dieses Thema aufs Glatteis führte, musste selbst Bach passen – eine Niederlage, wie er sie noch nie erlebt hatte. Er wählte ein eigenes, geeigneteres Thema, über das er dann eine sechsstimmige Fuge improvisierte (noch nie hatte er eine sechsstimmige Fuge für Cembalo auch nur geschrieben!). Douglas R. Hofstadter, Autor des Buches „Gödel, Escher, Bach“, vergleicht eine solche Leistung mit dem Spielen und Gewinnen von 64 simultanen Schachpartien.

Bach aber setzte seinen Ehrgeiz darein, das „königliche Thema“ nach allen Regeln seiner kontrapunktischen Kunst auszuarbeiten (einschließlich der sechsstimmigen Fuge, die er somit nachlieferte).

Beginn der sechsstimmigen Fuge (Ricercar) c-moll aus dem Musikalischen Opfer (Bachs Autograph)

Die Widmung des Druckexemplars, das er an Friedrich schickte (und worauf er nie die geringste Reaktion erhielt), trägt das Datum des 7. Juli 1747 und den Titel „Musicalisches Opfer“, das er dem König „weihte“, nachdem er selbst seines geworden war (subtile „Revanche“!). Was dabei herauskam, hören wir im heutigen Konzert.

„In mancher Hinsicht offenbart dieses Werk ein musikalisches Selbstporträt, das den Komponisten mit allen Facetten seines Könnens vorstellt: als Claviergenie und Fugenmeister, Kapellmeister und Kammermusiker, Kontrapunktiker und Musikgelehrten.“ (Christoph Wolf: „Johann Sebastian Bach“, Frankfurt am Main, 2000, S. 470)

 

Friedrich II. von Preußen wurde am 24. Januar 1712 in Berlin geboren. Als Kronprinz und Thronfolger wurde er 1740 preußischer König und bemühte sich, die absolute Monarchie in eine aufgeklärte umzuwandeln. Neben seinen musischen Interessen (Musizieren als Flötist, Komponieren, Dichten, Schreiben, Philosophieren) kümmerte er sich intensiv um die Staatsgeschäfte und führte 1740 – 45 die beiden ersten Schlesischen Kriege und 1756 – 63 den Siebenjährigen Krieg mit großem Erfolg, was ihm die widerrechtliche Aneignung Schlesiens und den Beinamen „der Große“ einbrachte. Er starb einsam und verbittert am 17. August 1786 im Schloss Sanssouci bei Potsdam. Erst 1991 wurde sein letzter Wunsch erfüllt, neben seinen Hunden auf der Terrasse dieses Schlosses ein unscheinbares Grab zu finden.

 

Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 in Eisenach geboren. 1703 – 07 Organist in Arnstadt. 1707 – 08 Organist an St. Blasius in Mühlhausen. 1708 – 17 Hoforganist, Cembalist und Violinist (seit 1714 auch Hofkonzertmeister) in Weimar. 1717 – 23 Hofkapellmeister in Köthen. Ab 1723 Kantor der Thomaskirche und „Kirchenmusikdirektor“ der Stadt Leipzig, wo er am 28. Juli 1750 starb.

Im Jahre 1723 wurde Johann Sebastian Bach, seit sechs Jahren „hochfürstlicher“ Hofkapellmeister zu Köthen, zum Thomaskantor und Musikdirektor der Stadt Leipzig gewählt. Er blieb sozusagen übrig, nachdem berühmtere Musiker wie Telemann und Graupner abgesagt hatten, und so kam es denn auch zu der bekannten Äußerung des Dr. Platz, festgehalten im Protokoll der Sitzung des Leipziger Stadtrates: „Da man die besten nicht bekommen konnte, müsse man mittlere nehmen.“ Allein Bürgermeister Lange hatte den größeren Durchblick: „Wann Bach erwehlet würde, so könnte man Telemann … vergessen“. Dennoch: Niemand wurde sich im damaligen Leipzig (und ebenso andernorts) bewusst,  dass ihr Kantor, den man immer wieder von amtswegen „subalternieren“ zu müssen glaubte, unter oft verdrießlichen Umständen in stetigem, stillen Fleiß Werke von Weltrang schuf, für deren Überlieferung er selbst wenig tat. Stattdessen musste er sich noch von kleinkarierten Ratsherren, von denen nichts als ihre wichtigtuerische Bedeutungslosigkeit der Nachwelt zu berichten bleibt, vorwerfen lassen: „Nicht allein tue der Kantor nichts, sondern wolle sich auch diesfalls nicht erklären … es müsse doch einmal brechen.“ Man drohte ihm das Gehalt zu  „verkümmern“, da er „incorrigibel“ (unverbesserlich) sei. Und 1730 hieß es im Rat bei der Wahl eines neuen Rektors für die Thomasschule, man möge hier besser fahren als mit der Wahl des Kantors. Bei der schon zu Bachs Lebzeiten geschmacklos betriebenen Wahl seines Nachfolgers resümierte man im Stadtrat: „… man brauche einen Cantorem und keinen Capellmeister!“ (auf heutige Verhältnisse übertragen: einen „Gemeindemusiker“ – aber bitte ohne künstlerische Ambitionen!). Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis Bachs Größe in breiteren Kreisen erkannt  zu werden begann.

Zu Bachs Aufgaben gehörte es u. a., für jeden sonntäglichen Hauptgottesdienst eine Kantate zu liefern und aufzuführen, die als Antwort auf das Evangelium erklang. Dieser Gottesdienst begann um 7 Uhr in der Frühe und dauerte 3-4 Stunden (je nach Jahreszeit in der stets unbeheizten Kirche!). Er stellte ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis dar und wurde regelmäßig von über 2000 (!!) Menschen besucht (und dies, obwohl um 11:30 Uhr die hauptsächlich von Handwerksburschen und Gesinde besuchte „Mittagspredigt“ und um 13:30 Uhr die „Vesper“ folgten – beide ebenfalls stark frequentiert wie die täglich stattfindenden Werktagsgottesdienste!).  Rainer Noll

 

Die Solisten:

Jörg Halubek, Cembalo

Jörg Halubek ist Universitätsprofessor für Historische Tasteninstrumente und Aufführungspraxis an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz und an der Staatlichen Hochschule für Musik Stuttgart. Er studierte Orgel, Cembalo, Dirigieren in Stuttgart, Freiburg, Basel und Tübingen. 2004 gewann Halubek den ersten Preis des Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerbs in Leipzig. Konzerte fu?hrten nach Norwegen, Russland, Japan, Korea, Italien. Zahlreiche CD- und Radio-Produktionen. Im Frühjahr 2009 übernahm Jörg Halubek die musikalische Assistenz bei einer Koproduktion der Staatsoper Stuttgart und der Salzburger Festspiele; später übernahm er die musikalische Leitung von 11 Vorstellungen am Stuttgarter Schauspielhaus. Er ist Gründer und Künstlerischer Leiter des Stuttgarter Barockorchesters »Il Gusto Barocco«. Am Staatstheater Kassel übernahm er 2012 die musikalische Leitung der Barockoper Griselda von A. Scarlatti, 2013 folgt Antonio Vivaldis L ?Olimpiade, 2014 Händels Saul.

 

Hans-Joachim Fuss, Traversflöte

Hans-Joachim Fuss studierte Blockflöte und Traversflöte in Berlin, Frankfurt/Main, Den Haag, Utrecht, Rotterdam und London. Er konzertiert regelmäßig als Solist und Mitglied namhafter Ensembles und gibt Meisterkurse für Alte Musik  in Nord- und Südamerika, West- und Osteuropa, sowie in Japan. CD- Aufnahmen für Thorofon Records, Pan Classics, Discover International, Readers Digest u. a.

Seit 1991 leitet er die Klasse für Blockflöte und Traversflöte an der Hochschule für Musik in Stuttgart.

 

Martin Jopp, Violine

Martin Jopp begann mit dem Geigenspiel im Alter von sieben Jahren bei Susanne Hecklinger in Tübingen. Nach dem modernen Violinstudium bei Prof. Werner Keltsch in Stuttgart schloss er ein Studium der Barockvioline bei Prof. Gottfried von der Goltz in Würzburg mit dem Meisterklassendiplom ab.

Bereits während des Studiums spielte er in vielen Orchestern und Kammermusikformationen und hatte dabei zahlreiche Gelegenheiten, solistisch aufzutreten.

Heute spielt Martin Jopp im L’Orfeo Barockorchester (Michi Gaigg), im Barockorchester und der Hofkapelle Stuttgart (Frieder Bernius), als Konzertmeister im Main-Barockorchester Frankfurt und bei Barucco (Wien) sowie zahlreichen anderen Ensembles.

Kammermusikalisch wirkt er in den Ensembles Echo du Danube und La Bergamasca.

Solistische CD-Aufnahmen erschienen mit Violinkonzerten von Telemann, Molter, Hertel, und Fasch sowie Kammermusik des Barock und Frühbarock. Martin Jopp spielt auf einer Violine von Jacobus Stainer, Absam ca. 1650.

 

Konstanze Winkelmann, Violine

Die Geigerin Konstanze Winkelmann, in Celle geboren, studierte moderne Violine in Los Angeles und Stuttgart sowie Barockvioline bei Giorgio Fava in Trossingen. Neben regelmäßiger Tätigkeit in zahlreichen Originalklang-Ensembles ist sie langjähriges festes Mitglied des Main-Barockorchesters und des Kammermusikensembles La Bergamasca. Sie spielt eine Violine aus der Werkstatt von Aegidius Klotz.

 

Christian Zincke, Viola da Gamba

Christian Zincke konzertiert europaweit als Solist und Continuospieler.

Er ist Mitglied namhafter Ensembles wie La Stagione Frankfurt unter Michael Schneider, Capella Thuringia unter Bernhard Klapproth., Bell Arte Salzburg, der Hamburger Rathsmusik, dem Marais-Consort u. a.

Im  Jahr 1999 gründete er das Ensemble Echo du Danube.

Mit Echo du Danube  gastierte er bei renommierten Festivals, wie dem „Resonanzen-Festival“ Wien,  den „Feste Musicali“ Köln, dem „Carinthischen Sommer“ Österreich, dem „Krakau-Festival“ Polen und dem „Shakespeare-Festival“ Neuss und gab umjubelte Konzerte in ganz Europa, Marokko, im Libanon und Südkorea. Zahlreiche CD- und Rundfunkaufnahmen dokumentieren den außergewöhnlichen Klang und die umfassende Vitalität des Ensembles.

Christian Zincke liebt es in Bibliotheken, Dissertationen und dem Internet nach bislang unerhörter Musik zu forschen. Einige Entdeckungen aus dieser Tätigkeit gibt er in der Edition Walhall heraus. Diese mitunter langwierige, jedoch äußerst spannende Arbeit sieht er als wichtigen Aspekt des Musikerdaseins und als Quelle neuer Inspiration.

 

Moderation:

Rainer Noll, geb. 1949 in Wiesbaden. 1964 – 1968 erste Organistenstelle; zunächst Physik- und Mathematikstudium in Mainz und Hamburg, dann Musikstudium in Siena (1967 bei Fernando Germani, Organist am Petersdom in Rom), Hamburg (u. a. bei Jürgen Jürgens) und Frankfurt am Main (Staatsexamen für Kirchenmusiker, u. a. bei Helmuth Rilling – Meisterkurse u. a. bei Daniel Roth, Organist an St. Sulpice, Paris); seit 1972 hauptamtlicher Kantor an St. Martin in Kelsterbach; 1979 – 1993 Gründung und Leitung der „Kantorei St. Martin“. 1981/82 künstlerischer Leiter der „Airport Chapel Concerts“ des Rhein-Main Flughafens Frankfurt. Seit dem 10. Lebensjahr intensive Beschäftigung mit Albert Schweitzer; 1973, inspiriert vom Orgelideal Schweitzers, Entwurf der neuen Orgel der Evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt und Begründung der dortige Konzerttradition. Seit 1995 projektweise Leiter der „Idsteiner Vokalisten“, die er bereits zu vielbeachteten Höhepunkten führte. Konzerte, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, Vorträge und Veröffentlichungen (u. a. über Ethik und Musikauffassung Albert Schweitzers) im In- und Ausland (Europa, USA, Japan). 1982 – 1989 Katalogisierung des nachgelassenen Notenbestandes in Schweitzers Haus in Günsbach/Elsass, 1991 und 1992 die gleiche Arbeit an den von Schweitzer eingespielten Schallplatten. Er nimmt durch das jährlich seit 35 Jahren unter seiner Leitung stattfindende „Bach-Konzert“, der „Musikalischen Meditation zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag sowie der vor 30 Jahren von ihm begründeten „Abendmusik zum Weihnachtsmarkt“ einen bedeutenden Platz im Kulturleben der Stadt Kelsterbach und der ganzen Region ein.

Daneben erfreuen sich die 1990 begründeten „Torhauskonzerte“ sowie die jährlichen musikalischen Weinproben im Erbacher Hof, Nolls Wohnsitz in Wiesbaden-Nordenstadt, großer Beliebtheit (siehe auch www.erbacher-hof.de, in diesem Jahr müssen beide ausfallen).

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