Rezension (2007)

(dieser Artikel erschien am 10.08.2007 in „Kelsterbach Aktuell“)

„Standhalten statt Flüchten“, so hatte Rainer Noll, seit 35 Jahren Kantor an St. Martin, in seiner kurzen Dankesrede nach dem Konzert das Zustandekommen von „30 Jahren Bach-Konzerte“ gleichermaßen geist- wie humorvoll kommentiert (in Abwandlung eines Buchtitels des berühmten Psychoanalytikers Horst Eberhardt Richter: „Flüchten oder Standhalten“). Der lutherische Kantor zitierte ausgerechnet Papst Benedikt XVI. und sieht sich wie dieser als ein „bescheidener Arbeiter im Weinberg Gottes“ (schon beim 25. Bach-Konzert hatte Noll den jetzt bei Radio Vatikan in Rom arbeitenden Dominikanerpater Maximiliano Cappabianca das Evangelium lesen lassen). Dieser Weinberg müsse allerdings kultiviert werden, je steiniger der Boden, desto mehr – genau dies habe er in den Jahrzehnten seiner Kelsterbacher Tätigkeit versucht. Und dieses Kultivieren habe schon vom Wort her etwas mit Kultur zu tun. Dahinter steckt unbedingter Wille zur Kultur. Diese Kultur dürfe die Kirche nicht vergessen (über allem Kult, möchte man hinzufügen). Noll machte damit für denjenigen, der Ohren hat zu hören, in knappen, aber hintergründigen Worten deutlich, dass für ihn Bach nicht einer Konfession gehört, sondern ein geistiges Gut der ganzen Menschheit ist, das sowohl der Kultur wie dem Kultus dienen kann. In jener Höhe des Geistes begegnen sich mühelos Kultur und Religion.

Entsprechend hoch war dann auch der Anspruch dieses 30. Bach-Konzertes „mit Pauken und Trompeten“.

Eine Ouvertüre in D-dur und zwei Orchestersuiten in C- und D-dur, das Festlichste und Feierlichste, was Bach zu bieten hat, umrahmten die virtuose Solosopran-Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ BWV 51, von der Heidelberger Sopranistin Eva Lebherz-Valentin bravourös gesungen, aber auch voller Wärme und Inbrunst in den meditativen Partien. Glanzvoll erstrahlte ihr hohes C, dem spontaner Beifall folgte!

Mit dieser Kantate wurde noch eine Sensation geboten: sie erklang in der völlig unbekannten Fassung für zwei Trompeten und Pauken des ältesten Bach-Sohnes Wilhelm Friedemann, die Noll dank seiner musikwissenschaftlichen Recherchen rekonstruieren konnte. So entsprach auch sie dem Motto des ganzen Konzertes „mit Pauken und Trompeten“. Unangetastet blieb dabei die originale Trompetenstimme des Vaters, brillant geblasen von Alexander Petry.

In den Ouvertüren arbeitete Noll die Gegensätze zwischen den gravitätischen Ecksätzen in feierlich-punktiertem Rhythmus und den flinken Fugatomittelteilen markant heraus. Alle Tanzsätze der Suiten wurden „con delicatezza“ zelebriert, lediglich das Passepied kam vielleicht ein wenig zu „menuettig“ daher.

Alle Solisten des Heidelberger Kantatenorchesters boten mit diesem ebenso anstrengenden wie anspruchvollen Programm eine grandiose Leistung unter dem spannungsvollen Dirigat Rainer Nolls, dem akribische Probenarbeit voran gegangen war. Dennoch wirkte die Musik nicht nur festlich, sondern auch heiter, kurzweilig und sogar mitreißend dank des hohen Niveaus, mit dem dieses sicher nicht alltägliche Jubiläum begangen wurde, das dann auch nahtlos in einen Weinempfang für die zahlreichen, z. T. wieder weit angereisten Zuhörer überging und beschwingt ausklang.

Eckard B. Gandela

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