Bach-Kantaten voll freudiger Sehnsucht

(erschienen in: „Kelsterbach aktuell“, 30.07.2010)

„Wer den Tod verdrängt, verpasst das Leben.“  Dieser Satz des Arztes, Theologen und Bestsellerautors Manfred Lütz könnte als Motto über dem diesjährigen Bach-Konzert in St. Martin stehen. Im wieder liebevoll gestalteten Programmheft, das die Hintergründe von Musik und Texten in brillanter Sprache erhellt, schreibt Noll: „Wir heute verdrängen  eher Endlichkeit und Ende und huldigen einem Kult ewiger Jugendlichkeit. Anders bei Bach…“

Dies war zu hören in Bachs Sopran-Solo-Kantate „Mein Herze schwimmt im Blut“ BWV 199, den Bass-Solo-Kantaten „Ich habe genug“ BWV 82 und „Der Friede sei mit dir“ BWV 158,  sowie der Dialog-Kantate „Liebster Jesu, mein Verlangen“ BWV 32 für Sopran und Bass – von verklärter Todessehnsucht erfüllte Werke. Vor der in der „Hospizbewegung“ neu belebten Frage nach einem würdigen Sterben erhält Kantor Rainer Nolls Programmauswahl hohe Aktualität: „Die heutigen Kantaten thematisieren in innigster Weise die Situation des Menschen, der sich inmitten von irdischer Not und Bedrängnis nach seligem Frieden, Erfüllung und himmlischer Freude durch Erlösung von Welt, Sünde und Tod sehnt, die sein Herz im Hier und Jetzt bereits ganz ergriffen haben. In diesem Ineinander, dieser Gleichzeitigkeit von Hier und Dort, von Welt und Himmel liegt der Schlüssel zum Verständnis dieser Kantaten. Es geht dabei nicht um Weltflucht, wie man Text und Musik spontan missverstehen könnte. Es soll die Vordergründigkeit des irdischen Daseins, die Nichtigkeit alles Vergänglichen aufgezeigt, die Falschheit und Hohlheit des bloßen schönen Scheins aufgedeckt und auf die wahren, ‚himmlischen‘ Werte verwiesen werden.“ (Programmheft)

Bach vertonte diese Thematik ohne jede trübsinnige Traurigkeit. Wunderbare Heiterkeit, Gelassenheit und Zuversicht kennzeichnen seine Trost spendende Musik, in der Bass-Arie „Ich freue mich auf meinen Tod“ bis zu überschwänglicher Ekstase gesteigert. All dies machten die Musiker des Abends adäquat auf höchstem Niveau den Zuhörern anrührend erlebbar. Ebenbürtig musizierten Eva Lebherz-Valentin (Heidelberg), Sopran, Erik Frithjof (Graz), Bass, und die französische Oboistin Lola Soulier, Konstanze Winkelmann und Franka Palowski, Violinen, Ursula Plagge-Zimmermann, Viola, Lydia Blum, Violoncello, Christian Zincke, Violone, vom „Main-Barockorchester Frankfurt“ auf historischen Instrumenten, sowie der Heidelberger Kirchenmusikdirektor Peter Schumann an der Continuo-Orgel. Sie alle wirkten am Ende als Höhepunkt der spannungsvoll aufgebauten Programmfolge zusammen in dem mitreißenden Duett „Nun verschwinden alle Plagen“. Einstudierung und Leitung lagen, wie seit Gründung dieser Bach-Konzerte vor 33 Jahren, in den bewährten Händen Rainer Nolls, der nach langer Krankheit dieses wieder besondere Konzert in bewundernswerter Frische und Intensität dirigierte.

Eckard B. Gandela, Frankfurt/Main

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