Bachkonzert 1999

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)


Präludium und Fuge C-dur BWV 545

„Von Gott will ich nicht lassen“ BWV 658

Canzona d-moll BWV 588

„Allein Gott in der Höh sei Ehr“ BWV 662

Fantasie (Pièce d’orgue) G-dur BWV 572

„Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ BWV 652

Präludium und Fuge h-moll BWV 544

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An der Förster & Nicolaus – Orgel:

RAINER NOLL

Zum Programm:

 

Johann Sebastian Bachwurde am 21. März 1685 in Eisenach geboren. 1703-07 Organist in Arnstadt. 1707-08 Organist an St. Blasius in Mühlhausen. 1708-17 Hoforganist, Cembalist und Violinist (seit 1714 auch Hofkonzertmeister) in Weimar. 1717-23 Hofkapellmeister in Köthen. Ab 1723 Kantor der Thomaskirche und „Kirchenmusikdirektor“ der Stadt Leipzig, wo er am 28. Juli 1750 starb.

 

Die freien Werke des heutigen Abends stammen aus unterschiedlichen Schaffensperioden.

Das Konzert wird eröffnet mit dem feierlichen Präludium und Fuge C-dur, das Bach wohl in Weimar geschrieben hat.

In der Canzona schlägt sich Bachs Beschäftigung mit italienischen Komponisten nieder, wie er sie in der frühen Weimarer Zeit betrieben hat. Das Werk besteht aus zwei vokal inspirierten Fugen über das gleiche, rhythmisch abgewandelte Thema. Die erste steht im 4/4- Takt, die zweite im 3/2-Takt.

Die Fantasie G-dur (in den meisten Quellen als Pièce d’orgue bezeichnet) geht auf französische Vorbilder zurück. Mit Sicherheit ist sie vor 1715 entstanden, mir großer Wahrscheinlichkeit sehr viel früher. Das Werk ist dreiteilig: nach einer lebhaften, „Très vitement“ überschriebenen einstimmigen Einleitung folgt ein grandioser fünfstimmiger Satz („Gravement“) und ein dramatischer Schlußteil über einem chromatisch absinkenden Baß („Lentement“).

Das Präludium und Fuge h-moll entstand in Leipzig zwischen 1727 und 1731. Daß Bach eine sehr schöne Reinschrift anfertigte, zeugt von seiner Wertschätzung dieses Werkes. Das äußerst affektgeladene Präludium ist im Stil eines Concerto mit abwechselnden Tutti- und Solopassagen geschrieben. Die Fuge mit ihrem auffallend schlichten Thema ist dreiteilig angelegt. Nach dem fast verträumten Mittelteil erfolgt eine gewaltige Schlußsteigerung. Charles-Marie Widor liebte diese Fuge besonders wegen ihres überirdischen Wesens.

 

Die drei großen Choralbearbeitungen des heutigen Programms finden sich in den „Leipziger Chorälen“, einer Sammlung von Choralvorspielen aus verschiedenen Schaffensperioden, die Bach am Lebensende zusammengestellt hat und an denen er bis zu seinem Tode selbstkritisch Verbesserungen anbrachte. Diese Sammlung war wohl, wie andere, die er im Alter druckfertig gemacht hatte, für die Veröffentlichung bestimmt. Die darin aufgenommenen Werke, deren Revision er seinen Lebensabend widmete, müssen ihm viel bedeutet haben. Diese großangelegten Choralwerke erschließen sich nicht gleich beim ersten Hören; erst nach und nach begreift man ihre erhabene Schönheit.

 

Das ganze Choralvorspiel wird vom Bachschen Freudenrhythmus beherrscht, der in einem ausschließlich aufwärtsstrebenden Motiv erscheint. Damit ist die Erwartung des seiner Straßen ziehenden Erdenpilgers himmelwärts gerichtet: auf die zukünftigen Freuden in der Ewigkeit. Die in großer Gelassenheit im Tenor vorgetragene Melodie symbolisiert diesen Pilger. Doch sein Weg ist alles andere als gefahrlos und leicht: dies wird in starker Spannung zum Freudenmotiv deutlich in der harschen, mit allerlei Dissonanzen gespickten Harmonik. Bach verwendet in diesem Werk den gesamten Tonraum seiner barocken Orgel (C-c“‘), also vom einen Ende der Tastatur bis ans andere. Damit will er sagen: gleichwo der Pilger „sei im Land“, und wenn er den ganzen Welt-Raum bis ans Ende durchmäße, immer ist er noch geborgen in Gottes Hand. In Strophe 7 werden diese Gedanken besonders deutlich: Obwohl ich hier schon dulde / viel Widerwärtigkeit, / wie ich auch wohl verschulde, / kommt doch die Ewigkeit, / ist aller Freuden voll, / die ohne alles Ende, / dieweil ich Christus kenne, / mir widerfahren soll.
Über diesen Choral hat Bach die meisten Choralvorspiele geschrieben. Bei aller Verschiedenheit haben diese Bearbeitungen eines gemeinsam: den schwebenden, innigen Charakter. So erinnert Bach daran, daß es sich bei „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ eigentlich um den Hymnus angelicus handelt, also um das „Gloria in excelsis deo“, das die über dem Stall von Bethlehem schwebenden Engel in der Weihnachtsnacht gesungen haben.

In der Version, die wir heute hören, vertont Bach nicht ein pompöses „Gloria“, sondern eher ein demütiges „Kyrie“ gemäß dem Schluß der 3. Strophe: „…erbarm dich unser aller“. Gerade in der Weihnachtsnacht steigt nicht nur der Lobgesang der Engel zu Gott in die Höhe, sondern Gott neigt sich vom Himmel herab in der Menschwerdung Jesu, der schließlich sein Liebeswerk am Kreuz zu unserer Erlösung vollendet. Wie subtil Bach diesen Gedanken gleich zu Beginn musikalisch darstellt, möge folgendes Notenbeispiel zeigen:

 

Der aufsteigende Anfang der ersten Choralzeile wird bildlich durchkreuzt von einer Abwärtsbewegung, die das ganze Werk durchzieht. „Ein ganz incommensurables Musikstück“ nennt der Bach-Biograph Philipp Spitta diese Choralbearbeitung.

 

Bach hat zwei große Bearbeitungen über diesen herrlichen Choral geschrieben. In der einen läßt er das Brausen des Heiligen Geistes im pfingstlichen Jubel hören. Die andere, die wir heute hören, ist introvertiert und verkündet das Mysterium des stillen, sanften Wirkens des Geistes. Jede Choralzeile wird in allen Stimmen vorimitiert, bis sie zuletzt in der Oberstimme wie eine Erleuchtung erstrahlt. Unmittelbar nach dem Halleluja bricht freudiger Jubel aus.

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