Erschienen in „Der Martinsbote„, Okt./Nov. 2009
Dachte man, die Pracht der Bach-Konzerte der letzten Jahre sei nicht mehr zu überbieten, so wurde man diesmal im 32. Bach-Konzert eines Besseren belehrt. Schon das Programm an sich ließ „große“ Musik erwarten und hätte die Kirche über ihr Fassungsvermögen füllen müssen. Neben Bach war die Musikzusammenstellung besonders Bachs Altersgenossen Händel gewidmet, dessen 250. Todesjahr wir 2009 begehen. Zu ihren Lebzeiten begegneten sie sich nie.
Erstmals hörte man in St. Martin Hörnerklang, und ihr schmetternder Ton beschwor heitere Jagdszenen vor dem Auge des Zuhörers herauf.
So in Bachs 1. Brandenburgischen Konzert, dessen 1. Satz Bach wohl schon in Weimar als Einleitung seiner „Jagdkantate“ diente und das in einer Folge vergnügter Tänze endet – besonders erwähnt sei hier der überirdisch schöne Adagio-Satz mit seinem sehnsuchtsvoll-schmerzlichen Dialog von Oboe und Violine.
Und ebenso in Händels berühmter „Wassermusik“, die eigens für eine „Lustfahrt“ auf der Themse am 17. Juli 1717 für König Georg I. von England komponiert worden war.
Salopp gesagt handelt es sich bei beiden Werken um Unterhaltungsmusik des Adels des 18. Jahrhunderts, wobei besonders der Niveauunterschied zur heutigen Unterhaltungsindustrie deutlich wird. Damals erreichte diese Musik höchsten Ranges wenige Gebildete und Adlige, die sie auch finanzierten, heute soll mit meist minderwertigen Produkten den Massen eigentlich nur das Geld aus der Tasche gezogen werden, wobei die Einnahmen nur wenigen zugute kommen. Heute aber sind die musikalischen Meisterwerke der Privilegierten von einst jedem zugänglich, der Zugang will.
Zwischen den reinen Instrumentalwerken erklangen Händels Kantate „Preis der Tonkunst“, eine Huldigung an die Heilige der Kirchenmusik, St. Cäcilia, und gleichsam das Motto des Abends, sowie die beiden außergewöhnlich originellen Kantaten „Jauchzet dem Herren alle Welt“ (Psalm 100) und „Erstanden ist der Heilige Christ“ des genialen und hochbegabten Buxtehudeschülers Nicolaus Bruhns, der im 17. Jahrhundert in Husum wirkte und leider nur 31 Jahre alt wurde.
Wieder bewährten sich hervorragend die Solisten Eva Lebherz-Valentin (Sopran) aus Heidelberg und Christoph Leonhardt (Tenor) von der Deutschen Staatsoper Berlin, ebenso Jeanette Pitkevica (Solovioline), Shogo Fujii (Solooboe) und Bertram Voigt und Van Hoc Hoang (Hörner) vom Heidelberger Kantatenorchester mit Prof. Martin Nitz (Hamburg) als zuverlässigem Continuoorganist.
Erwähnenswert auch wieder das Programmheft mit Nolls geschliffenen Informationstexten, das diesmal auch äußerlich so schön wie noch nie gestaltet war.
Der Begründer dieser Bach-Konzerte, Kantor Rainer Noll, der in diesem Jahr 60 wurde, verwandelte nach einer vorhergegangenen vierstündigen Probe den Taktstock mit unglaublicher Frische und Vitalität in einen Zauberstab, dass die Funken des Musikfeuerwerks nur so ins Publikum schlugen und wahr wurde, was vorweg in der Händel-Kantate gesungen wurde: die Musik „hebt und beugt die starrste Brust“ und „herrscht mit Zauberkraft“.
Eckard B. Gandela