Glanz und Wehmut

31. und letzte Abendmusik zum Weihnachtsmarkt mit Kantor Rainer Noll

[erschienen am 13.12.2013 in „Kelsterbach Aktuell“]

Von nah und vor allem wieder von fern kamen zahlreiche Besucher zur letzten der nunmehr 31 Abendmusiken unter Kantor Rainer Nolls Leitung. Dem nun fast 65jährigen Kantor, der mit 23 Jahren sein Amt an St. Martin antrat, gelang mit geradezu jugendlich anmutendem Elan und zugleich der Reife der Meisterschaft, in der Virtuosität und Beseeltheit keine Gegensätze bilden, ein glanzvolles Finale der Weihnachtsmusiken – so, wie ihm dies schon beim letzten, dem 36. Bach-Konzert an Bachs Todestag im Juli gelungen war. Zugleich bekam dieses Abschlusskonzert eine eigene Dimension der Wehmut des „letzten Males“.

Es war gelungen, die besten Musiker, die man bekommen konnte, aus ganz Deutschland zu gewinnen, möglich dank städtischer, kirchlicher und privater Gelder.

Das renommierte „Main-Barockorchester Frankfurt“ eröffnete unter Rainer Nolls souveräner Leitung den Abend  stimmungsvoll mit Corellis berühmtem „Weihnachtskonzert“ mit den beiden Violin-Solisten Martin Jopp (Leipzig)  und Konstanze Winkelmann (Stuttgart), die beide im abschließenden Doppel-Konzert d-moll BWV 1043 von Johann Sebastian Bach vollends ihr überragendes Können zeigten.

Im Zentrum stand das Blockflöten-Konzert G-dur von Vivaldi, das an Virtuosität und Schwierigkeit in der Blockflötenliteratur kaum zu überbieten ist. Der Hamburger Musikprofessor Martin Nitz, mit dem Noll seit 1979 eng zusammenarbeitet, bewältigte es in den schnellen Ecksätzen mit atemberaubender Virtuosität, während er im „Largo“ die ruhig dahinströmende Kantilene und die anmutigen Arabesken zum Blühen brachte.

In den Magnificat-Arien von Telemann und Vivaldi, vom Orchester feinfühlig begleitet, kam die klare, helle, jugendliche Stimme der Heidelberger Sopranistin Eva Lebherz-Valentin voll zur Geltung, die seit 1995 regelmäßig in Nolls Konzerten mitwirkt.

Die einzigartige Klangschönheit der Förster&Nicolaus-Orgel brachte Noll durch seine Registrierkunst in Bachs „Pastorale“ (Hirtenmusik) zur Entfaltung, deren vier Sätze sich vom idyllisch-bukolischen Musizieren der Hirten bis zum glanzvollen „Gloria in excelsis Deo“ der musizierenden Engel über Bethlehems Stall zu steigern schienen – nicht ohne subtil Passionsmotive anklingen zu lassen, die bereits dem Kind in der Krippe die Vollendung am Kreuz andeuten.

Ein weiterer bereichernder Kontrapunkt im Programm war die Uraufführung der Rainer Noll gewidmeten Choralsuite für Orgel über den Adventschoral „Tröstet, tröstet, spricht der Herr“ EG 15 von Lothar Graap (geb. 1933), die wesentlich durch Nolls Klangfarbenraffinesse lebte. Es war übrigens nicht die erste Uraufführung unter seinen Händen: Komponisten aus mehreren europäischen Ländern haben Noll Werke gewidmet. Immer wieder stellt er sich den Herausforderungen unserer Zeit und setzt sich auch für moderne Musik ein.

Bis zuletzt also blieb Kantor Rainer Noll seinem hohen Anspruch aus innerer Notwendigkeit treu, zu dem sein unmittelbares Umfeld um es gelinde zu sagen nicht gerade anspornend beitrug. Es bleibt am Schluss die wehmütige Frage, ob diese über Jahrzehnte durchgehaltene, ja sich reifend steigernde Qualität an dem Ort praktiziert wurde, der ihr gebührt hätte. So ist auch die traurige Frage nicht ganz unberechtigt, ob vor Ort bemerkt wird, dass nun eine hochkarätige Ära sich ihrem Ende zuneigt.

Was bleibt, sind die über 100 CD-Aufnahmen aller Konzerte Rainer Nolls in seiner auch tontechnisch und gestalterisch von ihm selbst betreuten „Live-Edition“, quasi sein „Lebenswerk“, das auch Kelsterbach alle Ehre macht – auch dies dürfte, wie seine besondere Interpretation, einmalig sein.

Eckard B. Gandela, Frankfurt am Main

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