Musikalische Hommage

Allgemeine Zeitung 08.10.2011 – NIERSTEIN

KONZERT Rainer Noll hält fast vergessenen Geist von Albert Schweitzers Orgelkunst wach

Es war eine Zeitreise zurück in die Welt des Musikers und Organisten Albert Schweitzer, die zum Abschluss der Veranstaltungsreihe des Geschichtsvereins durch den Wiesbadener Organisten Rainer Noll unternommen wurde, der auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde in die Niersteiner Martinskirche gekommen war. In seinem Vortrag und Orgelkonzert ging er der Frage nach, was Schweitzer heute noch musikalisch zu sagen hat.

Dabei machte Noll deutlich, dass Schweitzers Orgelspiel und seine Orgelbauvorstellungen zwar ganz von der Romantik geprägt gewesen seien, er jedoch gleichzeitig der Bach-Interpretation des 20. Jahrhunderts wichtige Impulse gegeben habe. Außerdem habe er eine Bewegung im Orgelbau initiiert, die als „Orgelbewegung“ weit über ihn hinausging.

Rainer Noll, der sich seit fünf Jahrzehnten mit allen musikalischen Facetten Schweitzers auseinandersetzt und auch dessen musikalischen Nachlass in Günzbach ordnete und katalogisierte, hielt auch beim Konzert den fast vergessenen Geist des Orgelspiels Albert Schweitzers gegen den Trend der Zeit lebendig. Interpretationen von Bachwerken erklangen mit ergreifender Beseeltheit und Wärme – ganz im Sinne Schweitzers. Zu den aufgeführten Bachwerken gehörten „Vor deinen Thron tret ich hiermit“ (BWV 668), die Fuge g-moll (BWV 578), das Präludium und Fuge e-moll (BWV 533) sowie „Schmücke dich, o liebe Seele“ (BWV 654). Gerade diese Komposition gehörte zu den Lieblingsstücken Schweitzers, durch die ein Zug mystischer Sinnlichkeit hindurchgeht. Zuvor war die von Lothar Graap, einem zeitgenössischen Komponisten aus Berlin, als „Hommage à Albert Schweitzer“ komponierte Fantasia A-(E)S erklungen.

Noll, vom Orgelideal Schweitzers fasziniert und inspiriert, entwarf 1972/73 die neue Orgel in der evangelischen Kirche in Wiesbaden-Bierstadt, die auch eine authentische Wiedergabe der Orgelwerke der deutschen und französischen Romantik ermöglicht – damals der Zeit weit voraus, heute eine Selbstverständlichkeit. Vor diesem Hintergrund verstand es Rainer Noll, durch seinen Vortrag und die Orgelwerke ein besonders eindrucksvolles Bild Schweitzers zu entwerfen, eines Wirkens wie ein „Oratorium mit Orgelbegleitung“.

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