Musikalische Karfreitagsmeditation in St. Martin

Wieder hatte Kantor Rainer Noll ein in Kelsterbach noch nie gehörtes Programm für die „Musikalische Meditation zur Todesstunde Jesu“ am vergangenen Karfreitag in der St. Martinskirche ausgearbeitet. Und wieder typisch für Noll: Neben Johann Sebastian Bach erklangen wieder Werke eines Zeitgenossen, hier Lothar Graap (geb. 1933). Von ihm sang der gefragte Berliner Tenor von der Staatsoper Unter den Linden, Christoph Leonhardt, drei Passionsgesänge, sensibel begleitet von Noll an der Orgel. In diesen schwebenden Gesängen, deren Verhaltenheit und äußere Schlichtheit den Hörer von ihrer Schwierigkeit nichts ahnen lässt, konnte Leonhardt in aller Bescheidenheit seine vollendete Stimmkunst zeigen.

Im Zentrum stand der Choral „Kreuz, auf das ich schaue“ (Melodie von Lothar Graap), zunächst unbegleitet von Christoph Leonhardt vorgetragen, dann üppig entfaltet in Graaps zwölfteiliger Partita über sein eigenes Lied. Nolls Einfallsreichtum und Raffinesse im Gebrauch der Klangfarben seiner Orgel ließ wieder erstaunen.

Hier wurde wieder deutlich, dass der Jahrhunderte alte Baum des reichen Schatzes protestantischer Kirchenmusik, dem auch Bach angehört, bis heute wunderbare Früchte trägt, die nur gepflückt sein wollen, statt ignoriert zu werden zugunsten seichter kommerzieller Musik.

Dazwischen interpretierte Rainer Noll vier Präludien mit Passionscharakter aus Johann Sebastian Bachs berühmter Sammlung „Das Wohltemperierte Clavier“ in f-moll, g-moll, a-moll und h-moll. Diesen eigentlich für das Cembalo gedachten Werken gewann Noll auf der Orgel ganz besondere Reize ab, die das Cembalo so gar nicht hergibt. In diesen reifen Schöpfungen von größtmöglicher Verinnerlichung zeigte sich, wie weit sich Nolls Interpretation von allem „Gängigen“ (um nicht zu sagen „Eingängigen“) entfernt hat. Auf einem langen Weg des spirituellen Ringens ist dieser Interpret zu immer höherer Vergeistigung gelangt, die sich in größter Einfachheit ausdrückt.

Die Passionslesungen zwischen der Musik wurden äußerst dezent vorgetragen von Pfarrvikarin Inga von Gehren.

Eckard B. Gandela

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