Bachkonzert 1998

St. Martinskirche Kelsterbach

Orgelkonzert am 26. Juli 1998

 Anlässlich der 248. Wiederkehr des Todestages von

 

Johann Sebastian Bach († 28. Juli 1750)

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 Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Präludium a-moll, BWV 569

 

Contrapunctus I, BWV 1080,1

(aus „Die Kunst der Fuge“)

 

Partita über „O Gott, du frommer Gott“, BWV 767

 

Fuge c-moll, BWV 574

(über ein Thema von Giovanni Legrenzi)

 

 

Harald Heilmann (*1924)

 Meditation über BACH

 

 

Johann Sebastian Bach

 Passacaglia und Fuge c-moll, BWV 582

 

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An der Förster & Nicolaus-Orgel:

Rainer Noll

 

Zum Programm:

Musik will nicht nur verstanden werden, sie will vor allem erlebt werden. Zu beidem, Verstehen und Erleben, möchten die folgenden Anmerkungen zum heutigen Konzert dem interessierten Hörer eine Hilfestellung anbieten.

Das Programm besteht hauptsächlich aus Frühwerken Johann Sebastian Bachs, von denen das Präludium a-moll und die Fuge c-moll sehr selten in Konzerten zu hören sind.

Das Präludium a-moll besteht, von dem bewegteren Anfang und Schluß abgesehen, aus der monotonen Aneinanderreihung eines viertönigen Motivs, die nur von kurzen Zwischenspielen aufgelockert wird – ein Werk, das nicht von kontrapunktischen Künsten, sondern von seiner teils kühn-dramatischen Harmonik lebt. Der Gebrauch des Doppelpedals am Schluß zeigt, daß Bach schon in jungen Jahren seiner Orgel „Gravität“ abzutrotzen versuchte, auf die er noch in späteren Jahren so viel Wert im Orgelbau legte.

Die Fuge c-moll ist dreiteilig aufgebaut. Im ersten Teil verarbeitet Bach das von Legrenzi stammende Thema. Im zweiten Teil entfaltet sich ein zweites, lebhafteres Thema, das aus Motiven des ersten hervorgeht. Der dritte Teil bringt schließlich die Vereinigung beider Themen. Ein toccatenartiger Schluß im freien Stil („stylus fantasticus“) beendet das Werk.

 

Neben dieser Fuge sind auch die beiden späteren Jugendwerke, Partita „O, Gott, du frommer Gott“ und die Passacacglia, durch die Tonart c-moll verbunden, und beide dürften im gleichen Zeitraum der Jahre 1707/1708 entstanden sein (d.h. Bach schrieb diese genialen Kompositionen bereits im Alter von zwei- oder dreiundzwanzig Jahren!). Auch handelt es sich bei beiden um Variationswerke.

Die Partita über „O Gott, du frommer Gott“ besteht aus neun Teilen (Teil = lat. Pars, daher die Bezeichnung Partita). Die Melodie des Chorales ist das verbindende Element aller Teile. Wie der holländische Musikwissenschaftler Albert Clementi in seiner Dissertation (1989) nachgewiesen hat, ist jedem dieser Teile eine Strophe des Chorales zugeordnet, deren Inhalt von der Musik af teils äußerst subtile Weise ausgedeutet wird. Deshalb finden Sie im Programm den Choraltext zum Mitlesen. Teil I verherrlicht in seiner vollgegriffenen Harmonisierung des Chorals die Majestät des Schöpfergottes. Im Baß des sechsten Teils sind deutlich die „sauren Tritte“ abgebildet, durch die man ins Alter dringt, wie es in der zugehörigen Strophe heißt. Strophe sieben redet von Sterben und Grablegung: die Musik versinnbildlicht dies durch eine alle Stimmen durchziehende Abwärtslinie (ähnlich wie in der Orchesterbeleitung des Schlußchores der Johannespassion oder in den Bässen des Schlußchores der Matthäuspassion). Die folgende Strophe enthält die Bitte des Frommen, Gott möge seiner bei der Auferweckung der Toten gedenken: Bach schildert in quälender Chromatik die schmerzliche Sehnsucht derer, die in dunkler Gruft der Erlösung harren. Im letzten Teil bricht sich dann der Jubel der Auferstandenen Bahn, die sich den Lobpreis der Dreieinigkeit zusingen.

 

Über das Geheimnis der Passacaglia und Fuge c-moll ist viel geschrieben und gerätselt worden. Bach hat nur ein einziges Werk dieser Gattung komponiert. Eine „Passacaglia“ besteht aus der Folge von Variationen über einem gleich bleibenden, ständig wiederholten (ostinaten) Thema. Dieses wird zu Beginn einstimmig vorgetragen. Daraus folgen zwanzig Variationen, die ohne Übergang in die Fuge münden. Der erste Teil des Passacagliathemas, der aus einem „Trio en passacaille“ betitelten „Christe“ aus André Raisons „Premier Livre d’orgue“ (Paris, 1688) stammt, bildet das Fugenthema. Ihm ist gleich von Anfang an ein Kontrasubjekt beigegeben, dessen charakteristischen Intervalle aus dem zweiten Teil des Passacagliathemas abgeleitet sind. Das Hauptthema erklingt in der Passacaglia 21mal, in der Fuge 12mal (12 ist die Spiegelung von 21!). – Der holländische Organist Piet Kee deutet Passacaglia und Fuge als musikalische Darstellung des Vaterunsers.

 

Ganz bewusst stelle ich den Jugendwerken eine Fuge (Contrapunctus I) des alten Bach, sowie eine zeitgenössische Meditation über das Namensmotiv der Tonfolge B-A-C-H von Harald Heilmann als Kontrapunkt gegenüber.

 

Das Contrapunctus I überschriebene Werk ist die Eröffnungsfuge des als „Die Kunst der Fuge“ bekannten monumentalen Alterswerkes Bachs, über dessen Fertigstellung er am 28. Juli 1750 schließlich verstorben ist. Das Hauptthema dieses Werkes wird vorgestellt und in einer gesanglichen, ruhig dahinfließenden Fuge verarbeite. Diese kontrapunktische Kompositionstechnik galt seinen Zeitgenossen als längst veraltet. Der alte Bach hatte sich selbst überlebt. Er komponierte sozusagen bewußt am herrschenden Musikbetrieb seiner Zeit vorbei. Dies befreite ihn von jeglicher Rücksicht auf bloße äußerliche Publikumswirksamkeit. In asketischer Konzentration auf das Wesentliche, fas zweckfrei, arbeitete er in der Abgeschiedenheit seiner Komponierstube an der höchsten Vollendung seiner Kunst, die ihn unsterblich machte. Das meisterliche spiel mit allen klanglichen Effekten und die unbekümmerte Entfaltung vitaler jugendlicher Kraft, denen wir in seinen Frühwerken begegnen, sind in seinem Spätwerk einer wohlkalkulierten Intensität und Abgeklärtheit gewichen. Was Albert Schweitzer in einem 1909 anläßlich des 1. Westfälischen Bachfestes in Dortmund gehaltenen Vortrag über „Johann Sebastian Bach“ sagte, gilt besonders für dessen Alterswerk: „Das, was man im weitesten Sinne als ››Leidenschaft‹‹ bezeichnen kann, finden Sie bei ihm nicht. Nicht Schmerz und Freude, sondern verklärter Schmerz und verklärte Freude reden zu uns. Wir schauen bie ihm das Leben, als wandelten wir auf einer Höhe, von milder Sonne umflossen, und sähen es durch blauen Nebel hindurch zu unseren Füßen ausgebreitet. Den Frieden, den er dem Leben in Freude und Schmerz abgewonnen hat, spendet Bach in seinen Tönen; er redet zu uns als einer, der nicht im Leben, sondern über dem Leben steht. Darum ist seine Kunst als solche religiös.“

 

Harald Heilmann wurde 1924 in Aue (Sachsen) geboren. Kompositionsstudium in Leipzig und Köln. 1951 Dozent an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin. 1954-59 Mitarbeiter verschiedener Musikverlage, danach freischaffend lebend, zunächst in Heidelberg und ab 1967 in Brombach (Odenwald). – Seine Meditation über Bach verarbeitet eigene, aus dem BACH-Motiv gewonnen Motive, deren charakteristische Intervalle oft den Ambitus einer Oktave überschreiten. Das Werk beginnt triomäßig. Der Anfang kehrt am Schluß als leicht variierte Reprise wieder.

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