Albert Schweitzer und die Musik

Vortrag beim Internationalen Symposium Bach 2000 am 12. Oktober 2000 im Sudetendeutschen Musikinstitut in Regensburg

(erschienen in Englisch in „Bach 2000 – Music between Virgin Forest and Knowledge Society“, eine Buchveröffentlichung der Compostela Group of Universities, 2002)

 

„Albert Schweitzer und die Musik“ – die Betonung muss auf „und“ liegen, denn Albert Schweitzer ohne Musik, das wäre undenkbar. Am 26. August 1904, noch während der Verhandlungen über die Edition des französichen Bach-Buches, schreibt Schweitzer an Oskar von Hase (1846 – 1921), den Seniorchef des Hauses Breitkopf & Härtel: „…Musik ist bei mir eben eine Erbschaft, gegen die ich nichts ausrichten kann…“ (in Erwin R. Jacobi: „Musikwissenschaftliche Arbeiten“, Zürich 1984, S. 264) Auch seine Liebe zur Orgel sieht er sozusagen genetisch bedingt: „Die Leidenschaft für die Orgel hatte ich von meinem Großvater Schillinger geerbt, der sich viel mit Orgel und Orgelbau beschäftigte.“ (A. Schweitzer: „Aus meinem Leben und Denken“, Hamburg 1955, S. 7) Sein Großvater Johann Jakob Schillinger (1801 – 1872) war Pfarrer in Mühlbach im elsässischen Münstertal. Und weiter: „Da mir die Beschäftigung mit dem Orgelbau von meinem Großvater Schillinger her im Blute lag, war ich schon als Knabe darauf aus, das Innere von Orgeln kennenzulernen.“ (a. a. O., S. 60) So schließt Werner Picht das Kapitel „Musik“ in seiner großen Biographie „Albert Schweitzer – Wesen und Bedeutung“ mit dem schönen Satz: „Wer das Dasein Albert Schweitzers begreifen will, der begreife es als ein Oratorium mit Orgelbegleitung.“ („Albert Schweitzer – Wesen und Bedeutung“, Hamburg 1960, S. 197)

Lehrjahre

  • Mit fünf Jahren erste Klavierstunden beim Vater
  • Mit acht Jahren erstes Orgelspiel
  • Mit neun Jahren erstmals als Organist im Gottesdienst
  • Mit zehn Jahren Klavierunterricht bei Eugen Münch in Mülhausen/Elsaß
  • Mit fünfzehn Jahren Orgelunterricht bei Eugen Münch an St. Stephan in Mülhausen
  • Mit achtzehn Jahren (1893, nach dem Abitur) erstes Treffen mit Charles-Marie Widor in Paris, von nun an auch in den folgenden Jahren Orgelunterricht bei ihm
  • 1898, mit dreiundzwanzig Jahren, neben dem Orgelunterricht bei Widor in Paris Klavierunterricht gleichzeitig bei Isidor Philipp und Marie Jaëll-Trautmann, einer Elsässerin und Schülerin von Franz Liszt, für deren [Marie Jaëlls] physiologische Experimente er als Versuchstier diente und unter deren Anleitung er seine Technik umgestaltete
  • 1899 verbrachte Schweitzer den Sommer in Berlin, wo er als Versuchstier an den psychologischen Studien zur Tonempfindung bei Karl Stumpf teilnahm
  • Neben seinen Fächern Theologie und Philosophie hörte er an der Universität Straßburg Musiktheorie bei Jacobsthal (hier vor allem gründliches Erlernen des reinen Kontrapunktes)

Konzerttätigkeit

Mit siebzehn Jahren erstes Orgelspiel im Konzert (Begleitung des Brahmsschen Requiems in Mülhausen unter Eugen Münch).

1894-1910 Organist des Wilhelmerchores in Straßburg unter Ernst Münch (Bruder von Eugen in Mülhausen). Hier Mitwirkung bei 60 Chorkonzerten (hauptsächlich Werke von Bach, aber auch von Beethoven, Bruckner, Händel, Mozart und Schumann). Bei Bach-Werken begleitete er aus dem Klavierauszug, in den er sich die Generalbassbezifferung eingetragen hatte. „Pressechef der Wilhelmer Konzerte“: Er schrieb die Programmerläuterungen und die Presseankündigungen.

1905-1912 Organist der Pariser Bachgesellschaft, deren Gründungsmitglied er 1905 neben Gustave Bret, dem Dirigenten der Konzerte der Gesellschaft, Paul Dukas, Alexandre Guilmant, Vincent d’Indy, Charles-Marie Widor und Albert Roussel war. Mitwirkung bei 16 Konzerten (bei seinem letzten am 25. April 1912 erstes und einziges Mal auch als Solist in Paris!). Auch hier verfasste er die Programmerläuterungen.

Die Pariser Bachgesellschaft schickte ihm als Dank für seine Verdienste ein tropenfestes Klavier mit Orgelpedal nach Lambarene, auf dem er bis zu seinem Tode an seinem Orgelrepertoire arbeitete (steht heute in seinem Haus in Günsbach).

1908-1921 Organist des Orfeó Català in Barcelona unter Lluìs Millet. Mitwirkung bei 12 Konzerten (das letzte war die Erstaufführung der Bachschen Matthäuspassion in Spanien am 27. 2. 1921). Neben den Programmerläuterungen gehörte zu Schweitzers Aufgaben die Auswahl der Solisten und Einzelproben mit ihnen, sowie die Einrichtung des Orchestermaterials.

Mit achtzig Jahren letztes Konzert am 18. September 1955 in Wihr-au-Val (Elasß). Insgesamt spielte Schweitzer in 487 feststellbaren Konzerten in Elsaß-Lothringen (150), der Schweiz (73), Deutschland (67), Schweden (63), Holland (39), England (30), Frankreich (23), Dänemark (20), Spanien (13), Tschechien (7), Italien (1) und Guinea (1).

Auf die Jahre gesehen ragen besonders 1922 mit 77 Konzerten, 1928 mit 70 Konzerten und 1932 mit 42 Konzerten heraus.

Das Repertoire der Solokonzerte bestand hauptsächlich aus Werken von Bach, aber auch regelmäßig aus Werken von Mendelssohn, Widor und César Franck (vor dem Ersten Weltkrieg auch noch einigen anderen).

Schallplattenaufnahmen

Schweitzer spielte verhältnismäßig viele Schallplatten ein (von Thomaskantor Karl Straube [1873 – 1950], dem großen Reger-Interpreten, besitzen wir dagegen nicht ein einzige).

1. 1928: Aufnahmen auf der Orgel von Queen’s Hall in London für His Master’s Voice (Werke von Bach und Mendelssohn).

2. 1935: Aufnahmen auf der Orgel von All Hallows in London, Barking-by-the-Tower, für Columbia London (Werke von Bach).

3. 1936: Aufnahmen auf der Orgel von St. Aurelien in Sraßburg für Columbia London (Werke von Bach und Franck)

4. 1951/52: Aufnahmen auf der Orgel der Dorfkirche in Günsbach für Columbia USA (Werke von Bach, Franck, Mendelssohn und Widor)

Publikationen

1905: „J.-S. Bach, le musicien-poèt“ (französisches Bach-Buch)

1906: „Deutsche und französische Orgelbaukunst und Orgelkunst“ (1927 nochmals mit einem ausführlichen Nachwort erschienen)

1908: „J. S. Bach“ (deutsches Bach-Buch)

1909: „Internationales Regulativ für Orgelbau“

1912/13: „Johann Sebastian Bach: Complete Organ Works“ Band 1-5 (Schirmer, New York)

1954: „Johann Sebastian Bach: Complete Organ Works“ Band 6 (Schirmer, New York)

1967: „Johann Sebastian Bach: Complete Organ Works“ Band 7+8 (Schirmer, New York)

1984: „Albert Schweitzers nachgelassene Manuskripte über die Verzierungen bei Johann Sebastian Bach“ (Bach-Studien 8, Leipzig)

1995: „Die Orgelwerke Johann Sebastian Bachs. Vorworte zu den »Sämtlichen Orgelwerken«“

Wagner-Verehrung

Neben der Verehrung für Bach stand bei Schweitzer immer diejenige für Richard Wagner, was für viele eine Überraschung ist.

Mit sechzehn Jahren hörte er erstmals im Theater in Mülhausen/Elsaß Wagners „Tannhäuser“ und war so überwältigt, das es Tage dauerte, bis er dem Schulunterricht wieder aufmerksam folgen konnte.

1896 ist er erstmals in Bayreuth, um die erste Wiederaufführung der Tetralogie nach der Uraufführung von 1876 zu erleben.

Soweit Zeit und Ersparnisse reichten, pilgerte er auch danach nach Bayreuth.

Mit Cosima und Siegfried Wagner war er persönlich befreundet, ebenso mit Wieland und Wolfgang.

Sein deutsches Bach-Buch begann er 1906 in Bayreuth nach einer Tristan-Aufführung.

Zuletzt war er 1923 in Bayreuth, um der 86jährigen Cosima im Hause Wahnfried seine Aufwartung zu machen.

1929 besuchte der Musikwissenschaftler Erwin R. Jacobi (1909-1979) Schweitzer in seinem Haus in Königsfeld (Schwarzwald) und berichtet, wie dieser nach den Klavierstunden, die er seiner Tochter Rhena gab, oft eine halbe Stunde und länger über Themen aus Wagner-Opern fantasierte, um seine Ungeduld über das ihn nicht befriedigende Spiel des Kindes abzureagieren.

Drei jungen Pelikanen gab er in Lambarene die Namen Parsifal, Lohengrin und Tristan.

Nie hat er sich über Bach geäußert, ohne Wagner zu erwähnen. Bach ist ihm mehr der Maler, Wagner der Dichter in der Musik. Über sein Bach-Buch schreibt er: „Dem Bach der Gralswächter der reinen Musik setzte ich in meinem Buche denjenigen entgegen, der Dichter und Maler in Musik ist.“ (A. Schweitzer: „Aus meinem Leben und Denken“, Hamburg 1955, S. 57) Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wollten die Anti-Wagnerianer Bach als einen der Ihren, als Vertreter der „reinen“ Musik vereinnahmen.

Besonders gerne spielte Schweitzer das Adagio aus Widors 6. Orgelsymphonie, das ganz aus Wagnerschem Geiste geboren ist.

Der Orgelfachmann

siehe auch: Der Orgelfachmann Albert Schweitzer

Einige Thesen:

1) Schweitzer war ein Mann der ersten Stunde als Mitinitiator der „elsässisch-neudeutschen Orgelreform“, die in der Zeit nach 1900 für künstlerisch und handwerklich hochwertigen Orgelbau eintrat und der billigen, industriell gefertigten Massenware „Fabrikorgel“ den Kampf ansagte.

2) Die Orgel der Bach-Zeit oder gar die „Barock-Orgel“, die nach dem Ersten Weltkrieg der späteren „Orgelbewegung“ bis in die sechziger, siebziger Jahre als das Orgelideal galt, war für ihn nicht die wahre Orgel. Nach ihm wurden die besten Orgel zwischen 1850 und 1880 gebaut.

3) Wenn Schweitzer alte Orgeln (so z. B. Silbermann-Orgeln im Elsaß) vor dem Abriss rettete und restaurieren ließ, so hatte dies nichts mit den heutigen Prinzipien der Orgeldenkmalpflege zu tun. Immer handelte es sich um tiefgreifende Eingriffe, die das Original in Richtung von Schweitzers eigenem Ideal umformten und es somit in seinem Sinne „vervollkommneten“. Nur ein Beispiel: alle „restaurierten“ Instrumente des 17. und 18. Jahrhunderts ließ er mit Schwellkästen versehen.

4) Weit über „Restaurierungen“ vorhandener Silbermann-Orgeln hinaus gipfelte für Schweitzer die Weiterentwicklung des Orgelbaues „ im Geiste Silbermanns“ in den Schöpfungen des französischen Orgelbauers Aristide Cavaillé-Coll (1811 – 1899), die er (abgesehen von den zu dominanten Zungenstimmen) für das Vollkommenste hielt, was der Orgelbau bis dahin aufzuweisen hatte. Schweitzers eigenes Ideal war die Synthese aus alter und moderner Orgel, aus den weichen, runden, biegsamen Labialstimmen eines Cavaillé-Coll und den verschmelzungsfähigen deutschen Zungenstimmen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie der Integration derjenigen technischen Errungenschaften, die der künstlerischen Gestaltung dienen. Mehr als bei allen Silbermann-Restaurierungen verwirklichte er seine Vorstellungen z. B. in der von ihm konzipierten, bis heute erhaltenen Orgel in der Erlöserkirche zu Straßburg-Kronenburg (1907), die bisher kaum Beachtung fand. Basis der Schönheit des Orgelklanges war für ihn eine reichhaltige Palette an Grundstimmen (inklusive der Streicher). Schrille Mixturen und Aliquote lehnte er ab. In späteren Jahren war ihm die „Trinität“ von Hauptwerk, Schwellwerk und Rückpositiv wichtig, und natürlich mechanische Traktur und die Schleiflade.

5) Bewundernswert, und auch heute noch eine Herausforderung an den Zeitgeist, ist Schweitzers Kraft des Glaubens an das eigene Denken, die gar nicht anders kann, als rein historische Betrachtungsweisen zu überschreiten und hier und jetzt selbst Geschichte zu schreiben. Alles Epigonenhafte, archaistische Tendenzen und Historizismus lehnte er ab. Nicht um die Wiederbelebung oder gar Nachahmung historischer Ideale ging es ihm, sondern um die Schaffung neuer Ideale für seine Zeit, durch eigenschöpferisches geistiges Ringen aus der Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft gewonnen. Persönlichkeiten der Vergangenheit dienten ihm allenfalls als Katalysatoren für geistige Prozesse, nicht als zu kopierende Vorbilder. Der Glaube an die schöpferische Kraft des eigenen Geistes gab ihm den Mut, selbständig neben historische Größen zu treten und den Faden der Geschichte in der Gegenwart weiterzuspinnen. Sein Handeln „im Geiste von…“ ließ für Schweitzer den Spielraum, selbst kreativ zu sein bei gleichzeitiger Wahrung des geschichtlichen Kontinuums.

„Es mag deshalb, gerade im Hinblick auf heutige fast sektiererische Abspaltungstendenzen, bedauert werden, dass Albert Schweitzers Einfluss auf den europäischen Orgelbau durch seinen Wegzug nach Lambarene und durch die Wirren in und nach dem ersten Weltkrieg nahezu geschichtsunwirksam geblieben ist.“ (Bernhard Billeter in „Albert Schweitzers Einfluss auf den europäischen Orgelbau am Beginn des 20. Jahrhunderts“, in „Acta Organologica“ Band 15, 1981, S. 179)

Der Bach-Interpret

siehe auch: Der Bach-Interpret Albert Schweitzer

Die drei äußeren Wurzeln seines Bach-Spieles:

1) Die deutsche Bach-Pflege vor der Jahrhundertwende, wie Schweitzer sie durch Eugen und Ernst Münch kennengelernt hatte, die beide in Berlin Schüler von Carl August Haupt (1810 – 1891) waren.

Dessen Gegenspieler war Heinrich Reimann (1850 – 1906), der Organist der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, dem Schweitzer 1899 in Berlin begegnete und den er sogar in dessen Urlaub als Organist vertreten hat.

Haupt pflegte Bach in monotonem Fortissimo zu spielen, während Reimann piano begann und Tempo wie Lautstärke zum Schluss hin ins Gewaltige steigerte.

2) Die Tradition des Bachspiels der französischen Orgelschule, durch Charles-Marie Widor (1844 – 1937) vermittelt. Diese Tradition geht auf den Breslauer Organisten und „Bach-Apostel“ Adolf Friedrich Hesse (1809 – 1863) zurück. Ruhige Temponahme und meist monoton-unartikulierte, aber gut phrasierte Legatolinien spielen hier eine wesentliche Rolle.

3) Schweitzers eigene Bachforschung. An erster Stelle steht hier die Forderung nach einer lebendigen Artikulation.

In einem Brief zur Orgeltagung in Freiburg/Brsg. im Jahre 1926 schreibt Schweitzer: „(…) wer sich mit der Orgel beschäftigt, wird über alles Menschliche und Allzumenschliche hinausgetragen und zur reinen Freude an der Wahrheit geläutert und verehrt Orgel und Orgelklang als die großen seelischen Erzieher zum Erleben der Ewigkeitsgesinnung.“ Ewigkeitsgesinnung: das ist das Schlüsselwort zum Verständnis seines Bachspiels. Das Charakteristikum seiner Interpretation, das ihn wohl von fast allen Organisten sowohl seiner als auch unserer Zeit unterscheidet und seinem Spiel etwas Weihevoll-Überirdisches, zunächst schwer Zugängliches gibt, ist, dass sein Orgelspiel immer Meditation ist, ein Sichversenken in eine Welt der Verklärung, der Erhabenheit und des inneren Friedens, jede ungebändigte Leidenschaftlichkeit und Unruhe hinter sich lassend. Orgel spielen heißt für ihn, „einen mit dem Schauen der Ewigkeit erfüllten Willen manifestieren“, wie es sein Lehrer und Freund Widor ausdrückte.

Nervenkitzel und Sensation sind bei Schweitzer nicht zu finden. Er setzt einem keine Artistennummern wie in einem Zirkus vor, hier geht es nicht um eine Zurschaustellung technischen Könnens. Wenn er spielte, übertrug sich unmittelbar das Bewusstsein, hier spielt jemand, der es nicht nötig hat, hinter der Darstellung eines Werkes verborgen seiner Eitelkeit zu frönen. Er stand denkbar hoch über allem Virtuos-Egozentrischem. Zwar höchst präsent in seinem Spiel, suchte er doch nicht sich selbst. Sicher nicht in technischer Hinsicht, sondern im Hinblick auf jene leidenschaftlich dienende Sachlichkeit seiner Interpretation galt Albert Schweitzer wohl zurecht als größtes Phänomen unter allen Bach-Interpreten – wobei die Frage, wie nahe er dem historischen Bach kam, völlig in den Hintergrund tritt. Denn das Wesentliche ist, dass eine Interpretation überzeugend und glaubwürdig ist. Dies kann sie nur sein, wenn sie bei allem interpretatorischen Wissen und Können zutiefst aus dem Erleben des Interpreten kommt. Über alle historischen Gesichtspunkte hinaus war Schweitzers Bach ein lebendiger Bach, indem er ihn so hörbar werden ließ, wie er ihn in seinem Innersten erlebte (und dies oft ganz bewusst wider besseres historisches Wissen!).

Ganz besonders im positiven Sinn des Wortes war Schweitzer ein Dilettant (vom ital. dilettare = erfreuen, ergötzen), der in seiner Musik Befriedigung, Sammlung, Stärkung und Freude fand und diese vermitteln wollte, während die heutigen, oft „vermarkteten“ Spitzenvirtuosen vielleicht nur noch in der Anerkennung ihrer immer höher geschraubten sportiven Leistung eine Art von Entschädigung finden. Sie haben die Stücke in der Tasche, nicht im Herzen, wie Arthur Rubinstein einmal sagte.

Sich diesem Geiste zu stellen, ist das eigentliche Problem für den heutigen Orgelvirtuosen, wenn er mit dem Organisten Schweitzer konfrontiert wird, sogar (oder gerade!) wenn er eine hundertmal bessere Technik als Schweitzer hätte. Technik ist heute eine in hohem Maße gegebene conditio sine qua non, die leider allzu oft über künstlerische Unzulänglichkeiten hinweg täuscht. Ob jemand seine Technik der musikalischen Idee unterordnet und sie ganz in den Dienst der inneren Aussage stellt oder nur eine atemberaubende Akrobatennummer seiner Finger und Füße zum besten gibt, ist eine Frage der Persönlichkeit des Spielers. Hier ist Schweitzer im „Zeitalter der hirnlosen Tastenbeweger, der herzlosen Schnellspieler und der wichtigtuerischen Pseudohistoriker“ (so Hermann J. Busch in einer Rezension in „Ars Organi“, Heft 56, Juni 1978, S. 375) eine Herausforderung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert